Mia san Pep

Doc Müller-Wohlfahrt (l.) hat seine Ämter beim FC Bayern München niedergelegt
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Nach fast 40 Jahren in Diensten des FC Bayern München verlässt Doc Hans-Wilhelm Müller-Wohlfahrt samt seinem Ärzte-Team den Rekordmeister. Ein Paukenschlag - und der Gipfel eines lange schwelenden Konflikts, an dessen Ende sich zwei Fragen stellen: Wer ist hier eigentlich der Böse? Und was wird aus Pep?

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Es begann mit Kevin Volland. Eine Grätsche des Hoffenheimers gegen Thiago im Frühjahr vergangenen Jahres brachte alles erst ins Rollen. 384 Tage später sitzt Markus Hörwick auf dem Podium im PK-Raum an der Säbener Straße. Neben ihm Pep Guardiola. Zwei Tage nach der Champions-League-Pleite gegen Porto. Einen Tag, nachdem Dr. Müller-Wohlfahrt sein Amt als Mannschaftsarzt des FC Bayern niederlegte.

"Müssen tut er gar nix", schnaubte der Mediendirektor der Münchner, nachdem sich die ersten Fragen der Presse selbstverständlich an den Coach richteten. Er müsse zu den Vorfällen doch etwas sagen können, hieß es. Die Eskalation des Ärzte-Streits war das einzige Thema, das die Medienvertreter im prall gefüllten Zimmer interessierte. Kein Hoffenheim. Ja, nicht einmal Porto.

Was interessierte war, wie aus der Beziehung zweier Personen, die nie beste Freunde waren, aber seit knapp zwei Jahren tagtäglich zusammenarbeiten, ein "geschädigten Vertrauensverhältnis" werden konnte. Eines, das den 72-jährigen Müller-Wohlfahrt dazu veranlasste, ohne Kenntnis des Klubs via Pressemitteilung seinen Rückzug zu verkünden.

"Kein Fehler in der ganzen Geschichte"

Kleinere Irritationen gab es von Anfang an. Die fehlenden Ärzte auf dem Trainingsgelände, die Behandlung der Spieler in Müller-Wohlfahrts Praxis mitten in der Stadt und ein Arzt, der kein Zuarbeiter, sondern Ikone und Entscheidungsträger auf Augenhöhe ist. All das kannte Pep aus Barcelona nicht. All das führte zu ersten Missverständnissen. Diese waren jedoch ebenso harm- wie folgenlos.

Zum Konflikt kam es erst, als sich Peps Lieblingsschüler Thiago Anfang 2014 am Innenband des Knies verletzte. Mit Blick auf den Saison-Endspurt und die anstehende Weltmeisterschaft in Brasilien schickte Guardiola den Zauberfuß zu seinem Vertrauensarzt Ramon Cugat nach Barcelona. Eine angeblich riskante Behandlung mit Kortison bestreitet der spanische Arzt bis heute. Dennoch riss sich Thiago zwei weitere Male das Band.

Pep sprach im Nachhinein von einem "vielleicht großen Fehler", seinen Schützling nach Barcelona geschickt zu haben. Trotzdem durfte Cugat - Thiago fehlte den Münchnern zu dieser Zeit bereits seit fast einem Jahr - den 24-Jährigen weiter behandeln. Er operierte ihn sogar, wenn auch im Beisein von Bayern-Arzt Lutz Hänsel.

Zum Jahreswechsel inszenierte der Rekordmeister den großen Burgfrieden. "Es gibt keinen Fehler in der ganzen Geschichte", sagte Karl-Heinz Rummenigge im Bemühen, die mittlerweile zum Politikum gewordene Story zu beschwichtigen. Die Bayern installierten Kilian Müller-Wohlfahrt als Arzt, der bei jeder Trainingseinheit an der Säbener Straße zugegen ist. Ein Entgegenkommen für Pep - und gleichzeitig Vertrauensbeweis für Mull.

Folgen noch mehr Rücktritte?

"Das für eine erfolgreiche medizinische Arbeit notwendige Vertrauensverhältnis ist nachhaltig beschädigt", heißt es fast auf den Tag genau vier Monate später. Der als so loyal geltende Müller-Wohlfahrt, der seit 1977 mit seinen "goldenen Händen" (Tennisspielerin Andrea Petkovic) die bayerischen Spieler fit macht, der 21 Trainerwechsel an der Säbener miterlebt hat, wirft hin. Zusammen mit seinen drei engsten Vertrauten. Es rumort, dass weitere Rücktritte folgen sollen.

Weil er und sein Team nach der Klatsche in der Drachenhölle von Porto "aus ihnen unerklärlichen Gründen für die Niederlage hauptverantwortlich gemacht" worden seien, so der Doc.

