SPOX: Die VfB-Spieler handelten da vielleicht sogar gegen den Trend. Die Protagonisten der Bundesliga legen inzwischen extrem viel Demut an den Tag. Nur wenige formulieren große Ziele, kommen lieber aus der Deckung. Wo ist der Mut hin?
Irion: Das resultiert aus den Erfahrungen mit den Medien. Die Aussagen werden überspitzt. Dann steht da in fetten Lettern, dass der FC Augsburg Meister werden will. Die Außendarstellung ist dann aber oft so demütig, dass es fast nicht mehr glaubhaft ist. In den Interviews ist ein Unterton zu hören, man gibt die Message: "Ich sag euch das jetzt nicht, sonst fliegt mir das um die Ohren." Es wäre schöner, wenn man einen anderen Umgang mit den Erwartungen, der Leistungskompetenz und der Selbstüberzeugung hätte. Dass man eben mal sagt: Das ist mein Ziel! Denn aus meiner Sicht ist diese Demut durchaus kontraproduktiv.
SPOX: In welcher Hinsicht?
Irion: Auch wenn man weiß, dass es bei diesen Aussagen nur um die Außendarstellung geht, hat das Wirkung auf die Spieler und deren Leistung. Wer tiefstapelt, sollte sich dessen bewusst sein, wie das bei den Spielern ankommt. Denn man will ja, dass die Mannschaft Ziele erreicht.
SPOX: Bei Bayer Leverkusen predigt Rudi Völler seit Jahren gebetsmühlenartig, dass der FC Bayern unerreichbar ist. Ist das kein schlechtes Signal an das eigene Personal?
Irion: Es ist eindeutiges Signal. Wenn ich das so kommuniziere, dann will ich vermeiden, dass ich falle, nachdem ich gegen die Bayern verloren habe. Die Niederlage gegen Bayern ist da auch schon programmiert, sie ist legitim und damit ein Bestandteil des Gesamtkonzepts. Man kann das so machen, aber dann wird man die Bayern nicht schlagen. Diese Demut ist in der Liga schon stark verbreitet und es wäre schön, wenn sich die Klubs eher wie der VfL Wolfsburg positionieren würden.
SPOX: Dort traut man sich inzwischen etwas aus der Deckung.
Irion: Richtig. Die Wolfsburger sagen: Die Bayern stolpern auch mal und wenn sie stolpern, sind wir da. Das ist auch Tatsache: Die Bayern hatten in der abgelaufenen Saison nicht die erste Position in den direkten Duellen unter den ersten Sechs, sondern die Letzte. Dessen sollte man sich bewusst sein und das wahrnehmen. Das sorgt auch dafür, dass die Mannschaft dann in der Lage ist, ein Bild aufzubauen, indem sie träumt, die Bayern zu bezwingen und mordsmäßig zu feiern.
SPOX: Der VfL Wolfsburg ist ein ambitionierter Klub mit einem riesigen Konzern im Rücken. Muss man da sogar nicht noch offensiver werden, um mit den Zielen der Weltmacht, die dahinter steht, in Einklang zu stehen?
Irion: Es gibt sicher eine Abstimmung in der Außendarstellung, damit die Ausrichtung des Klubs und des Konzerns übereinstimmen. Aber ich würde nicht so weit gehen, dass man die Außendarstellung vom Konzern ableiten lassen kann. Wenn es nicht passen würde, würde man das dem Klub schon sagen. Schauen Sie sich diverse Regionen an, in denen große Konzerne nicht auf dem Trikot zu sehen sind. Das hat schon was mit der Darstellung des Vereins zu tun.
SPOX: Gegen den Strom schwimmt RB Leipzigs Ralf Rangnick, der durchaus selbstbewusst auftritt. Meister werden? Warum nicht? Champions League? Warum nicht? Mario Götze? Warum nicht? Ist es inzwischen Luxus, ein selbstbewusstes Auftreten zu haben?
