Cliffhanger auf Hanseatisch

Peter Knäbel leitete am Montag zum ersten Mal das HSV-Training
© getty

Wie viele Reißleinen kann man eigentlich ziehen, bis das dicke Ende kommt? Der Hamburger SV entbindet Joe Zinnbauer von seinen Aufgaben und schickt den Theoretiker Peter Knäbel ins Abstiegsrennen. Der soll den Totalabsturz verhindern, damit Thomas Tuchel kommt. Wenn das mal gut geht...

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Er musste nicht erst erklären, dass er eigentlich in den Urlaub fahren wollte, ehe ihn die Nachricht ereilte, den Trainer beim HSV zu geben. Die Wahl fiel auf Peter Knäbel als Nachfolger des am Sonntag freigestellten Joe Zinnbauer, weil der HSV nicht anders konnte.

Eine Notlösung also, weil man schlichtweg keinen Trainer auftreiben konnte, der den HSV mal eben rettet, um dann seinen Posten prompt wieder zu räumen. Wie auch?

Thomas Tuchel soll zur neuen Saison übernehmen, auch wenn Vorstandschef Dietmar Beiersdorfer diese Personalie am Montag nicht kommentieren wollte. Der 41-jährige Tuchel soll dem HSV endlich das geben, was man seit Jahren verzweifelt sucht: Kontinuität im sportlichen Bereich in strategischer und konzeptioneller Hinsicht und ein fußballerisches Gesicht.

Tuchel gilt als interessiert

All dem rennt man seit Jahren hinterher, verwechselt Aktionismus und Flickschusterei mit Engagement und Effizienz und dreht sich dabei immer im Kreis. Im September sollte Tuchel schon kommen, so zumindest der Wunsch der HSV-Führung, doch dieser wollte nicht. Zu viele Bedenken hinsichtlich des Kaders und überhaupt hatte sein Sabbatjahr Vorrang. Inzwischen soll Tuchel durchaus interessiert sein.

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Also entschied man sich damals für Zinnbauer, den Erfolgscoach der jungen Wilden der zweiten Mannschaft. Eine Anerkennung für dessen Fähigkeiten, aber eben auch eine Notlösung. Der Plan: Mit Zinnbauer die Klasse halten und dann mit Tuchel durchstarten.

Zunächst sah es ganz gut aus. Zinnbauer gelang es, den HSV defensiv zu stabilisieren. Ein Achtungserfolg beim Debüt gegen den FC Bayern, ein Sieg in Dortmund und im Nordderby gegen Bremen. Der HSV schien mit Zinnbauer auf dem richtigen Weg. Der machte nie einen Hehl daraus, dass es zunächst nicht darum gehe, Schönheitspreise zu gewinnen, sondern sich zunächst bis zur Winterpause durchzubeißen. Das Spiel zum Motto lieferte der HSV in der Schlacht gegen Leverkusen ab.

Die Entwicklung blieb aus

Zinnbauer erntete viel Lob und Wohlwollen, die Mannschaft folgte. Die regelmäßigen Rückschläge wurden in Kauf genommen.

Doch die erhoffte Entwicklung blieb aus. Spielerische Neuerungen, die das Wintertrainingslager in Dubai bringen sollte, kamen nicht zum Tragen, was auch, aber nicht nur den Verletzungsproblemen geschuldet war. Wer den HSV nach den beiden Siegen in Paderborn und gegen Hannover früh in der Rückrunde auf dem Weg der Besserung wähnte, sah sich getäuscht. Es folgte das 0:8 in München. Das zarte Pflänzchen HSV-Hoffnung war unter die Planierraupe geraten.

Danach ging's fußballerisch (noch) weiter bergab mit dem Tiefpunkt der 0:1-Heimpleite am vergangenen Freitag gegen Hertha und dem Abrutschen auf Platz 16.

In seiner Eigenschaft als Direktor Profifußball hatte Knäbel das HSV-Spiel zuletzt als "wirr" bezeichnet und fehlende Struktur bemängelt - und damit dem Trainer, dem er zuvor immer demonstrativ den Rücken gestärkt hatte, das Vertrauen entzogen.

