SPOX: In welchen Fußall-relevanten, physischen Bereichen gibt es denn Steigerungsmöglichkeiten mit Hilfe von Doping?
Klemp: Die Frage sollte vielmehr lauten: Welche Bereiche lassen sich nicht steigern? Wie bereits beschrieben, lässt sich die Kraft definitiv steigern. Sie hängt auch eng mit der Schnellkraft zusammen, die für Fußballer aufgrund der vielen kurzen Sprints und Sprünge entscheidend ist. Von Schnelligkeit spricht man erst ab längeren Strecken ab beispielsweise 30 Meter. Aber auch kognitive Fähigkeiten wie Handlungs- und Reaktionsschnelligkeit spielen hier mit rein.
SPOX: Wie lassen sich denn diese Fähigkeiten durch Doping steigern?
Klemp: Es gibt durchaus Möglichkeiten, den Erregungsgrad der Aufmerksamkeit und die Reaktionsschnelligkeit vor allem kurzfristig zu verbessern. Zum Beispiel mit Sympathomimetika, die sich stimulierend auf den Sympathikus auswirken. Dieser Teil des vegetativen Nervensystems ist zuständig für alle wachen Prozesse. Wenn dieser aktiviert ist, werden Schweißproduktion, Stoffwechsel, Reaktionsschnelligkeit und die Aufmerksamkeit erhöht. Das heißt: Man ist in einem schnelleren Bereitschaftszustand, der die kognitive Leistungsfähigkeit verbessert.
Die Bundesliga geht in die heiße Phase - Jetzt bei Tipico wetten!
SPOX: Das kann aber gewaltige Nebenwirkungen haben, oder?
Klemp: Davon geht eine enorme Gefahr aus. Denn dabei greift der Körper auf autonom geschützte Reserven zu, die eigentlich für den Zustand von Todesangst zurückgehalten werden. Diese werden sonst nur durch den Überlebensinstinkt freigesetzt. Durch bestimmte Rauschmittel lassen sich diese Reserven auch künstlich anzapfen. Allerdings kann der Körper dieses Leistungsvermögen nicht lange aufrechterhalten, weil es einfach unphysiologisch ist. Schließlich überwindet man ein vom Körper kreiertes Sicherheitssystem.
Salameh: Normalerweise hört der Körper auf zu arbeiten, sobald es lebensgefährlich wird. Wenn der Körper merkt, dass die Leistung nicht mehr aufrechterhalten werden kann, kippt man um. Diese Schutzfunktion kann mit dem Konsum besagter Rauschmittel ausgeschaltet werden. Im schlimmsten Fall kann es also passieren, dass man rennt, bis man tot umfällt.
SPOX: Welche Mittel können diesen Effekt auslösen?
Klemp: Am bekanntesten ist Kokain, das aber im Fußball nicht so weit verbreitet ist. Allerdings können auch andere Stoffe wie zum Beispiel Clenbuterol oder Salbutamol diese Wirkung auslösen. Diese sind normalerweise in Asthma-Spray enthalten, weil sie die Bronchien erweitern. Für den Asthmatiker ist das notwendig, damit er Luft bekommt. Für einen gesunden Fußballer wirkt es jedoch leistungssteigernd. Im Amateursport wird es häufig verwendet, genauso wie Ephedrin, das eine ähnliche Wirkung hat.
SPOX: Doping wirkt sich einerseits auf die Leistungsfähigkeit, andererseits auch auf die Regeneration aus. Sind beide Bereiche überhaupt zu trennen?
Salameh: Oft gehen Leistungssteigerung und eine verbesserte Regeneration Hand in Hand. Doping spricht beide Bereiche an, wobei eine schnellere Regeneration quasi eine indirekte Leistungssteigerung ist. Viele verbotene Substanzen wie beispielsweise Steroide ermöglichen einerseits ein härteres Training, gleichzeitig aber auch eine verbesserte Regeneration.
SPOX: Können die Nebenwirkungen bei Steroiden ähnlich dramatisch sein?
