Christian Heidel arbeitet seit 1991 beim 1. FSV Mainz 05. Unter dem Manager entwickelte sich der Verein enorm weiter und hat sich mittlerweile fest in der Bundesliga etabliert. Heidel spricht im ersten Teil des Interviews über einen entscheidenden Trip nach Dänemark, die Qualitäten von Cheftrainer Kasper Hjulmand und erzählt ausführlich von Thomas Tuchels plötzlichem Rücktritt am Ende der vergangenen Saison. Teil 2 des Interviews lesen Sie am kommenden Freitag.
SPOX: Herr Heidel, wer hätte denn sonst noch Chancen gehabt, neuer Trainer von Mainz 05 zu werden, wenn Sie 2012 nicht zufällig ein Spiel von Nordsjaelland gesehen hätten?
Christian Heidel: Da bin ich ehrlich: Kann ich nicht beantworten. Nachdem wirklich klar war, dass bei uns ein Trainerwechsel bevorsteht, hatten wir uns früh auf Kasper Hjulmand fokussiert. Ich war noch nie derjenige, der gleichzeitig mit sechs Trainern gesprochen hat um herauszufinden, wer der Beste davon ist. Die Gespräche mit Kasper waren von Anfang an so, dass ich überzeugt war, er sei der Richtige. Ich hatte keine anderen Termine vereinbart.
SPOX: Wie kam es überhaupt dazu, dass Sie damals das Spiel gesehen haben?
Heidel: Das war Zufall. Wir hatten entweder spielfrei oder haben schon Freitagabend gespielt, das weiß ich nicht mehr. 100 Kilometer rund um Kopenhagen ist es so, dass man sich an drei Tagen vier oder fünf Spiele anschauen kann. Solche Punkte picke ich mir gerne heraus. Ich war weder auf aktiver Trainer- noch Spielersuche. Es gab zwei, drei Spieler, die ich mir gerne einmal anschauen wollte. Ich hatte von Nordsjaelland zuvor kaum etwas gehört und wusste auch nicht, wer dort Trainer war. Es war das vierte und letzte Spiel meiner Reise und ich dachte, ich wäre auf einmal in einem anderen Land.
spoxSPOX: Sie sagten, dieses Team habe völlig anders als die restlichen dänischen Mannschaften gespielt.
Heidel: Das war total augenscheinlich. Nordsjaelland ist später sogar Meister geworden, das ahnte ich zu dem Zeitpunkt ja alles überhaupt nicht.
SPOX: Haben Sie sich im Anschluss gleich detailliert über Trainer und Verein informiert?
Heidel: Ich habe nicht alle Spiele weiterverfolgt, aber Ergebnisse und Tabellenstand schon ein bisschen.
SPOX: Der Name Kasper Hjulmand kam also erst wieder auf, als Sie aktiv auf Trainersuche waren?
Heidel: Genau. Den deutschen Markt kenne ich natürlich, also habe ich überlegt, was es noch um Deutschland herum gibt. Ich bin die Länder innerlich durchgegangen und dann fiel mir mein Trip nach Dänemark ein. Damals saß ein Spielerberater neben mir auf der Tribüne und sagte mir, dass Nordsjaelland deshalb einen ganz anderen Fußball als alle anderen spielen würde, weil deren Trainer eine völlig andere Herangehensweise an Taktik und Spielweise wählt. Für ihn sei nicht nur das Zweikampfverhalten oder die Laufstrecke wichtig, sondern besonders Dinge wie die Anzahl, Art und Qualität der Pässe. Eine durchschnittlich besetzte Mannschaft dominierte plötzlich die dänische Liga. Das war mir alles noch im Kopf und ich fing an, mich richtig mit ihm zu befassen.
Christian Heidel spricht im zweiten Teil des Interviews über die Investoren-Problematik und Überlebenschancen in der Bundesliga - am Freitag auf SPOX.com
SPOX: Die Position des Trainers ist beim FSV seit jeher die wichtigste. Man darf in Ruhe arbeiten, es gibt keinen Sportdirektor. Wie präsent waren Sie denn als Manager in den ersten Tagen von Hjulmand, haben Sie ihm da verstärkt über die Schulter geschaut?
Heidel: Da geht es weniger um Vertrauen oder Misstrauen. Es hat mich einfach interessiert. Man möchte die Arbeitsweise des neuen Trainers kennenlernen. Ich habe mich dabei aber wie immer im Hintergrund aufgehalten. Ich bin zwar präsent, ergreife aber in der Regel weder in Sitzungen das Wort, noch diskutiere ich mit dem Trainer über die Aufstellung. All das würde einen Trainer kleiner machen. Er muss für die Spieler die Nummer eins im sportlichen Bereich sein - und nicht der Manager. Ich sehe meine Rolle eher im Hintergrund. Präsenz muss auch nicht immer körperliche Präsenz bedeuten. Es reicht, wenn jeder weiß: Da ist noch jemand, der die Spielregeln, die einzuhalten sind, vorgibt.
