Es ist selten der Fall, dass auf einer Pressekonferenz des FSV Mainz 05 der Medienraum bis fast auf den letzten Platz gefüllt ist. Meist nur dann, wenn der Trainer entlassen wurde. So auch dieses Mal, was Christian Heidel mit Bedauern feststellen musste.
Und so eröffnete der Manager die PK mit einem unguten Gefühl. "Ich sitze nicht gerne hier. Weil immer wenn so viele Leute anwesend sind, ist etwas passiert. Die Entscheidung, Kasper Hjulmand und sein Team zu beurlauben, war eine sehr, sehr schwierige Entscheidung."
Schwierig ja - und nachvollziehbar. Auch wenn für viele der Zeitpunkt eher überraschend kommt, weil der FSV in der Regel seine Trainer nicht Mitten in der Saison einfach so vor die Tür setzt. "Die Winterpause wäre zu früh gewesen. Wir haben alle geglaubt, dass wir das früh hätten drehen können. Aber klar ist, dass man das in Mainz nicht so schnell macht", erklärte Heidel die Entlassung am Dienstag.
Dabei hatte der 51-Jährige im SPOX-Interview im Dezember über Hjulmand noch gesagt, dass er nicht nur schauen dürfe, ob der Verein am 34. Spieltag Fünfter, Neunter oder Dreizehnter geworden ist, sondern man auch die mittel- oder langfristige Auswirkungen von Entscheidungen bedenken müsse. Am Dienstag verdeutlichte der Manager dann die Gründe der Entlassung - und dass man sich nicht wegen der Tabellenplatzierung trenne, sondern weil er befürchte, "dass wir diese Negativspirale nicht aufhalten können".
Leidenschaft und Emotion fehlten
Übersetzt heißt das: Hjulmand wurde der Abstiegskampf nicht zugetraut. Dem Coach wurde seine ruhige und besonnene Art zum Verhängnis, denn so funktioniert der Mainzer Weg offensichtlich nicht. Heidel betonte auf der PK anfangs ausdrücklich, dass er Hjulmand zwar für einen "überragenden Trainer" halte, aber die Entwicklung in den letzten Wochen zu besorgniserregend geworden sei.
"Natürlich haben wir uns unterhalten und ich habe ihm gesagt, wie Abstiegskampf in Deutschland funktioniert. Das hat er schon verstanden, aber er hat einfach eine andere Vorgehensweise. Da sind die Leidenschaft und Emotion etwas verloren gegangen", sagte Heidel. Daher also die Trennung.
Die Tabellenniederungen sind keine unbekannten Regionen für die 05er. In Mainz hat man Erfahrung mit solchen Situationen und würde in der Regel keine Schnellschüsse auf der Trainerbank abfeuern. Doch die Identität des Fußballs in Mainz litt sehr unter den letzten Monaten.
"Es gibt viele positive Dinge über Kasper Hjulmand zu sagen, aber wir glauben, dass es einen Trainerwechsel brauchte, weil wir nicht davon überzeugt waren, dass Kasper der richtige Mann für diesen Abstiegskampf ist", sagte Heidel nochmals in aller Deutlichkeit.
DTM-Mechaniker schraubt nun bei 05
Die große Frage, die sich nun stellt, lautet: Wer ist eigentlich dieser Martin Schmidt, der keine erwähnenswerte Fußballerkarriere hingelegt hat, sondern als DTM-Mechaniker und Textilunternehmer zunächst erfolgreich war und erst mit Anfang 30 entschied, Fußballtrainer zu werden? Viel findet man nicht über ihn.
Rein sportlich ist er ein noch unbeschriebenes Blatt, aber damit hat man in Mainz keine schlechten Erfahrungen gemacht. Er ist Extremskifahrer, hat in seiner Karriere sieben Kreuzbandrisse erlitten und sich zudem mal einen Wirbel gebrochen. Mehr erfuhr man am Dienstag zunächst nicht.
Er steht in jedem Fall für das, was in den letzten Wochen und Monaten in Mainz kaum noch zu sehen, auf der PK aber schon in den ersten Momenten zu spüren war. "Ich war kein Fußballprofi, sondern nur in der zweiten Liga in der Schweiz. Aber das ist nicht schlimm. Ich bin die Trainerausbildung mit der selben Leidenschaft angegangen, wie die Sache mit den Autos", sagte Schmidt.
Mit dem Schweizer soll es jetzt der U-23-Coach der Mainzer richten. Das ist eine typische Heidel-Wahl, denn Schmidt kennt die Strukturen des FSV, ist seit fünf Jahren Trainer der U 23 und war bereits im Sommer ein Kandidat für die Nachfolge von Thomas Tuchel, der den 47-Jährigen damals schon vorschlug. "Es ist sicher ein Vorteil, dass ich nicht bei Null starte", sagte Schmidt: "Ich spüre eine Vertrautheit hier in der Arena, auf dem Trainingsplatz, in der Mannschaft und auch mit der Stadt".
