SPOX: Herr Kuranyi, Sie sind in Brasilien aufgewachsen und mit 13 Jahren nach Panama gezogen. Können Sie uns einen kleinen Einblick ihn Ihr Leben dort geben?
Kevin Kuranyi: Das war keine leichte Zeit für mich und meine Familie. Wir hatten nur sehr wenig Geld und haben in ärmlichen Verhältnissen gelebt. Unsere Wohnung hatte nicht mal 50 Quadratmeter, zu essen gab es meist Reis und Bohnen. Trotzdem war es ein wichtiger Schritt, weil ich mich dort fußballerisch weiterentwickeln konnte.
SPOX: Von dort aus schafften Sie auch den Sprung nach Deutschland. Wie ist der Kontakt zum VfB Stuttgart zu Stande gekommen?
Kuranyi: Ein Freund meines Vaters lud mich nach Deutschland ein und fragte beim VfB Stuttgart die Möglichkeit eines Probetrainings an. Der Verein gab mir dann tatsächlich die Chance - und das Training lief so gut, dass man mir ein Angebot für die A-Jugend gemacht hat.
SPOX: Haben Sie gezögert, das Angebot anzunehmen? Für einen so jungen Spieler ist der Schritt in ein unbekanntes Land, dessen Sprache man nicht kann, nicht leicht.
Kuranyi: Nein, nicht wirklich. Mein Ziel war immer, Fußballprofi zu werden - und die Chancen in Deutschland waren da deutlich höher als in Südamerika. Mir war von Anfang an klar, dass ich zum VfB wechseln werde.
SPOX: Ab wann war tatsächlich abzusehen, dass Sie Ihr Ziel erreichen würden?
Kuranyi: Das ist schwer zu sagen. Ich bin von der A-Jugend direkt zu den Profis gekommen und konnte die U23 überspringen. Als ich dann im Trainingslager vor der Saison 2001/02 regelmäßig ran durfte und auch zum Liga-Start gespielt habe, war ich recht sicher, dass es für mich weitergehen werde.
SPOX: Felix Magath holte Sie damals in die erste Mannschaft, haben Sie eine besondere Beziehung zu ihm?
Kuranyi: Auf jeden Fall. Ich habe mit keinem Trainer in meiner Karriere länger zusammengearbeitet als mit ihm. Er hat mir viel beigebracht, mir zu meinem Bundesligadebüt verholfen und immer auf mich gesetzt. Aber es konnte auch richtig hart sein. In einem Trainingslager auf Sylt hatte ich zu viel gefrühstückt. Und das Training danach war wirklich heftig. So heftig, das ich mich übergeben musste. Meine Mannschaftskollegen haben sich kaputtgelacht. Und was macht Felix Magath? Statt mich aufs Zimmer zu schicken reicht er mir Wasser zum Mundspülen und sagt: Kannst jetzt ja normal weitermachen, Du hast dich ja schon übergeben.
SPOX: Auch auf Schalke war Magath zumindest für kurze Zeit Ihr Trainer. Was hat Sie damals zum Wechsel nach Gelsenkirchen bewogen?
Kuranyi: Ich war jung und wollte etwas Neues erleben. Schalke war immer ein großer Verein mit tollen Fans und vielen Erfolgen. Außerdem konnte ich dort wieder international spielen. Und irgendwie hatte ich auch das Gefühl, dass ich das für meine Entwicklung brauche. Raus aus dem gewohnten Umfeld, weg von dem Verein, bei dem ich schon als Jugendlicher war.
SPOX: Aber selbst Magath konnte Sie anschließend nicht an einem erneuten Wechsel nach Russland hindern...
Kuranyi: Schalke hatte andere Pläne, es gab gar kein Angebot für einen neuen Vertrag. Deshalb war für mich relativ schnell klar, dass sich die Wege trennen würden. Ich wollte gerne eine neue Liga kennen lernen.
SPOX: Sie haben nie einen Hehl draus gemacht, dass das Geld bei Ihrem Wechsel nach Moskau eine große Rolle gespielt hat. Gab es nicht den Gedanken, sich in einer der europäischen Top-Ligen wie England oder Spanien durchzusetzen? Die russische Liga wirkte eher wie ein Rückschritt.
Kuranyi: Natürlich hatte ich diese Gedanken auch, aber die russische Liga ist viel besser als ihr Ruf und Dinamo machte mir ein Angebot, das schwierig zu schlagen und abzulehnen war. Deshalb sind die Verhandlungen mit anderen Vereinen auch relativ schnell gescheitert. Heute kann ich sagen, alles richtig gemacht zu haben, obwohl ich auch gute Angebote von anderen namhaften Clubs hatte. Zwar nicht Real oder Barca - aber der eine oder andere europäische Spitzenklub war dabei. Zum Beispiel einer aus Italien.
SPOX: Bleib der Kontakt zu Magath trotzdem bestehen?
Kuranyi: Ja, wir haben bis heute Kontakt. Erst vor kurzem habe ich ihn zur Restaurant-Eröffnung meines Bruders nach Stuttgart eingeladen. Immer wenn wir uns treffen oder telefonieren, ist es so, als würden wir noch zusammenarbeiten. Wir gehen immer sehr nett und respektvoll miteinander um.
SPOX: Nicht so gut ist dagegen Ihr Verhältnis zur Nationalmannschaft, obwohl Sie immer zu den treffsichersten Bundesliga-Stürmern gehörten. Haben Sie sich manchmal einen Trainer gewünscht, der ein größerer Fan von Kevin Kuranyi ist?
Kuranyi: Das wäre für mich persönlich bestimmt besser gewesen. Aber ich will mich nicht beschweren, ich habe viele Länderspiele gemacht und einige Tore erzielt. Jeder Trainer hat seine Favoriten und bestimmte Spieler-Typen, auf die er steht und setzt. Das muss man als Spieler so hinnehmen.
SPOX: Besonders schwer war das 2006, als Sie nicht für die WM im eigenen Land nominiert wurden. Wo waren Sie, als man Ihnen die Entscheidung mitgeteilt hat?
Kuranyi: Das war die größte Enttäuschung meiner Fußball-Karriere. Ich war zuhause bei meiner Familie, als der Anruf von Jürgen Klinsmann kam. Im ersten Moment brach für mich eine Welt zusammen. Dann allerdings schlief mein kleiner Sohn zum ersten Mal auf meiner Brust liegend ein. Das hat mir ein sehr gutes Gefühl gegeben und mich daran erinnert, dass es im Leben auch andere Dinge gibt, die genauso wichtig sind. Oder noch viel wichtiger.
SPOX: Fühlten Sie sich um den Lohn Ihrer Arbeit gebracht?
Kuranyi: So hart würde ich es nicht ausdrücken, aber es kam schon sehr überraschend für mich. Ich habe damals wahnsinnig hart geackert und in den Spielen unter Klinsmann auch immer getroffen. Irgendwann kommt aber der Punkt, an dem man sich eingestehen muss, dass andere Leute die Entscheidungen treffen. In dem Fall war es eine schlechte Entscheidung für mich.
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