Probleme bei der Selbstfindung

Stefan RommelAndreas Lehner
28. November 201411:05
Uli Hoeneß wird erstmals seit langem nicht an der Veranstaltung teilnehmengetty
Werbung
Werbung

Am Freitag hält der FC Bayern seine Jahreshauptversammlung ab und wird dabei neue Rekordzahlen verkünden. Es ist die erste JHV ohne Uli Hoeneß seit Jahrzehnten, der Veranstaltung wird etwas fehlen. Wie hat sich der Klub ohne seinen Übervater entwickelt?

Was waren das für Veranstaltungen, die der FC Bayern München seinen Mitgliedern und der Öffentlichkeit schon kredenzt hat. Vollgepackt mit Pathos und Heimeligkeit, identifikationsstiftend und emotional.

Die spröden Zahlen, um die es auf den ordentlichen Jahreshauptversammlungen zu einem großen Teil auch geht, wurden immer schön eingehüllt von zahllosen kleinen und großen Nebenkriegsschauplätzen - und nicht selten artete eine solche Veranstaltung dann zu einem folkloristischen Vergnügen aus.

Die letzten bewegenden Auftritte gehörten ausschließlich Uli Hoeneß, der als Patron, als Mahner oder Provokateur auftrat und sich bei seinen beiden letzten Treffen mit der Basis die Absolution für seine privaten Vergehen einholte.

Wer übernimmt den emotionalen Part?

Am Freitag steht die ordentliche Jahreshauptversammlung der Bayern im Jahr 2014 an. Der Rekordmeister wird einmal mehr jede Menge neuer Rekordzahlen verkünden, die Mannschaft wird gefeiert werden, die zuweilen etwas skurrilen Wortmeldungen zum Ende der Sitzung untergehen. Und einer wird nicht da sein. Erstmals seit 35 Jahren wird der Protagonist der letzten Jahrzehnte fehlen.

Bundesliga Spielplaner - Der Tabellenrechner von SPOX.comUli Hoeneß hat die Zusammenkünfte der Bayern-Familie geprägt wie kein anderer. Am Freitag werden andere seinen Platz ausfüllen müssen. Und sie werden scheitern, auch das dürfte jetzt schon feststehen. Karl Hopfner wird die Veranstaltung als Präsident leiten und moderieren. Er ist der dienstälteste aller Redner, er ist Münchener und seit 30 Jahren im Verein. Er bringt am ehesten noch eine Vita mit wie Hoeneß. Aber der ehemalige Herr der Zahlen ist gewiss kein Meister der großen Worte.

Karl-Heinz Rummenigge wird als Vorstandsvorsitzender über das Geschäftsjahr parlieren und auch die sportlichen Zusammenhänge nochmal Revue passieren lassen. Rummenigge ist ein Kopfmensch, dazu auf Grund seiner Nebenbeschäftigung im Zusammenschluss der großen europäischen Klubs nicht völlig unabhängig. Matthias Sammer würde man am ehesten noch einige emotionale und vielleicht auch explosive Worte zutrauen, als Sportvorstand sieht ihn das Protokoll als Redner aber nicht vor.

Der Anfang des Comebacks

Es dürfte eine vergleichsweise langweilige Veranstaltung werden im Audi-Dome. Und keine One-Man-Show, wie es die letzten beiden Abende waren. Mit polarisierenden Auftritten hat sich Hoeneß da schrittweise und vorläufig verabschiedet, sein "Das war's noch nicht!" hallt auch ein halbes Jahr nach der außerordentlichen Versammlung Anfang Mai noch gut hörbar nach.

Vor wenigen Tagen haben die Bayern auch offiziell verkündet, was vermutet worden war: Der Patron kehrt Anfang des kommenden Jahres zurück zu seinem FC Bayern. Ab Januar soll er in der Nachwuchsabteilung arbeiten. "Da freuen wir uns alle drauf. Ich glaube, das ist für ihn eine unwahrscheinliche Erlösung", sagt Hopfner. "Wir hoffen, dass er im Januar, an welchem Tag auch immer, anfangen kann."