Für die Medien und sogar Teile der eigenen Anhänger war der Sündenbock für den Abgang des besten Arztes der Welt schnell gefunden. Zu offensichtlich schwelte der Konflikt zwischen Mull und Pep bereits. Spätestens Guardiolas höhnischer Applaus Richtung Bayern-Bank, als Medhi Benatia im Pokalspiel gegen Leverkusen mit einem Faserriss noch in der ersten Halbzeit vom Feld musste, war für viele der finale Beweis für ein unkittbares Verhältnis der beiden.

Womöglich sogar dafür, dass Pep seinen Abgang aus München vorbereitet, ja gar provoziert. Im Independent meldete sich Paul Scholes umgehend zu Wort. 2016 werde Pep ohnehin bei den Citizens anheuern. "Das ist meine Information aus Manchester."

Rummenigges Zoff mit Mull

Doch muss bei genauerer Betrachtung die Frage gestellt werden, wie sehr der Rücktritt direkt mit Guardiola zu tun hat. Und ob der Schüssel nicht eine andere Person ist. Sowohl die Bild, als auch Lothar Matthäus wollen erfahren haben, dass es nach dem Spiel in Porto zum Streit in der Bayern-Kabine kam. Aber nicht zwischen Mull und Guardiola, sondern mit Vorstandsboss Rummenigge. Mittelpunkt des Zwists soll demnach die Verletzung von Franck Ribery gewesen sein.

Auch Issac Lluch, renommierter Journalist für mehrere katalanische Zeitungen, meldete sich via Twitter zu Wort. "Pep hat gestern weder Müller-Wohlfahrt kritisiert, noch für die Niederlage gegen Porto verantwortlich gemacht."

Und Pep? "Ich habe selbst erst gestern Abend davon erfahren", sagte der 44-Jährige und widersetzte sich Hörwicks Ansage, es werde nichts zur Causa Müller-Wohlfahrt beantwortet. "Es war seine Entscheidung. Ich habe großen Respekt davor."

"Ich will mehr kämpfen, als je zuvor"

Dass der Vorstandsboss Müller-Wohlfahrt derart angegangen haben muss, dass dieser den Dienst quittiert, darf durchaus als die ultimative Liebeserklärung Guardiola gegenüber verstanden werden. Viele Trainer haben versucht, den FC Bayern auf links zu drehen. Jürgen Klinsmann mit den Buddhas auf den Dächern oder Louis van Gaal. Gescheitert sind sie allesamt an der scheinbar so unverrückbaren Philosophie des Klubs, am Mia san Mia.

Doch für eine weitere Zusammenarbeit mit dem harmoniebedürftigen Guardiola scheinen die Bayern bereit zu sein, hoch zu pokern und viel zu opfern - unter anderem eine Klub-Ikone und den angesehensten Sportmediziner der Welt. "Mit Bedauern" habe man, so die lieblose Pressemitteilung, die Entscheidung zur Kenntnis genommen. "Ausdrücklich" danken wolle man Mull und seinem Team.

Rummenigge wurde in den letzten Wochen und Monaten nicht müde, bei jeder Gelegenheit zu betonen, dass man "alles tun werde", damit Pep bleibt. Leere Phrasen waren das augenscheinlich nicht. Es soll die perfekte Wohlfühloase geschaffen werden für Guardiola. Ohne Machtspielchen, mit Macht. Der "Schlüssel der Erfolgsgeschichte" soll noch nicht aus dem bayerischen Schloss gezogen werden. Er soll bleiben. Lange.

Ändern würde das Ärzte-Theater nichts an seinen Zukunftsplanungen, darauf bestand der Katalane selbst. "Ich bin sehr zufrieden hier, auch mit diesen Spielern", sagte Pep. "Ich will mehr kämpfen als je zuvor, ich will nächstes Jahr hierbleiben."

"...aber heute ist es noch zu früh"

Mull wird dann nicht mehr da sein. Schon 2008 war Müller-Wohlfahrt nach einem Streit mit Jürgen Klinsmann zurückgetreten - und unmittelbar nach dessen Entlassung zurückgekehrt. Davon, vor die Türe gesetzt zu werden, ist Pep aber Lichtjahre entfernt.

Und auch wenn dem Doc die Opferrolle in der FC-Hollywood-Posse durchaus steht, muss das "Wie", vor allem aber das "Wann", für seinen Schritt zumindest hinterfragt werden. Auf der Zielgeraden der Saison mit einem ganzen Lazarett verletzter Spieler ist der Zeitpunkt des Rücktritts von außen betrachtet unmöglich.

Und er könnte dem FC Bayern auch sportlich schaden. Es werden nämlich die Spieler die Leidtragenden sein. Spieler wie Arjen Robben, für die Mull einst ein wichtiger Grund war, in München sesshaft zu werden und die dem Arzt zu 100 Prozent vertrauen.

Am Ende kann aber nur eine Person Licht ins Dunkel bringen. "Ich werde mich irgendwann äußern", sagte Müller-Wohlfahrt am Morgen nach dem Paukenschlag. "Aber heute ist es noch zu früh."

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