"Warum soll Fußball unbefleckt sein?"

Daniel Reimann
10. April 201509:41
Doping in der Bundesliga? Laut zahlreichen Protagonisten völlig undenkbargetty
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Doping im Fußball - uneffektiv und sinnlos? Jonas Salameh und Maximilian Klemp widersprechen den Thesen von Scholl und Dutt energisch. Das Duo leitet Scipio Sports, einen Sportdienstleister, der sich auf Athletiktraining im Fußball spezialisiert hat. Im Interview mit SPOX erklären Sie, wie Dopingmittel wirken und erläutern Chancen, Grenzen und Horrorszenarien.

SPOX: Herr Salameh, Ihr Unternehmen ist auf Leistungssteigerung im Bereich der Fußballer-Athletik spezialisiert. Robin Dutt sagte kürzlich, Doping im Fußball sei ineffektiv und sinnlos. Würden Sie ihm Recht geben?

Jonas Salameh: Die Aussage, Doping würde im Fußball nichts bringen, ist stark vereinfacht. Man muss sich nur das Anforderungsprofil eines Fußballers vor Augen halten. Da lässt sich klar erkennen, dass Doping im Fußball durchaus effektiv ist.

SPOX: Wie sieht dieses Anforderungsprofil aus?

Salameh: Das athletische Anforderungsprofil eines Fußballers wird unterschieden in die Bereiche Kraft, Ausdauer, Schnelligkeit und Beweglichkeit. Noch vor ein paar Jahren wurde Fußball in erster Linie als Ausdauersport betrachtet, was allerdings weit an der Realität vorbeizielt. Es braucht zwar eine Grundlagenausdauer, aber diese ist spezifisch und hat Intervallcharakter. Wenn man Laufwege, Sprints, Tempo und die dazugehörige Stoffwechsellage analysiert, wird klar, dass es im Fußball kaum Dauerläufe gibt.

Maximilian Klemp: Der Fußball lebt vielmehr von maximal explosiven Aktionen oder Aktionen über ein bis zwei Minuten, die eher im laktaziden Bereich liegen. Die Zeit dazwischen wird zur Regeneration genutzt. Der Fußball baut also vielmehr auf Kraft und Schnellkraft statt auf Ausdauer auf.

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SPOX: Welche Dopingmittel sind in diesem Zusammenhang beispielsweise vielversprechend?

Klemp: Im Fußball sind zum Beispiel Steroide sehr interessant. Es wird zwar oft argumentiert, dass die durch Steroide entstandene Muskelmasse negativen Einfluss auf Schnelligkeit und Koordination eines Fußballers hätte, aber das ist nur die halbe Wahrheit. Denn Steroide beeinflussen nicht nur die reine Muskelmasse, sondern viel mehr.

SPOX: Das heißt?

Klemp: Die Testosteronwerte werden dadurch erhöht. Das bedeutet einerseits einen Muskelauf- und Fettabbau, wie es im Bodybuilding genutzt wird. Aber gleichzeitig verbessern sich dadurch Kraft- und Schnellkraft. Auch die Regeneration wird erleichtert, sie verkürzt sich sogar um die Hälfte. Das ermöglicht intensiveres und umfangreicheres Training. Ein Bodybuilder kann so beispielsweise sieben Mal pro Woche trainieren.

SPOX: Mehmet Scholl und Co. bestehen jedoch darauf, dass unter solchen Dopingformen zum Beispiel die Beweglichkeit leide. Sie hatten also nicht Recht?

Salameh: Klares Nein! Es gibt keinen signifikanten negativen Zusammenhang zwischen Muskelzuwachs und Beweglichkeit. Stattdessen gibt es zahlreiche Studien, die besagen, dass Krafttraining sogar beweglichkeitsfördernd ist. Schauen Sie sich die professionellen Gewichtheber an: Die wiegen 150 Kilo, sind aber beweglicher als die meisten Fußballer.

SPOX: Und in Bezug auf die Koordination?

Salameh: Natürlich ist es eine höhere Anforderung, den Körper mit der neu hinzugewonnenen Muskelmasse gleichermaßen zu koordinieren. Allerdings wird die Koordination über das zentrale Nervensystem gesteuert. Es ist quasi eine Reizleitung zwischen Rückenmark, Gehirn und Periphermuskulatur. Darauf hätten Steroide quasi keine Auswirkungen. Gerade, wenn man den Muskelaufbau mit Kraft- und Schnellkrafttraining kombiniert.

SPOX: Oft ist davon die Rede, dass die physische Komponente im heutigen technisch-taktisch-betonten Fußball nicht mehr so wichtig sei wie früher. Teilen Sie diese Einschätzung?

