SPOX: Herr Di Santo, Sie sind ein lustiger Typ. Wie passen Fröhlichkeit und das ernste Geschäft Profifußball zusammen?
Franco di Santo: Ich stehe vor der Wahl: Soll ich positiv denken und meine Mitspieler damit vielleicht mitreißen? Oder soll ich schlecht gelaunt sein und alles negativ sehen? Ich entscheide mich dann lieber für die erste Variante. Ich war schon immer ein positiver Mensch, das hat sich auch durch meinen Beruf nicht verändert. Ich glaube, dass man damit leichter durchs Leben kommt.
SPOX: Sie kommen aus eher ärmlichen Verhältnissen, verdienen jetzt aber jede Menge Geld. Der Fußball hat Sie wirklich nicht verändert?
Franco di Santo: Ich bin so geblieben, wie ich schon mein ganzes Leben war. Für mich ist es nicht wichtig, ob man viel oder wenig Geld hat, ob einer einen Euro in der Tasche hat oder Millionen auf dem Konto. Natürlich können einige damit nicht umgehen, wenn sie plötzlich im Überfluss leben. Gerade als Profi kommt man in Kontakt mit allen Schichten, vom wohlhabenden bis runter zum normalen Fan, der auch den letzten Euro für seinen Klub gibt. Es ist eins der schwierigen Dinge im Leben, alle gleich zu behandeln.
SPOX: Und Ihnen gelingt das ganz gut?
Di Santo: Das ist zumindest eine Sache, die mich meine Eltern ständig gelehrt haben. "Du musst jeden gleich behandeln", haben sie immer gesagt, "das öffnet dir die Türen."
SPOX: Was bedeutet Ihnen Ihre Familie?
Di Santo: Alles! Ich bin ein Einzelkind, ich wurde immer gut behütet. Ich bin ganz ehrlich: Ich hatte immer das Ziel, meinen Eltern ein eigenes Haus zu kaufen, wenn ich es als Profi schaffen sollte - selbst wenn ich danach unter der Brücke schlafen müsste. Ich kann jetzt behaupten: Ich habe diesen einen Job erledigt.
SPOX: Warum sind Sie als Jugendlicher eigentlich ins Nachbarland Chile gewechselt?
Di Santo: Ich habe in Rosario bei Sichtungslehrgängen vorgespielt und wollte da auch zu einem der großen Klubs. Aber dann wollte der Typ, der mich dahin vermittelt hatte, plötzlich einen großen Teil meiner Persönlichkeits- und Marketingrechte kassieren. Das haben meine Eltern nicht mitgemacht. "Wir sind vielleicht arm, aber wir sind nicht dumm. Wir geben dir nicht unseren Sohn, damit du ihn unglücklich machst", haben sie ihm gesagt und vom Hof gejagt.
SPOX: Wie ging es dann weiter?
Di Santo: Ein ehemaliger Freund der Familie - heute ist er nicht mehr unser Freund - hat mich dann nach Chile vermittelt. Da war ich 13 Jahre alt. Ich also mit dem Mann rüber über die Grenze. Er hat mich abgeliefert und war danach verschwunden, ich habe ihn nicht wieder gesehen. Ich dachte, was zur Hölle ist denn jetzt los? Ich war in einem fremden Land und hatte nichts dabei. Ich war in einer Pension untergebracht mit anderen Spielern, Humberto Suazo (ehemaliger chilenischer Nationalspieler, derzeit bei Colo Colo unter Vertrag, Anm. d. Red.) war dabei, Luis Marin (chilenischer Nationaltorhüter, derzeit bei Union Espanola unter Vertrag, Anm. d. Red.) auch. Und eine alte Dame, die ab und zu für uns gekocht hat. Oder wir für sie. Die anderen Spieler waren deutlich älter als ich und haben mir sehr geholfen.
SPOX: Sie waren mit 13 Jahren alleine in einem fremden Land - wieso haben Sie nicht einfach zu Hause angerufen und sich Hilfe geholt?
Di Santo: Ich hatte nicht einmal Geld, um zu telefonieren. Ich hatte eineinhalb, vielleicht zwei Monate nicht mehr mit meiner Familie gesprochen. Also bin ich zu einem Klubangestellten und habe mir Geld besorgt, um endlich wieder Kontakt zu meinen Eltern zu haben. Mein Vater war sehr aufgebracht am Telefon und hat mir gesagt, ich solle sofort zurückkommen. "Von welchem Geld soll ich das bezahlen?", habe ich ihn gefragt. Er hat sich dann die Nummer des Klubpräsidenten besorgt und ihn kontaktiert. Der habe meinem Vermittler Geld für mich gegeben. Nur ist das nie bei mir gelandet. Deshalb sind wir jetzt übrigens nicht mehr mit ihm befreundet...
SPOX: Sie durften aber trotzdem da bleiben?
Di Santo: Der Präsident hatte ja bereits Geld in mich investiert, also wollte er mich zumindest einmal spielen sehen. Es war eine Art Sichtungsspiel gegen eine U-19-Mannschaft. Ich war inzwischen 14 und habe ihn offenbar einigermaßen beeindrucken können. Nach dem Spiel hat er meinen Vater angerufen und ihm versichert, dass er sich ab sofort um mich kümmern werde. Ich habe von da an jeden Monat ein wenig Geld bekommen für Lebensmittel, ich bin wieder zur Schule gegangen. Und dann nahmen die Dinge ihren Lauf.
SPOX: Sie wurden 2006 vom FC Chelsea entdeckt und haben später auch ihren ersten großen Vertrag dort unterschrieben. War es immer ihr Ziel, eines Tages als Profi in Europa zu spielen?
Di Santo: Natürlich. Für jeden Spieler aus Südamerika ist Europa ein Traum. Auf dieses Ziel arbeiten alle hin.
SPOX: War es die richtige Entscheidung, gleich bei einem so großen Klub wie Chelsea zu starten?
Di Santo: Das kann ich schwer beantworten. Da waren Schewtschenko, Anelka, Drogba, Kalou und Pizarro. Man kann wohl sagen, sie waren im Angriff gut besetzt. Und ich war ein Teenager. Ich habe es zwar oft in den Kader geschafft, aber wenig gespielt. Trotzdem habe ich dort viele schöne Dinge erlebt und viel gelernt. Ich war selbst im Training stets von einigen der besten Spieler der Welt umgeben.
SPOX: Sie wurden zu den Blackburn Rovers ausgeliehen, wo Sam Allardyce Trainer war. Ein sehr spezieller Trainertyp.
Di Santo: Das waren alle meine Trainer. Okay, "Big Sam" war wirklich richtig groß, er war eine Persönlichkeit. Man hat ihm besser zugehört, wenn er geredet hat... Aber ich war jung und habe mich in erster Linie darauf konzentriert zu spielen. Für andere Dinge hatte ich da keine Augen.
SPOX: Wie sind Sie mit dem Stil in England zurechtgekommen?
Di Santo: Nur sehr schwer. Immer diese langen Bälle, dann den Ball behaupten, abschirmen, weiterleiten. Alles mit dem Rücken zum Tor. In den meisten Fällen kam es gar nicht so weit, weil dich der Verteidiger im Luftkampf gekillt hat.
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