SPOX: War für Sie zu Beginn der Trainersuche gleich klar, dass auch ein anderer Menschenschlag als der, dem Thomas Tuchel angehört, in Frage kommt?
Heidel: Absolut. Ich habe keine Thomas-Tuchel-Kopie gesucht. Wichtig ist für uns, dass die Trainer kommunikativ sind und ein fundiertes taktisches Wissen mitbringen. Wir wollen keinen General, der draußen alleine im Wind steht und und dem es nur um das Ergebnis geht. Es muss eine gute Atmosphäre zwischen Trainer und Mannschaft herrschen, eigentlich im ganzen Verein. So total unterschiedlich sind Tuchel und Hjulmand auch nicht, denn für diese Werte stehen sie beide.
SPOX: Im aktuellen Kader stehen Spieler aus 14 unterschiedlichen Nationen. Das gab es in Mainz noch nie. Wie sehr kommt es generell auf Werte wie Empathie und Menschenkenntnis an?
Heidel: Mir sind soziale Kompetenzen eminent wichtig. Der Mensch und der Umgang der Menschen müssen bei Mainz 05 immer eine besondere Wertigkeit haben - und nicht nur das bloße Ergebnis. Unser Trainer muss über seine Spieler alles wissen, um sie auch greifen, bewerten und einschätzen zu können. Grundvoraussetzung dafür ist natürlich Intelligenz. Zudem geht es ja auch nicht nur darum, 20 gute Fußballer zu finden. Die Kunst ist es, aus diesen 20 eine gute Mannschaft zu bauen. Auch bei den Spielern spielen hierfür soziale Faktoren, Charakter, Mentalität eine große Rolle. Menschenkenntnis ist eine Führungsqualität und reduziert falsche Entscheidungen.
SPOX: Hundertprozentig sicher sein kann man sich bei Spielern im Voraus aber nicht, oder?
Heidel: Nein, aber wenn ich mich mit einem Spieler vor der möglichen Verpflichtung drei Stunden unterhalte, bekomme ich ein Gefühl dafür, welch ein Typ das ist und ob er in das Gesamtgefüge passt. Daher unterhalten sich auch erst der Trainer und dann ich mit dem Spieler - Vertrag und Geld spielen da keine Rolle. Wir haben schon oft sehr gute Typen und Fußballer nach Hause geschickt, obwohl sie Top-Fußballer, aber eben zum Zeitpunkt nicht die Richtigen für unsere Zusammensetzung waren.
SPOX: Jürgen Klopp und Tuchel waren beide Charaktere mit Ecken und Kanten. Hjulmand kommt noch etwas zurückhaltend daher. Welche Ecken und Kanten sind Ihnen an ihm bislang aufgefallen?
Heidel: Kasper musste natürlich auch etwas warm werden. Neues Land, neue Liga, neuer Verein. Er hinterfragt alles und will alles wissen, was im Verein passiert. Er will eine Mannschaft entwickeln, die zur Entwicklung des Vereins passt. Er ist emotionaler als viele glauben. Fakt ist aber: Gute Trainer sind immer auch kompliziert.
Seite 1: Heidel über Trainer Hjulmand und den entscheidenden Trip nach Dänemark
Seite 2: Heidel über Thomas Tuchel, dessen Rücktritt und ein klärendes Gespräch
SPOX: Wie "kompliziert" ist Hjulmand?
Heidel: Er analysiert alles und sucht Lösungen und Wege. Das betrifft nicht nur seine aktuelle Mannschaft, sondern eigentlich den ganzen Klub. Das Miteinander aller ist ihm extrem wichtig. So muss ein Trainer von Mainz 05 auch sein. Er darf nicht nur schauen, ob wir am 34. Spieltag Fünfter, Neunter oder Dreizehnter geworden sind, sondern muss auch die mittel- oder langfristige Auswirkungen von Entscheidungen bedenken.
SPOX: Er darf also nicht im Kopf haben, Mainz als Sprungbrett benutzen zu wollen.
Heidel: Nein. Wenn es zeitlich geht, schaut Kasper jedes Spiel unserer U 23 oder U 19. Das gibt mir das Gefühl, dass er sich mehr als ein Jahr für uns interessiert. Die Überschrift unserer Zusammenarbeit lautet immer "Entwicklung". Als wir uns damals unterhalten haben, war das Wort "development" in jedem Satz dabei. Wir haben uns als gesamter Klub unter Klopp und Tuchel weiterentwickelt, durch Kasper kommen jetzt wieder neue Ideen hinzu. Das ist uns sehr wichtig.
SPOX: Wie sieht derzeit eigentlich Ihr Kontakt zu Tuchel aus?
Heidel: Zur Zeit sehen wir uns nicht. Es hat sich noch nicht ergeben.
SPOX: Sie beide haben sich die letzten Jahre täglich ausgetauscht. Fehlt Ihnen das nicht auch irgendwo oder lenkt das Tagesgeschäft zu sehr ab, um so etwas wirklich zu bemerken?