Salameh: Es gibt einerseits die klassischen Nebenwirkungen. Im Fall von Steroiden zum Beispiel unreine Haut, oder durch den Östrogen-Ausschuss das Wachsen von Frauen-Brüsten. Gleichzeitig kann es zu unkontrolliertem Wachstum von Kehlkopf, Händen oder Füßen kommen. Oder man denke an die Leichtathleten, die mit 30 Jahren nochmal eine Zahnspange brauchen.
Klemp: Es kann aber in schlimmeren Fällen auch zur Vergrößerung des Herzmuskels kommen, was die Leistung des Herzens verbessert. In den herzfernen Organen gibt es jedoch keine Kapillarisierung, wie sie sonst beim Training stattfindet. Sprich: Mein Herz pumpt viel zu viel Blut, das im Körper gar nicht aussortiert werden kann. Das birgt die Gefahr von Thrombosen, Herzinfarkten und so weiter.
SPOX: Um Doping gezielter zu bekämpfen, fordern Anti-Doping-Aktivisten häufigere, unangekündigte Proben in Wettkampfpausen. In diesen Phasen ist bisher die Gelegenheit zu unentdecktem Doping am günstigsten...
Salameh: Durchaus. Wenn ich meine Kraftwerte oder meinen Regenerationsprozess verbessern will, ergibt das auf jeden Fall Sinn. Denn dadurch kann ich mehr und härter trainieren, was eine gesteigerte Leistungsfähigkeit zur Folge hätte. So kann man sich einen regelwidrigen Vorteil verschaffen, der am Spieltag wohl kaum mehr nachzuweisen wäre.
SPOX: So wie bei Steroiden, deren Wirkung auch langfristiger Natur ist?
Salameh: Richtig. Neuesten Erkenntnissen zufolge hat man noch 15 Jahre lang vergrößerte Muskelfaserkerne, wenn man einmal Steroide genommen hat. Um dem zuvorzukommen, müsste man schon im Jugendalter Kontrollen durchführen. Wenn man das in jungen Jahren verabreicht bekommt, hat man noch lange Zeit später einen Vorteil. Wird ein Spieler überführt, wäre es also konsequent, ihn für 15 Jahre zu sperren.
SPOX: Für Leute wie Jürgen Klopp ist systematisches Doping in Deutschland nicht vorstellbar. Wirkt das angesichts der gewaltigen Steigerungsmöglichkeiten und der vielen Verdachtsmomente nicht blauäugig?
Klemp: In erster Linie herrscht der allgemeine Wunsch nach der Reinheit des Fußballs vor. Man will einfach daran glauben, dass jeder Fußballer ehrlich trainiert. Darüber hinaus ist die Trennlinie sehr unscharf. Die Mannschaftsärzte versuchen natürlich alles, um ihre Spieler möglichst fit und gesund zu halten, die allermeisten natürlich auf regelkonformem Weg. Aber es gibt auch Aussagen aus der Vergangenheit, dass Spieler gar nicht wussten, was ihnen verabreicht wurde.
Salameh: In anderen Ballsportarten wie beispielsweise im Handball gab es systematisches Doping. Deshalb stelle ich mir die Frage: Weshalb sollte es das gerade im Fußball nicht geben, wo es doch um noch mehr Prestige, um noch mehr Ruhm geht? Weshalb sollte der Fußball unbefleckt sein? Für mich wird das Thema immer noch nicht ernsthaft genug angegangen und immer zu schnell abgewiegelt. Der Wunschglaube an einen dopingfreien Fußball sorgt für eine zu lasche Herangehensweise und behindert eine konsequente Aufarbeitung. Diese Mentalität muss sich ändern. Man muss bereit sein, das bisherige System zu hinterfragen.
SPOX: Da alle vom sauberen Fußball träumen: Ist es denn überhaupt für "normale" Fußballer möglich, mit gedopten Spielern nur durch ehrliches Training mitzuhalten?
Klemp: Ganz klar: Ja.
Salameh: Definitiv.
Seite 1: Scholls Irrtum, Vorteile von Steroiden und eine wegweisende Studie
Seite 2: Doping bei Fußballern - Chancen, Grenzen, Horrorszenarien
Alles zur Bundesliga