Vom totalen Stress runter auf null: Wie der ehemalige VfB-Sportvorstand Fredi Bobic das Leben nach Stuttgart neu sortiert - und sich selbst kritisch hinterfragt. Und warum er Leipzig und den englischen Sensationsverein Southampton als Modelle der Zukunft ansieht.
SPOX: Herr Bobic, Ende September gab der VfB Stuttgart die Trennung von Ihnen bekannt. Vermissen Sie den stressigen Alltag?
Fredi Bobic: Wenn Sie so fragen: nein. (lacht) Wenn man eine so lange Zeit in einer Position wie der des Sportdirektors und dann des Sportvorstands gearbeitet hat, merkt man nach dem Ende der Tätigkeit, wie groß die Belastung war. Das muss man ganz klar sagen. Daher ist es nicht verwunderlich, wenn man manchmal Vorgänge nicht mehr so wahrnimmt, wie man es sonst getan hätte, weil man sich in einem Tunnel befindet. Das ist normal und gehört zu unserem Job. Seit der Trennung konnte ich mich um mich und meine Familie kümmern und mehr Zeit für wohltätige Organisationen wie Laureus und Global United nutzen. Dem Körper und dem Geist taten die letzten Monate sehr gut.
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SPOX: Wie eng war der Kontakt zum Fußball?
Bobic: Weiterhin sehr eng. Ich war viel in ausländischen Ligen unterwegs und habe die Möglichkeit genutzt, mir in Ruhe und ohne Hatz Strukturen anzuschauen. Wie sind Klubs in anderen Ligen aufgebaut? Wie sehen die Organigramme aus? Wie werden Hierarchien strukturiert? Diese Unterschiede auszuarbeiten, finde ich spannend. Ich bin für die Zukunft offen für alles und möchte mich weiterbilden. Aber: Ich suche nicht unter Hochdruck und warte darauf, dass irgendwo jemand entlassen wird. Vielmehr möchte ich offen sein für neue Impulse. Daher werde ich in die USA gehen und mir die verschiedenen Sport-Ligen anschauen.
SPOX: Sie sollen vor allem mit der Premier League liebäugeln. Stammt Ihre Affinität aus der kurzen Zeit als aktiver Spieler bei den Bolton Wanderers, wo Sie die Rückrunde 2001/02 verbrachten?
Bobic: England muss nicht unbedingt das nächste Ziel sein, wobei ich seitdem noch viele Kontakte dahin habe. Die Premier League übt einen besonderen Reiz aus. Ich war zuletzt beim FC Arsenal und konnte mich noch einmal vergewissern. Die Art, wie man Fußball denkt. Die Art, wie mit Fußball umgegangen wird, ist faszinierend. Auf der einen Seite wird der Fußball lockerer genommen. Die Spieler werden nicht immer einkaserniert, was ich damals als respektvoll empfand. Wir mussten nicht wie in der Bundesliga am Vortag eines Heimspiels in ein abgelegenes Hotel und wurden da eingepfercht, sondern trafen uns zwei Stunden vor Anpfiff am Stadion. Diese Lockerheit zeigt sich auch am Volkstümlichen, am Traditionellem. Auf der anderen Seite wird der Fußball als ambitionierter, hochprofessioneller Hochleistungssport verstanden. Dieser Widerspruch gefällt mir.
SPOX: Sie trainierten in Bolton unter Sam Allardyce. Er ist der Urtypus des englischen Teammanagers, eine Mischung aus Chefcoach und Sportdirektor. Was halten Sie vom Teammanager-Modell?
Bobic: Das Modell ist mir sympathischer. Die Organisationsstruktur sieht oft so aus: Ein Eigentümer, einige stille Teilhaber im Hintergrund und am Ende zwei, drei Leute, die im sportlichen Bereich entscheiden. Es gibt wesentlich weniger Gremien und damit weniger Kompetenzgerangel.
SPOX: Der FC Southampton, die Überraschungsmannschaft in England, entschloss sich hingegen zu einem kontinentalen Modell: Ronald Koeman als traditioneller Trainer, daneben den Deutsch-Kanadier Ralph Krueger als Chairman mit Manager-Aufgaben. Was halten Sie von der Idee, den ehemaligen Eishockey-Coach zu installieren?
Bobic: Ich verfolge es mit großem Interesse. In England wird heiß diskutiert, ob das Aufgabenfeld eines Teammanagers nicht zu groß und eine Aufteilung der Bereiche nicht sinnvoll ist, ohne die Autorität des Teammanagers einzuschränken. Es sind verschiedene Konstellationen denkbar und Southampton zeigt, dass es manchmal etwas bringen kann, eine neue Note einzubringen, fußballerisch wie vom Organigramm her. Es macht in einigen Fällen Sinn, wenn sich der Teammanager mehr aufs Team konzentrieren kann.
SPOX: Ihre ersten Schritte als Manager gingen Sie beim damals ambitionierten bulgarischen Klub Chernomorets Burgas. Mittlerweile ist der Klub aber fast in Vergessenheit geraten. Was blieb von Ihrem Wirken?
Bobic: Wir erreichten alles, was wir uns vorgenommen hatten. Das neue Trainingszentrum stand, die Jugendabteilung wurde von Grund auf neu strukturiert und wir hatten die meisten Nachwuchsnationalspieler Bulgariens. Doch wie es so oft ist im osteuropäischen Raum: Eineinhalb Jahre später verkaufte der Eigentümer seine Anteile und jetzt spielt der Verein leider irgendwo in der zweiten Liga.
