Das "Endspiel" gegen Köln (20.30 Uhr im LIVE-TICKER) bestimmt Werders nahe Zukunft. Robin Dutt und nun auch Thomas Eichin stehen mächtig unter Druck. Sie sind Opfer ungünstiger Umstände - haben aber auch selbst genügend Fehler gemacht.
Wenn die Lage besonders prekär ist, dann fragt man eben bei den Granden nach. Die Klub-Ikonen vergangener Tage haben zwar kaum Einblick ins Tagesgeschäft, dafür aber eine tolle Reputation und natürlich eine dezidierte Meinung.
In Bremen ist für solche Fälle einer wie Max Lorenz vorgesehen. Der darf als Werder-Legende durchgehen, ist in Bremen geboren, hat für Bremen mehr als 300 Pflichtspiele absolviert. Vor der zum Endspiel für Trainer Robin Dutt deklarierten Partie gegen den 1. FC Köln erklärte sich Lorenz in der "Syker Kreiszeitung".
"Die Kölner kommen nicht zu uns, um einen Punkt zu holen. Die wollen hier gewinnen", sagt Lorenz. Vom bisherigen Saisonverlauf ist er geschockt, die Hoffnung auf eine Wende zum Guten nach Jahren des schleichenden Niedergangs ist fast schon verflogen.
Da steht Lorenz stellvertretend für den Großteil der Fans, die sich schon nach acht Spieltagen ernsthaft mit dem Thema Abstieg auseinandersetzen. Eigentlich ist das ein wenig früh, schon das schlimmste Szenario auszumalen - andererseits sind auch auffällig viele der üblichen Symptome eines gefährdeten Klubs zu erkennen.
Nachdem Thomas Schaaf und Klaus Allofs den Abschwung eingeleitet hatten und nicht mehr aufhalten konnten oder wollten, sollte vor anderthalb Jahren ein klarer Schnitt die Wende einleiten. Mit der Umbesetzung der beiden wichtigsten Positionen im Klub sollte die Phase der wirtschaftlichen und sportlichen Konsolidierung eingeleitet werden, mit Thomas Eichin als Geschäftsführer Sport und Robin Dutt als Trainer.
Knapp 500 Tage arbeiten die beiden nun zusammen. Das ist eine Menge Zeit, um etwas zu bewegen. Auch deshalb ist die Lage derzeit so unruhig und werden die Statistiken bemüht, um die Misere greifbar zu machen: Der schlechteste Saisonstart aller Zeiten mit nur vier Punkten und keinem einzigen Saisonsieg.
Die meisten Probleme der Schaaf-Allofs-Ära hat Werder auch mit dem Duo Dutt-Eichin an den Hacken. Es sind aber nicht nur die Schatten der Vergangenheit, die momentan in Rang 18 münden. Die Bremer stagnieren in vielen Bereichen - das haben auch Dutt und Eichin zu verantworten. Eine (Zwischen-)Bilanz.
Die Spielweise:
Robin Dutt war mit der Maxime angetreten, die Flut an Gegentoren endlich einzudämmen. In Spielen mit Bremer Beteiligung ging es in der Dekade davor fast schon traditionell hoch her. Am Ende blieben eigene Treffer mehr und mehr aus, die vielen Gegentreffer blieben als Markenzeichen zurück.
In den letzten drei Jahren unter Schaaf setzte es 61, 58 und zum Abschluss 66 Gegentore pro Spielzeit. Dutts Premieren-Saison endete wie die letzte von Schaaf: Mit 66 Gegentoren. Derzeit sind es nach nur acht Spieltagen schon wieder 22, mit großem Abstand die meisten der Liga.
Was zu Beginn von Dutts Amtszeit noch gut funktioniert hat, warfen er und Eichin dann aber plötzlich über den Haufen. Dem Trainer war es tatsächlich gelungen, die Defensive zu stabilisieren. Allerdings sehr zu Kosten der Offensivbewegung. Vom Bremer Tatendrang nach vorne war kaum noch etwas zu sehen, weshalb Dutt und Eichin sich auf den Versuch einigten, eine bessere Balance herzustellen.