Salameh: Es gibt tatsächlich haufenweise Studien zu dieser Frage: Eine sehr bekannte stammt von einer norwegischen Forschergruppe um die Professoren Jan Hoff und Jan Helgerud, die auch mit Real Madrid oder dem FC Barcelona zusammenarbeiten. Diese Studie beweist, dass physisch fittere Spieler mehr Aktionen mit dem Ball haben. Da gibt es einen signifikanten Zusammenhang.

SPOX: Wie genau sah diese Studie aus?

Klemp: Spieler wurden auf unterschiedliche Art und Weise trainiert. Die einen erhielten ein spezielles Aufbauprogramm, ein 4x4-Minuten-Intervallprogramm in verschiedenen Ausführungen. Im Anschluss wurden zahlreiche Spiele durchgeführt, die zeigten, dass die eine Mannschaft deutlich fitter war, da deren Spieler eine erhöhte maximale Sauerstoffaufnahme hatten. Diese so genannte VO2max steht im direkten Zusammenhang zur gesamten Laufstrecke eines Spielers pro Spiel. Die Erhöhung der VO2max führte schließlich dazu, dass die entsprechenden Spieler mehr Sprints absolvierten und 20 bis 40 Prozent mehr Aktionen mit dem Ball hatten.

Salameh: Eine andere Studie beispielsweise zeigte, dass Kniebeugen als reine Kraftübung die Laufökonomie verbessern. Das bedeutet, dass ein Spieler bei gleicher Geschwindigkeit weniger Sauerstoff verbraucht und somit pro Spiel mehr laufen kann. Die Gesamtlaufstrecke, die alle Spieler dieser Mannschaft dadurch zusätzlich absolvieren konnten, entspricht in etwa der Laufstrecke eines zusätzlichen Spielers über 90 Minuten. Das zeigt eindeutig, wie wichtig die physische Komponente im Fußball sein kann. Und damit wird klar: Die Aussage, dass Doping im Fußball nichts bringt, ist nicht nachvollziehbar.

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SPOX: In welchen Fußall-relevanten, physischen Bereichen gibt es denn Steigerungsmöglichkeiten mit Hilfe von Doping?

Klemp: Die Frage sollte vielmehr lauten: Welche Bereiche lassen sich nicht steigern? Wie bereits beschrieben, lässt sich die Kraft definitiv steigern. Sie hängt auch eng mit der Schnellkraft zusammen, die für Fußballer aufgrund der vielen kurzen Sprints und Sprünge entscheidend ist. Von Schnelligkeit spricht man erst ab längeren Strecken ab beispielsweise 30 Meter. Aber auch kognitive Fähigkeiten wie Handlungs- und Reaktionsschnelligkeit spielen hier mit rein.

SPOX: Wie lassen sich denn diese Fähigkeiten durch Doping steigern?

Klemp: Es gibt durchaus Möglichkeiten, den Erregungsgrad der Aufmerksamkeit und die Reaktionsschnelligkeit vor allem kurzfristig zu verbessern. Zum Beispiel mit Sympathomimetika, die sich stimulierend auf den Sympathikus auswirken. Dieser Teil des vegetativen Nervensystems ist zuständig für alle wachen Prozesse. Wenn dieser aktiviert ist, werden Schweißproduktion, Stoffwechsel, Reaktionsschnelligkeit und die Aufmerksamkeit erhöht. Das heißt: Man ist in einem schnelleren Bereitschaftszustand, der die kognitive Leistungsfähigkeit verbessert.

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SPOX: Das kann aber gewaltige Nebenwirkungen haben, oder?

Klemp: Davon geht eine enorme Gefahr aus. Denn dabei greift der Körper auf autonom geschützte Reserven zu, die eigentlich für den Zustand von Todesangst zurückgehalten werden. Diese werden sonst nur durch den Überlebensinstinkt freigesetzt. Durch bestimmte Rauschmittel lassen sich diese Reserven auch künstlich anzapfen. Allerdings kann der Körper dieses Leistungsvermögen nicht lange aufrechterhalten, weil es einfach unphysiologisch ist. Schließlich überwindet man ein vom Körper kreiertes Sicherheitssystem.

Salameh: Normalerweise hört der Körper auf zu arbeiten, sobald es lebensgefährlich wird. Wenn der Körper merkt, dass die Leistung nicht mehr aufrechterhalten werden kann, kippt man um. Diese Schutzfunktion kann mit dem Konsum besagter Rauschmittel ausgeschaltet werden. Im schlimmsten Fall kann es also passieren, dass man rennt, bis man tot umfällt.

SPOX: Welche Mittel können diesen Effekt auslösen? SPOX

Klemp: Am bekanntesten ist Kokain, das aber im Fußball nicht so weit verbreitet ist. Allerdings können auch andere Stoffe wie zum Beispiel Clenbuterol oder Salbutamol diese Wirkung auslösen. Diese sind normalerweise in Asthma-Spray enthalten, weil sie die Bronchien erweitern. Für den Asthmatiker ist das notwendig, damit er Luft bekommt. Für einen gesunden Fußballer wirkt es jedoch leistungssteigernd. Im Amateursport wird es häufig verwendet, genauso wie Ephedrin, das eine ähnliche Wirkung hat.