Heidel: Das kann man so nicht sagen. Trainerwechsel gehören dazu. Aber ich schätze Thomas als Mensch einfach sehr. Wenn man die deutsche Meisterschaft mit der A-Jugend hinzunimmt, hatten wir fünfeinhalb überragende Jahre - und dann ein halbes problematisches Jahr. Wir haben oft diskutiert, aber hatten keinerlei Dissonanzen. Er hat hier in einer Eigenverantwortung und Freiheit arbeiten und sich entwickeln können, die wohl bei keinem anderen Klub möglich ist. Davon haben Trainer und Verein sehr profitiert.
SPOX: Dennoch wollte er nicht weitermachen.
Heidel: Das war sicherlich keine alltägliche Entscheidung. Eigentlich muss ich auch sagen, dass die wirkliche Problematik erst in den letzten vier Wochen aufgekommen ist. Ich habe seinen Entschluss akzeptieren können. Die einzige Sache, bei der wir angeeckt sind, war die Art, wie seine Entscheidung an die Öffentlichkeit kam. Ich glaube, dass dies der Punkt ist, der Thomas stört.
SPOX: Tuchel hat vor dem letzten Spiel gegen den Hamburger SV ein Interview gegeben, nach dem im Prinzip jeder wusste, dass dies sein letztes Spiel als FSV-Trainer sein würde - auch wenn er es nicht ausgesprochen hat.
Heidel: Wir haben dann den HSV geschlagen und sind in die Europa-League-Qualifikation eingezogen. Es gab aber nach Spielende nur ein einziges Thema: Was passiert auf der von Thomas angekündigten Pressekonferenz am Tag darauf?
SPOX: Sie wussten von seiner Entscheidung schon lange.
Heidel: Seit der letzten Januar-Woche. Wir hatten vereinbart, dass wir das bis zum letzten Spieltag nicht nach außen geben, um in Ruhe arbeiten zu können. An diesem Tag habe ich dann aber nach Spielschluss um halb sechs entschieden, dass ich der Presse jetzt das bestätigen muss, was eh schon jeder wusste. Wir hätten als Verein sonst ein merkwürdiges Bild abgegeben.
SPOX: Das fand Tuchel wiederum nicht so toll.
Heidel: Ich glaube, ja. Das kann ich aus seiner Perspektive auch nachvollziehen. Nach Spielende haben sich die Dinge ein bisschen überschlagen und der Verein war gezwungen, sich zu erklären. Die Reaktion der Öffentlichkeit hat dies aber nicht beeinflusst, da bin ich sicher. Meine Befürchtungen hierzu hatte ich Thomas auch Wochen vorher schon gesagt.
Christian Heidel spricht im zweiten Teil des Interviews über die Investoren-Problematik und Überlebenschancen in der Bundesliga - am Freitag auf SPOX.com
SPOX: Wie sah denn die Zusammenarbeit von Januar bis Mai aus?
Heidel: Ohne jegliche Probleme. Ich glaubte und glaube ihm die Beweggründe für seinen Schritt zu einhundert Prozent. Ich habe immer gehofft, dass er seine Meinung noch ändert und die neue Saison doch noch durchzieht.
SPOX: Was oft unklar war: Hat Tuchel bei Ihnen um seine Freigabe gebeten?
Heidel: Nicht ein einziges Mal. Überall wird das aber behauptet. Er kam nie zu mir und hat gesagt, er würde jetzt gerne wechseln. Stattdessen hat er zu mir gesagt: Ich möchte aufhören, aber ich habe hier einen Vertrag und kann nur irgendwo arbeiten, wenn du ja sagst. Das rechne ich ihm sehr hoch an. Er hat auch nie gesagt, dass er dieses sogenannte Sabbatjahr für die komplette Zeit durchziehen möchte. Er hat gesagt: Momentan will ich nicht, aber wenn ich irgendwann einmal zu dir kommen sollte, musst du es entscheiden. Wir waren uns da vollkommen einig, das war korrekt und fair.
SPOX: Was passiert, wenn Tuchel morgen anruft und bei einem neuen Verein anfangen möchte?
Heidel: Dann werden wir das besprechen und entscheiden.
SPOX: Sie sagten, Sie wollen sich mit Tuchel auf jeden Fall noch einmal hinsetzen und alles bereden. Befürchten Sie, dass das weniger akut sein könnte, je mehr Zeit vergeht?
Heidel: Nein. Wenn das Emotionale mal draußen ist, wird das auch passieren, hoffe ich. Mich bedrückt das schon, daraus mache ich keinen Hehl. Aber nicht aus dem Gefühl eines schlechten Gewissens heraus. Ich habe über Thomas Tuchel noch nie ein schlechtes Wort verloren, auch nicht hinten herum. Hierfür gibt und gab es für mich auch keinen Grund. Ich schätze ihn als Trainer und als Mensch. Daran wird sich nichts ändern.
SPOX: Wäre es dann aber nicht besser, dass das Gespräch stattfindet, bevor er mit einem neuen Klub um die Ecke kommt?
Heidel: Nein. Das hat ganz sicher überhaupt nichts miteinander zu tun. Das kann ich trennen.
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