Eine Fehleinschätzung, seitdem hakt es in beiden Teilbereichen. Zwar gab es in dieser Saison schon Ansätze einer positiven Entwicklung im Offensivbereich, spätestens mit den Niederlagen kamen aber die Zweifel zurück und die Erkenntnis, dass es so früh in der Saison schon um die nackten Ergebnisse gehen wird.
Entsprechend nimmt sich die Mannschaft im Spielaufbau zurück und geht weniger Risiko. Das sieht dann so aus, dass zu viele neutrale Bälle gespielt werden, um Ballverluste im Mittelfeldbereich zu vermeiden. Spielerische Lösungen sind rar gesät, was auch mit dem ausführenden Personal zusammenhängt.
In Sachen Laufbereitschaft und Leidenschaft ist der Mannschaft kaum etwas vorzuwerfen. Aber das genügt nicht, um in der Bundesliga auch Spiele zu gewinnen. Eine echte Weiterentwicklung des Teams ist nach fast anderthalb Jahren nur noch in wenigen Phasen zu erkennen. Das Gesamtpaket genügt momentan nicht den Ansprüchen. Die Aussicht auf eine schnelle Besserung des Status Quo ist eher trüb.
So steht derzeit eine schauderhafte Bilanz für Dutt. Kein anderer Bremer Trainer hat eine schlechtere Startbilanz aufzuweisen als er. In den saisonübergreifend 42 Bundesligaspielen holte Dutt bisher erst 43 Punkte, was einem Schnitt von 1,02 Punkten pro Partie entspricht.
Seite 2: Personal und Transferpolitik
Seite 3: Hinter den Kulissen und Ausblick
Das Personal:
Werder hat kaum Geld, um qualitativ hochwertig den Kader aufzurüsten. Der Klub wird im Herbst zum vierten Mal in Folge ein sattes Bilanzminus ausweisen müssen, der Lizenzspieleretat ist auf rund 30 Millionen Euro zusammengeschrumpft.
Das Drei-Säulen-Prinzip mit gesicherten Einnahmen aus der TV-Vermarktung, dem Ticketing und Sponsoring ist im Prinzip ausgereizt. Zusätzliche Einnahmen kann Werder nur über zusätzliche Spiele erzielen - in diesem Fall also nur über weitere Spiele im DFB-Pokal. Auf die Qualifikation für einen internationalen Wettbewerb kann man sich im Moment kaum ernsthafte Hoffnungen machen.
Es stimmt also durchaus, wenn Eichin immer wieder betont, dass die finanzielle Lage des Klubs keine großen Sprünge auf dem Transfermarkt zulässt. Also kümmert sich Werder verstärkt auch wieder darum, selbst Spieler zu entwickeln. Was unter Schaaf gelinde gesagt stiefmütterlich gehandhabt wurde, rückt aus der Not geboren wieder in den Fokus.
Nicht von ungefähr wurden in den letzten Monaten gleich fast einem halben Dutzend Nachwuchsspielern Profiverträge ausgestellt. Luca Zander, Oliver Hüsing, Julian von Haacke, Marnon Busch und Davie Selke konnte offenbar eine vernünftige Perspektive aufgezeigt werden. Dazu kommen Özkan Yildirim und Levent Aycicek und der von Bayern München verpflichtete Torhüter Raif Husic. Das Durchschnittsalter des Kaders liegt bei 24,8 Jahren.
Dass erstmals seit 42 Jahren bei einer WM-Endrunde kein einziger Bremer Spieler mehr dabei war, ist ein klares Zeichen. Die Kunst für Werder besteht nun darin, sich wieder auf das Kerngeschäft eines Fußballklubs zu besinnen und eigene Spieler für die Profimannschaft zu entwickeln. Das ist ein mühsamer Weg, mühsamer jedenfalls als auf dem Transfermarkt zuzuschlagen. Aber er ist auf Dauer preiswerter und nachhaltiger und verspricht die viel zitierte Wertsteigerung bei einem möglichen Weiterverkauf.