SPOX: Ist eine Rückkehr in eine osteuropäische Liga dennoch denkbar?
Bobic: Absolut! Es gibt weiterhin spannende Projekte wie Litex Lovech. Mein guter Freund Krassimir Balakow trainiert die jüngste Mannschaft der Liga und ist Vierter. Ich verfolge alle Ligen sehr genau und das Potenzial an talentierten Fußballern ist immens, nur muss mehr Qualität in die Klubführung rein, damit auf Dauer etwas entsteht.
SPOX: Was ist mit Russland? Dietmar Beiersdorfer machte unterschiedliche Erfahrungen als Sportdirektor bei Zenit St. Petersburg.
Bobic: Russland ist natürlich spannend, aber man muss sagen: Es ist noch eine komplett andere Welt.
SPOX: Nach der Fußballer-Karriere hospitierten Sie im TV, eigneten sich wirtschaftliches Knowhow an und waren als CEO in Burgas tätig. Was lernten Sie in Stuttgart?
Bobic: In Burgas genoss ich als CEO viele Freiheiten und hatte nur den Eigentümer über mir. Die Entscheidungswege waren extrem kurz, so dass man viel kreieren und eigene Ideen verwirklichen konnte, weil man nicht rechts und links schauen und zehn Leute fragen musste. Ein bisschen so wie Ralf Rangnick in Hoffenheim und jetzt in Leipzig. In Stuttgart habe ich gelernt, mich in ein laufendes System hineinzufinden. Und dass man einen langen Atem braucht, um nötige Veränderungen herbeizuführen. Es war eine lehrreiche Erfahrung, dass man als Sportvorstand nicht nur sportliche Themen zu verantworten hatte, sondern viele weitere Themenfelder beackern musste, die dir unheimlich viel Energie rauben. Es gab schöne und einige schwere Zeiten - trotzdem bin ich am Ende froh darum, weil ich so alle Erlebnisse einsaugen und verarbeiten konnte. Jetzt weiß ich besser, wie ich mit gewissen Situationen zukünftig umgehen möchte.
SPOX: Sie sprachen eingangs vom "Tunnel", indem Sie sich befunden hätten. Vor allem Ihr Verhältnis zu den Medien verschlechterte sich zusehends. Sie wären immer abweisender geworden, obwohl Sie vom Charakter eigentlich zugänglich sind.
Bobic: Ich habe die Zeit in Stuttgart rekapituliert und natürlich überlegt, was man hätte besser machen können, das ist ganz normal. Beim Verhältnis zur Öffentlichkeit gibt es zwei Facetten. Erstens: Einige Aussagen musste oder wollte ich bewusst so treffen, um Reizpunkte zu setzen und eine Diskussion in eine richtige Richtung zu lenken. Daher kann man nicht immer die tausendprozentige Wahrheit sagen, weil man im Vereinsinteresse eine Balance halten muss zwischen sportlichen, wirtschaftlichen und den Fan betreffenden Themen. Zweitens: Es prasselt auf einen sehr viel ein und eine gewisse Zeit lang war ich das einzige Gesicht des Vereins. Dann kommt man in eine schwierige Situation und es wird gefährlich. So unterlaufen einem automatisch Fehler, weil du im Tunnel bist und Kleinigkeiten nicht mehr so wahrnimmst, wie es hätte nötig sein müssen. Das ist eine wichtige Lehre für die Zukunft.
SPOX: Verloren Sie irgendwann die Geduld angesichts der internen Probleme in Stuttgart?
Bobic: Ich möchte die Frage allgemein beantworten. Das entscheidende Schlagwort im Fußball wird künftig lauten: Effektivität. Bei einem Verein muss natürlich Kapital im Hintergrund vorhanden sein, damit Dinge umgesetzt werden können. Und zudem muss der Verein kurze Entscheidungswege besitzen, so dass zwei, drei Leute aus dem inneren Kreis diskutieren und entscheiden. In dem Bereich tun sich allerdings Traditionsklubs sehr schwer. Zumal häufig noch hohe Erwartungen aus dem Umfeld und innerhalb gewisser Gremien hinzukommen, die nur selten erfüllt werden können.
SPOX: Es klingt, als ob Sie ein Fan von neuen Klubs wie RB Leipzig sind? Dabei waren von Ihnen während Ihrer Tätigkeit in Stuttgart noch kritische Worte zu vernehmen. Nun sorgte der Verein mit der überraschenden Trennung von Trainer Alexander Zorniger erneut für Aufregung.
Bobic: Es waren keine kritischen Worte per se. Mir ging es vor allem um Aspekte wie die Mitgliederstruktur, die man hinterfragen sollte. Dass das Modell RB Leipzig sehr spannend ist, habe ich nie angezweifelt. Im Gegenteil. Als sie in die 3. Liga aufstiegen, sagte ich voraus, dass sie bald in der Bundesliga spielen. Und das nicht nur wegen des Geldes, sondern wegen des Plans dahinter. Sie haben keinen Druck von außen, können wachsen und verfügen über die Mittel für ein sinnvolles Trainingsgelände und ein Jugendprogramm. Und: Sie haben die richtigen Leute geholt, um die Ziele zu erreichen.
Fredi Bobic im Steckbrief