Knäbel: "Packen das mit aller Energie an"

Während Zinnbauer nun erstmal eine Auszeit nimmt und völlig unklar ist, ob er womöglich als U23-Trainer zum HSV zurückkehrt, muss Knäbel jetzt schnellstmöglich die von ihm erkannten Mankos abstellen.

"Wir packen das mit aller Energie an", sagte er bei seiner offiziellen Vorstellung am Montag und ergänzte, was jeder an seiner Stelle gesagt hätte: "Ich bin überzeugt, aus der Mannschaft die Qualitäten herauszuholen, die es braucht, um im Abstiegskampf zu bestehen."

Hammerprogramm in den nächsten Wochen

Sein Wort in Gottes Ohr. Ob der HSV diese Qualitäten überhaupt hat, darf zumindest bezweifelt werden - und die nächsten Aufgaben in der Bundesliga sind extrem unangenehm: Nacheinander darf der HSV in Leverkusen, gegen Wolfsburg und in Bremen ran. Erschwerend kommt hinzu, dass Knäbel zum Start wegen Länderspielabstellungen und Verletzungen nur eine Rumpftruppe zur Verfügung hat.

Völlig unklar ist, über welche Qualitäten Knäbel als Trainer verfügt. In der Theorie bringt er alles mit, doch seine Praxis-Referenzen sind im besten Falle dünn zu nennen. Zwei Jahre war er Spielertrainer in der Schweiz beim FC Winterthur. Das ist 15 Jahre her.

Ottmar Hitzfeld, der Knäbel aus gemeinsamer Zeit beim Schweizer Fußballverband gut kennt und schätzt, ist skeptisch: "Für Knäbel ist das Risiko hoch", sagte Hitzfeld gegenüber Sky. "Er wurde als Sportdirektor eingestellt beim HSV, um organisatorisch zu wirken, die richtigen personellen Entscheidungen zu treffen. Jetzt ist er plötzlich Cheftrainer. Das ist für ihn nicht einfach. Er hat großes theoretisches Wissen. Er kennt den Fußball gut. Aber es ist ein hohes Risiko, dem er sich unnötig aussetzt. Er kann sicher die Theorie perfekt, doch die Frage ist, wie er es praktisch umsetzt."

Genau das ist der Punkt. Und das ist die große Unbekannte. Der Motivator Zinnbauer schaffte es zumindest, der HSV-Truppe Beine zu machen und ein gewisses Feuer und Kampfgeist zu entfachen. Bekommt der so sachlich und reserviert wirkende Knäbel das auch hin?

Demonstrativer Optimismus

Vielleicht hat er auch deshalb den Auftakt so locker gestaltet. Demonstrativer Optimismus bei der Vorstellung, Elfmeterschießen mit "Strafliegestützen" im Anschluss an die erste Trainingseinheit am Montagnachmittag.

Beiersdorfer, der das Unwort "2. Liga" nicht in den Mund nehmen wollte, ließ wissen, dass Knäbel "in der jetzigen Situation die beste Option" sei, denn: "Wenn ein ganz Fremder kommt, kennt er die Defekte und Qualitäten nicht so wie Knäbel."

Gerade um die Defekte, die zahlreichen, muss sich Knäbel nun kümmern. "Wir wollen unsere Offensiv-Kraft verbessern und unsere defensive Stabilität nicht verlieren", nannte er die dringendsten Probleme beim Namen. "Wir müssen unsere Aggressivität in die richtige Bahn lenken."

Das schwächste Team der Liga

Eine Herkules-Aufgabe. Spielerisch ist der HSV wohl das schwächste Team der Liga. Die Offensive ist historisch schlecht. 16 Tore in 26 Spielen sind verheerend. 15 Spiele ohne eigenen Treffer bedeuten Vereinsrekord.

Doch die Mannschaft ist ja nicht die einzige Baustelle. Was wird aus seinen Pflichten als Sportdirektor? Wie organisiert der HSV die Personalplanung, während der zuständige Mann den Cliffhanger spielt? Und was wird aus Knäbel und Tuchel und dem HSV, wenn der Klassenerhalt nicht gelingt? Der HSV spielt mit dem Feuer.

Immerhin hat man einen Plan für danach, doch der steht und fällt mit Trainer Knäbel. Wenn das mal gut geht...

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