Momentan ist die Qualität des Spielerkaders sicherlich nicht in der oberen Hälfte der Bundesliga einzuordnen. Dennoch steckt in ihm aber genug Qualität, um besseren Fußball zu spielen, als es Werder derzeit tut. Beispiele, dass es auch anders geht, liefert die Bundesliga jedes Wochenende in anderen Stadien: In Paderborn, Köln oder Augsburg. Oder wie es die Bremer Fans letzte Saison mit einer Choreografie eindeutig formulierten: "Nicht die Mittel entscheiden über den Erfolg. Es ist die Einstellung!"
Die Transferpolitik:
"Wir haben einen Plan - und der sieht vor, neue Spieler so früh wie möglich hier zu haben. Damit wir ein echtes Kollektiv werden. Sonst machen die acht Wochen Vorbereitung doch keinen Sinn." Das sagte Eichin am Ende der abgelaufenen Transferperiode.
Die derzeitige Mannschaft ist auf jeden Fall auch seine Mannschaft. Aus der guten alten Champions-League-Zeit sind nur noch Sebastian Prödl und Clemens Fritz übrig geblieben, vom 20er-Stammkader wurde fast die Hälfte der Spieler von Eichin verpflichtet: Nils Petersen, Franco di Santo, Izet Hajrovic, Fin Bartels, Ludovic Obraniak, Cedric Makiadi, Santiago Garcia, Luca Caldirola und Alejandro Galvez.
"Wir können es uns nicht erlauben, dass ein Transfer komplett schief geht", sagt Eichin und bemüht einen Vergleich, um die Bremer Lage nicht ganz so dramatisch erscheinen zu lassen: "Wenn Sie mit 2000 Euro oder mit 150 Euro in die Stadt gehen und Klamotten kaufen wollen, dann müssen Sie mit 150 Euro hinterher nicht unbedingt schlechter aussehen. Aber dafür müssen Sie einen Pullover vielleicht fünfmal anprobieren und nach Schnäppchen suchen."
Galvez (von Rayo Vallecano), Hajrovic (von Galatasaray) und Fin Bartels (vom FC St. Pauli) kamen im Sommer ablösefrei. Garcia wurde nach seiner Ausleihe für 1,5 Millionen Euro fest verpflichtet, dazu kamen 100.000 Euro für Husic von den Bayern-Amateuren.
Auf der Einnahmenseite stehen die Verkäufe von Mehmet Ekici (1,5 Mio., Trabzonspor), Niclas Füllkrug (300.000, Nürnberg) und Johannes Wurtz (250.000, Greuther Fürth), sowie das Leihgeschäft von Martin Kobylanski zu Union Berlin (200.000 Euro Leihgebühr). Macht ein Transferplus von 650.000 Euro, im Jahr davor waren es über drei Millionen Euro - das ist die Bremer Realität. Ein großer Spielraum bleibt da nicht.
Umso ärgerlicher sind dann Transfers wie der von Obraniak im Winter, der als spielerisches Element der Mannschaft zugeführt werden sollte, dann aber zuerst oft auf der Bank und mittlerweile nur noch auf der Tribüne sitzt. 1,5 Millionen Euro war Obraniak teuer. Auch Petersen (drei Mio.), Makiadi (drei Mio.) und mittlerweile Caldirola (2,25 Mio.) helfen der Mannschaft kaum weiter.
In dieser Saison reihen sich dazu Galvez und Hajrovic ein, die beide Schlüsselpositionen bekleiden, bisher aber nicht die erwünschten Leistungen bringen. Zusammen sind das einige kostspielige Fehlgriffe zu viel, welche auf den Trainer und ganz besonders natürlich auf den Manager zurückfallen.