Für den Freigänger Hoeneß wird es der Anfang einer scheibchenweisen Rückkehr. Die Aufgaben der Nachwuchsabteilung, unter anderem mit dem Bau eines neuen Leistungszentrums nahe der Arena im Münchener Norden, sind gewiss umfangreich und anspruchsvoll. Trotzdem ist zu erwarten, dass dies für Hoeneß nur der Anfang des Comebacks sein dürfte.

Der FC Bayern hat sich verändert

Die Anstellung in der Nachwuchsabteilung erfolge auf seine eigene Anregung: "Das hat Uli selbst so gewünscht", betont Hopfner. "Da freuen wir uns alle drauf. Ich glaube, das ist für ihn eine unwahrscheinliche Erlösung, wenn er hier wieder in einen anderen Rhythmus reinkommt und auch wieder unter uns sein kann. Welche Aufgaben er dort im Nachwuchsbereich übernehmen wird und wo er seine Schwerpunkte setzen möchte, das muss mit ihm dann besprochen werden."

Die Realisierung dieses Projekts, mit der Speerspitze Hoeneß als Bindeglied zwischen Nachwuchsabteilung und Profimannschaft, sei die perfekte Aufgabe für den Macher des modernen FC Bayern.

Wenn der Übervater zurückkehrt, wird er einen etwas anderen FC Bayern vorfinden. Hoeneß war es, der dem Klub 30 Jahre lang ein Gesicht gegeben hat. Der die Attacken geritten und die Glanzpunkte gesetzt hat. Der angeeckt ist und den Blitzableiter gespielt hat. Hoeneß' Rolle mussten sich in den letzten Monaten andere auf die Fahnen schreiben. Mit eher mittelmäßigem Erfolg.

Erneuerungsprozess stockt

Angeblich gibt der Klub am Freitag bekannt, dass die Marke von 250.000 Mitgliedern geknackt wurde. Damit wären die Bayern der mitgliederstärkste Verein der Welt, was nur folgerichtig wäre für einen Klub, der in aller Herren Länder expandiert und die Märkte in Fernost und Nordamerika als besonders lohnenswert in Angriff genommen hat.

Seite 1: Wer übernimmt den emotionalen Part auf der JHV?

Seite 2: FC Bayern zwischen Internationalisierung und Provinz

Hierin liegt ein großes Spannungsfeld: So klar die Bayern global denken müssen, so unklar sind einige interne Abläufe auch Monate nach Hoeneß' vorläufigem Abschied. Die Verantwortlichen verlieren sich ein wenig in ihrem eigenen Kosmos. Über 30 Jahre lang hat Hoeneß nahezu alles selbst geregelt, und als er dann vom Amt des Managers zurückgetreten ist und einen "geregelten Übergang" einforderte, fingen die Probleme an.

Der Start mit Christian Nerlinger misslang, darauf kehrten mit Sammer die Ruhe und Erfolge ein. Hoeneß' Verurteilung bringt das Konstrukt wieder ins Wackeln, der Erneuerungsprozess endete abrupt.

Umso erstaunlicher sind die sportlichen Erfolge seit Bekanntwerden von Hoeneß' Steuervergehen, die Mannschaft hat sich von all dem nicht beeinflussen lassen. Das spricht zum einen für die Profis selbst, auf der anderen Seite macht es aber auch klar, dass das kickende Personal selbst vom Wohl und Wehe eines Uli Hoeneß nicht abhängig ist.