Irion: Ich weiß nicht, ob es Luxus ist. Vielmehr ist es eine Qualität. Wichtig ist, dass man dabei authentisch und glaubwürdig bleibt, dass man auch selbst glaubt, was man da sagt. Wenn Ralf Rangnick "warum nicht?" meint, dann soll er das auch so sagen. Er hat genug Erfahrungen in die anderen Richtungen gemacht und sehr professionell mit sich gearbeitet, um in diese Positionen zu kommen, um dieses Selbstbewusstsein zu zeigen und sich nicht kleiner zu machen, als er sich fühlt.
SPOX: Rangnick hatte vor Jahren einen Burn-out, ist aber wieder zurück im Geschäft und jetzt sogar auf die Trainerbank zurückgekehrt. Wie beurteilen Sie seine Entwicklung?
Irion: Ich finde es bezeichnend für einen Menschen, der in einer Burn-out-Situation war. Ich habe mit vielen Menschen gearbeitet, die in einem Burn-out waren oder sind. Wer hoch hinaus will, der war vorher in tiefen Tälern. In der Nachbetrachtung gibt es nichts Besseres, als den tiefsten Punkt zu erreichen, um nachher in Höhen zu kommen, die man zuvor nicht erreicht hat. Wenn man durch diese Phase kommt, wird man stärker, als man es vorher jemals war.
SPOX: Tiefe Täler sind ein gutes Stichwort, wenn man über den Hamburger SV spricht. Dort erreicht man fortwährend einen noch tieferen Punkt, aber der HSV stemmt sich dann doch jedes Mal gegen das bittere Ende und schafft es immer wieder. Ist das in erster Linie ein mentaler Erfolg?
Irion: Definitiv. Durch Erfahrungen prägen sich gewisse Muster in Menschen ein. Beim HSV ist das so nicht nur bei den Fans so, sondern auch bei den Spielern. Ja, sie kämpfen wiederholt gegen den Abstieg, aber wenn die Relegation ansteht, sind sie da und drehen das. Das steckt in den Köpfen der Spieler, aber auch in den Köpfen der Gegner. Das kann durchaus ein entscheidender Faktor sein.
SPOX: Nach Rückschlägen gibt man sich beim HSV inzwischen fast schon routiniert. Bruno Labbadia wehrt negative Energie ab, sagt auch, dass Rückschläge kaum noch berühren. Können ständige Negativerlebnisse wirklich so stärken?
Irion: Ich glaube jedem Menschen zunächst einmal, was er sagt. Ich weiß aber nicht, ob er davon überzeugt ist. Jedes gesprochene Wort, jede Schlagzeile hat eine Wirkung auf einen Menschen. Allerdings verändert sich diese Wirkung: Wenn man viel drangsaliert wird, viel gepiesackt wird und trotzdem immer wieder aufsteht und weiterläuft, entsteht ein Schutzschild. Aufgrund der Erfahrung nervt das dann nicht mehr so. Dann hat man ein hohes Selbstbild und weiß, dass man über gewissen Dingen steht.
SPOX: Interessant ist die Rolle von Rene Adler, der nach Niederlagen mit Nachdruck sich selbst und Kollegen kritisiert, auch Kraftausdrücke dabei benutzt. Ist er gut beraten, den Druck auf diese Weise abzulassen?
Irion: Wenn Adlers mentale Grundkonstitution so ist, dass er geradeheraus spricht und diese Kraftausdrücke benutzt, dann sollte er sich auch so darstellen. Aber er sollte sich auch beraten lassen, weil die Wirkung vor der Kamera noch einmal eine ganz andere ist. Es darf ihm und seinem Verein nicht schaden, wenn er authentisch ist. Die andere Seite ist die Professionalität. Es mag für die Medien interessant sein, aber ob es einem selbst gut tut, ist eine andere Frage.
Seite 1: "Dialekt reicht nicht für Klopp-Wirkung"
Seite 2: Demütige Bundesliga: "Dann wird man die Bayern nicht schlagen"