"Wir müssen uns alle an den Ergebnissen messen lassen", sagt Eichin. Bisher fällt diese eine Bilanz für ihn eher durchwachsen aus. Mit Rouven Schröder hat er sich womöglich auch deshalb im Sommer einen erfahrenen Partner mit guten Kontakten und einem gewissen Auge für talentierte Spieler zur Seite geholt. Das ist inhaltlich absolut nachvollziehbar, kostet aber auch. Mit Schröder als "Direktor Kaderplanung und Scouting", sowie Frank Baumann als "Direktor Profifußball und Scouting" arbeiten gleich zwei Mitarbeiter Eichin zu.
Seite 2: Personal und Transferpolitik
Seite 3: Hinter den Kulissen und Ausblick
Hinter den Kulissen:
Es ist unruhig geworden in Bremen. Die Debatten um selbst zu bezahlende Polizeieinsätze bei Risikospielen stören und nehmen durch den endgültigen Beschluss des Bremer Senats schon bald konkrete Züge an. Rund eine Million Euro pro Jahr würde das an Mehraufwand für Werder bedeuten.
Der plötzliche Vorstoß von Klaus-Dieter Fischer, der einen Paradigmenwechsel für die Werder-Familie vorschlägt und dabei auf reges Interesse stößt, lässt die zukünftige Ausrichtung des Klubs offen.
Der Wechsel im Aufsichtsrat, wo Marco Bode noch in diesem Jahr den Vorsitz von Willi Lemke übernehmen soll, sieht auf den ersten Blick nach einer großen Rochade aus, ist aber vorerst nur eine kleine Veränderung, die mehr Symbolcharakter als Einfluss auf die anstehenden Entscheidungen haben dürfte. Allerdings galt Lemke in letzter Zeit immer mal wieder als Bremsklotz größerer Investitionen - eine Einmischung von Partner "Infront" in die Entscheidungen auf Werders Führungsebene habe es aber nicht gegeben.
Dass die Stadionauslastung offenbar nicht nur auf 17 Bundesliga-, sondern auch auf drei weitere (DFB-Pokal, Europapokal) Partien ausgelegt ist, ist ein Kardinalfehler. Seit mittlerweile vier Jahren fehlen diese Einnahmen nun schon. Die Stadt als Partner der Bremer Weser-Stadion GmbH ist da ihrer Kontrollfunktion wohl nicht hartnäckig genug nachgegangen.
Fischer hatte zuletzt erstmals offen zugegeben, dass die grundlegenden Fehler in der Vergangenheit gemacht wurden - in dem Irrglauben, die fetten Jahre mit Champions League oder Europa League würden immer so weitergehen. Mit diesen ungünstigen Voraussetzungen müssen die beiden Protagonisten in vorderster Front klarkommen. Robin Dutt und Thomas Eichin stehen im Fokus eines schlingernden Klubs, auf sie und ihre Arbeit konzentriert sich letztlich fast alles.
Ein Ausblick:
Die Partie gegen Köln wird zu einem Knackpunkt in dieser Saison. Bei einem Sieg ist die Lage ein wenig erträglicher, vor allen Dingen würde die Mannschaft dann aber merken, dass sie auch noch Spiele gewinnen kann. Alles andere käme ziemlich sicher der Demission Dutts gleich.
Trotzdem wiegeln beide, Dutt und Eichin, im Vorfeld ab: "Wir sprechen nicht von einem Endspiel, sondern von einem absolut wichtigen Spiel", sagt Dutt. Ob der Trainer bei einem Misserfolg auch am Samstag noch im Amt sei?
"Ich möchte diese Frage auch nach wie vor nicht beantworten, weil sie sich nicht stellt", behauptete Eichin am Donnerstag. "Wir müssen schleunigst sehen, dass wir von diesem 18. Tabellenplatz herunterkommen." Und wenn nicht? "Ich bin kein Prophet, was morgen um 22.15 Uhr ist." Werders (nahe) Zukunft hängt elementar von den Ereignissen am Freitagabend ab. So viel steht fest.