Die Basis will gehört werden

Die Bayern stecken hinter den Kulissen weiter mittendrin in ihrem Selbstfindungsprozess. Sportliche Entscheidungen sind stark auf Rummenigge übergegangen, er übernimmt etwa die Ablöseverhandlungen bei Spielertransfers. Man könnte annehmen, dass dies eigentlich in Sammers Aufgabenbereich fallen müsste. Der bekleidet beim FCB aber einen Posten, der extra für Sammer erfunden wurde - dementsprechend gibt es auch kein klares Jobprofil. Sammer entscheidet selbst, was er sich zumuten will und was nicht. SPOX

Er betreibt den sportlichen Kassensturz, ist tief drin in der Kaderzusammenstellung, gibt die Leitlinien vor. Mit Michael Reschke und dem Leistungsdiagnostiker Holger Broich hat er sich dafür noch zwei Mitstreiter geholt. Sammer behält den Überblick und gibt den Berater. Mit den handfesten Abläufen zum Beispiel in der Vertragsgestaltung hat er kaum etwas zu tun.

Eine entscheidende Frage, die den "Mia san mia"-Klub umtreibt ist die, wer sich wie um die Basis kümmern soll. Das war immer Hoeneß' Feld, es war sogar seine Leidenschaft. Morgens mit den Größen der Politik im Kanzleramt, abends im Bierzelt in Rosenheim - Hoeneß hat den Spagat hinbekommen, er war auf allen Spielfeldern zuhause.

Zwischen Internationalisierung und Provinz

Als er zum Boss bei den Bayern aufstieg, setzte er alle vier Wochen ein Präsidentengespräch auf die Tagesordnung. Jedes Mitglied durfte sich bewerben, Hoeneß lud dann vor Heimspielen 20 Mitglieder zum mehrstündigen Diskurs. Und wenn er etwas versprach, dann hielt er auch sein Wort.

Trainingslager und Vorbereitungsspiele verlegen die Bayern nach Katar, die USA und im nächsten Sommer nach China. Wo bleiben dann die Kicks in Weiden, Miesbach oder Landsberg? Die Basis ist gerade für einen Verein wie die Bayern ein unschätzbar teures Gut und Hoeneß hat stets dafür gesorgt, dass es an der Basis läuft.

Im schwelenden Streit zwischen Pep Guardiola und Bayern-Doc Hans-Wilhelm Müller-Wohlfahrt wird dementiert und geschwiegen. Und nicht nur Lothar Matthäus findet, dass es eine solche Konstellation unter Hoeneß nicht gegeben hätte. "Der hätte beide an einen Tisch geholt und die Sache aus der Welt geschafft."

Bis zum letzten Atemzug

Hoeneß war das Mädchen für alles und der Kit, der die einzelnen Abteilungen im Unternehmen zusammenhielt. An seiner Stimmung konnte man auch immer ein wenig das Innenleben des Klubs ablesen. Derzeit ist das schwer. Da wird auch die Jahreshauptversammlung wenig zur Erleuchtung beitragen. SPOX

Es soll die einzige bleiben, auf der die Bayern auf Hoeneß verzichten müssen. "Mir persönlich wäre es lieber gewesen, er würde hier stehen", sagte Karl Hopfner bei der letzten Versammlung. "Uli Hoeneß war und ist Visionär, Kopf, oft auch Herz und immer Seele des FC Bayern München." Das alte Büro an der Säbener Straße ist bis heute unberührt und verschlossen.

"Uli ist eine große Persönlichkeit. Er hat viel für den Verein getan. Die Türen für ihn stehen bei uns offen. Für mich war er immer ein wichtiger Ratgeber. Bei wichtigen Entscheidungen stelle ich mir oft die Frage: 'Was würde Uli Hoeneß tun?'", gibt Sammer zu.

Die letzten Worte von Hoeneß an seine Jünger im Mai ließen bereits durchklingen, wie das in gar nicht mehr so ferner Zukunft wieder laufen soll. Für die Konkurrenz klangen sie wie eine Drohung. "Viele sagen, Uli Hoeneß hat durch seinen Fehler sein Lebenswerk zerstört. Ich sehe das nicht so. Wenn ich zurück bin, werde ich mich nicht zur Ruhe setzen - ich werde diesem Verein dienen, bis ich nicht mehr atmen kann."

Seite 1: Wer übernimmt den emotionalen Part auf der JHV?

Seite 2: FC Bayern zwischen Internationalisierung und Provinz