"Neben Taktik viel Emotion"
Nach dem Versuch mit Taktiker und Entwicklungstrainer Hjulmand schlägt Mainz nun also wieder den Weg der Emotionalität ein. Ballbesitzfußball und langatmiges Passspiel sollen nun wieder dem Vollgas-Fußball aus der Tuchel- und Klopp-Zeit weichen. Dabei geht es jetzt primär nicht um die langfristige Entwicklung, sondern zunächst einzig und alleine um den Klassenerhalt. Das sagte auch Heidel: "Wir brauchen neben Taktik jetzt einfach viel Emotion."
Schmidt weiß um die Erwartungen in Mainz und die Erfolge im letzten Jahr. Er kennt den Mainzer Weg, der getragen wird von Emotionen und Leidenschaft: "Das war nicht nur Thomas, sondern das ist der Mainzer Weg und das System, wie man hier Fußball spielt. Ich lebe diese Mainzer Philosophie, die ihre Wurzeln bei Klopp und Tuchel hat. Das ist unsere Art und Weise, Fußball zu spielen."
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Den Mainzer Weg schlug man unter Hjulmand nicht ein. Bereits der Saisonstart stand unter keinem guten Stern. Mainz schied in der ersten Runde des DFB-Pokals aus und verpatzte die Qualifikation zur Europa League gegen Tripolis. Doch danach schien sich das Team gemeinsam mit Hjulmand gefunden zu haben. Zwischenzeitlich stand der FSV auf dem dritten Platz der Liga.
Entscheidung wohl notwendig
Allerdings waren die Ergebnisse teils glücklich zustande gekommen. Wenig war zu sehen vom typischen Mainzer Offensivspiel, dem schnellen Umschalten, der Aggressivität, der Emotionalität. Dennoch: Die Mannschaft holte Punkte.
Bis Ende Oktober. Nach dem kurzen Zwischenhoch im Spätsommer und neun Spielen ohne Niederlage hat Mainz in den letzten 13 Spielen lediglich einen Sieg eingefahren und befindet sich inzwischen Mitten im Abstiegskampf.
Man war sich bewusst, welchen Trainer man im Sommer verpflichtete, gesteht sich jetzt aber ein, dass es einfach nicht gepasst hat. Somit ist die Entlassung absolut nachvollziehbar und wohl auch notwendig.
Heidel hat ein Gespür dafür, ob etwas nach Mainz passt oder eben nicht. So entließ er Jörn Andersen nach dem Aufstieg 2009, weil der nicht den Mainzer Weg mitgehen wollte und installierte mit Tuchel einen Coach aus den eigene Reihen.
Nun also eine ähnliche Geschichte. Ein kühler Trainer weicht einem emotionalen Coach mit Stallgeruch. Und Schmidt gab gleich schon auf der PK Vollgas: "Ich weiß, welche Attribute wir brauchen. Wir müssen die Zügel loslassen und wieder nach vorne laufen. Das Allerwichtigste ist: Emotionalität, Leidenschaft und Feuer."
Wechsel als Wake-up-call
Feuer, das man in den letzten Monaten verloren hatte. Zwar sprach Schmidt am Dienstag relativ leise, was aber nur daran lag, dass er heiser war. In Zukunft solle sich das aber ändern: "Ich bin normalerweise ein lauter Trainer, am Freitag war ich wohl zu laut", spielt Schmidt auf des Spiel der U 23 gegen den BVB II an.
Die Forderung nach Emotionalität und Leidenschaft ist auffällig. Genauso wie die für Mainzer Verhältnisse eher untypische Abstiegskampf-Rhetorik des Managers. Es gehe jetzt darum, den Blick auf das Wesentlich zu schärfen und den Ernst der Lage zu erkennen, war zwischen den Zeilen bei Heidels Ansprache herauszuhören. Der Wechsel des Trainers ist auch als eine Art Wake-up-call für die gesamte Mannschaft zu verstehen. Das Team hat nun keine Alibis mehr.
Leidenschaft. Emotionen. Das sind die Attribute des Mainzer Fußballs. Dahin will man nun wieder zurück. Doch auch bei Euphorie, die Schmitt auf der Pressekonferenz verbreitete, sagte er einen elemetar wichtigen Satz, der verdeutlich, worauf es in den nächsten Wochen wirklich ankommt. "Erstmal gilt es, ohne Kompromisse zu punkten."
Vielleicht ist der Trainerwechsel ein gutes Omen. Als der FSV Mainz das letzte Mal seinen Trainer an Fastnacht tauschte, wurde Jürgen Klopp 2001 überraschend als Nachfolger von Eckhard Krautzun präsentiert. Damals aber an einem Rosenmontag.
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