SPOX: Doping wirkt sich einerseits auf die Leistungsfähigkeit, andererseits auch auf die Regeneration aus. Sind beide Bereiche überhaupt zu trennen?

Salameh: Oft gehen Leistungssteigerung und eine verbesserte Regeneration Hand in Hand. Doping spricht beide Bereiche an, wobei eine schnellere Regeneration quasi eine indirekte Leistungssteigerung ist. Viele verbotene Substanzen wie beispielsweise Steroide ermöglichen einerseits ein härteres Training, gleichzeitig aber auch eine verbesserte Regeneration.

SPOX: Können die Nebenwirkungen bei Steroiden ähnlich dramatisch sein?

Salameh: Es gibt einerseits die klassischen Nebenwirkungen. Im Fall von Steroiden zum Beispiel unreine Haut, oder durch den Östrogen-Ausschuss das Wachsen von Frauen-Brüsten. Gleichzeitig kann es zu unkontrolliertem Wachstum von Kehlkopf, Händen oder Füßen kommen. Oder man denke an die Leichtathleten, die mit 30 Jahren nochmal eine Zahnspange brauchen.

Klemp: Es kann aber in schlimmeren Fällen auch zur Vergrößerung des Herzmuskels kommen, was die Leistung des Herzens verbessert. In den herzfernen Organen gibt es jedoch keine Kapillarisierung, wie sie sonst beim Training stattfindet. Sprich: Mein Herz pumpt viel zu viel Blut, das im Körper gar nicht aussortiert werden kann. Das birgt die Gefahr von Thrombosen, Herzinfarkten und so weiter.

SPOX: Um Doping gezielter zu bekämpfen, fordern Anti-Doping-Aktivisten häufigere, unangekündigte Proben in Wettkampfpausen. In diesen Phasen ist bisher die Gelegenheit zu unentdecktem Doping am günstigsten...

Salameh: Durchaus. Wenn ich meine Kraftwerte oder meinen Regenerationsprozess verbessern will, ergibt das auf jeden Fall Sinn. Denn dadurch kann ich mehr und härter trainieren, was eine gesteigerte Leistungsfähigkeit zur Folge hätte. So kann man sich einen regelwidrigen Vorteil verschaffen, der am Spieltag wohl kaum mehr nachzuweisen wäre.

SPOX: So wie bei Steroiden, deren Wirkung auch langfristiger Natur ist?

Salameh: Richtig. Neuesten Erkenntnissen zufolge hat man noch 15 Jahre lang vergrößerte Muskelfaserkerne, wenn man einmal Steroide genommen hat. Um dem zuvorzukommen, müsste man schon im Jugendalter Kontrollen durchführen. Wenn man das in jungen Jahren verabreicht bekommt, hat man noch lange Zeit später einen Vorteil. Wird ein Spieler überführt, wäre es also konsequent, ihn für 15 Jahre zu sperren.

SPOX: Für Leute wie Jürgen Klopp ist systematisches Doping in Deutschland nicht vorstellbar. Wirkt das angesichts der gewaltigen Steigerungsmöglichkeiten und der vielen Verdachtsmomente nicht blauäugig?

Klemp: In erster Linie herrscht der allgemeine Wunsch nach der Reinheit des Fußballs vor. Man will einfach daran glauben, dass jeder Fußballer ehrlich trainiert. Darüber hinaus ist die Trennlinie sehr unscharf. Die Mannschaftsärzte versuchen natürlich alles, um ihre Spieler möglichst fit und gesund zu halten, die allermeisten natürlich auf regelkonformem Weg. Aber es gibt auch Aussagen aus der Vergangenheit, dass Spieler gar nicht wussten, was ihnen verabreicht wurde.

Salameh: In anderen Ballsportarten wie beispielsweise im Handball gab es systematisches Doping. Deshalb stelle ich mir die Frage: Weshalb sollte es das gerade im Fußball nicht geben, wo es doch um noch mehr Prestige, um noch mehr Ruhm geht? Weshalb sollte der Fußball unbefleckt sein? Für mich wird das Thema immer noch nicht ernsthaft genug angegangen und immer zu schnell abgewiegelt. Der Wunschglaube an einen dopingfreien Fußball sorgt für eine zu lasche Herangehensweise und behindert eine konsequente Aufarbeitung. Diese Mentalität muss sich ändern. Man muss bereit sein, das bisherige System zu hinterfragen.

SPOX: Da alle vom sauberen Fußball träumen: Ist es denn überhaupt für "normale" Fußballer möglich, mit gedopten Spielern nur durch ehrliches Training mitzuhalten?

Klemp: Ganz klar: Ja.

Salameh: Definitiv.

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