"Gedacht, Stuttgart muss absteigen"

Oliver Mehring
02. September 201518:24
Meißner ist sich unsicher, ob die VfB-Zugänge für einen Qualitätssprung aussreichenimago
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Silvio Meißner hat mit dem VfB vom Abstiegskampf bis zur Meisterschaft alles gesehen. Der ehemalige Mittelfeldspieler ist mit den Schwaben nach wie vor eng verbunden und sorgte sich schon vergangene Saison um seinen alten Verein. Im Interview mit SPOX spricht Meißner über den missglückten Saisonstart, den Abgang von Armin Veh und die neuen Hoffnungsträger beim VfB. Außerdem gewährt er Einblicke in seinen neuen Job als Spielerberater.

SPOX: Herr Meißner, eine neue VfB-Saison und wieder ein Fehlstart - wie haben Sie die ersten drei Spieltage erlebt?

Meißner: Der Start ist alles andere als sensationell und wirft wieder viele Fragen auf! Ist das neue System des Trainers schnell zu verstehen, ist die Mannschaft fit genug und hat man die richtigen Spieler dafür? Nach dem Erfolg gegen City war die Euphorie wieder groß, aber für den Sieg kann man sich nichts kaufen. Blickt man nach England: Da hat Manchester gleich wieder vier Saisonspiele gewonnen. Der VfB steht dafür wieder unten drin und hatte noch keinen schweren Gegner, die Brocken kommen erst noch. Es wird auf alle Fälle wieder eine harte Saison und international wird der Verein auf längere Sicht nicht dabei sein. Nun also wieder Abstiegskampf statt Europa League, von noch höheren Ambitionen ganz zu schweigen.

SPOX: Bereits vor der letzten Saison kritisierten Sie den VfB bezüglich seiner Personalplanung und warnten vor der nächsten Spielzeit im Abstiegskampf. Am Ende wurde es so knapp wie seit Jahrzehnten nicht mehr...

Meißner: Da war sehr viel Glück im Spiel. Zwischenzeitlich habe ich mir sogar gedacht, dass der Verein einfach mal absteigen muss, damit in Klub und Mannschaft endlich richtig aufgeräumt werden kann. Jetzt haben wir wieder einen neuen Trainer und ein paar Neuzugänge. Meiner Meinung nach ist es schwierig, mit Spielern aus Heidenheim oder Paderborn da unten rauszukommen. Vielleicht braucht es auch mal wieder einen Hochkaräter, der den Verein nach oben führen kann. Es wird auf alle Fälle wieder eine harte Saison.

Silvio Meißner, Jahrgang 1973, spielte 382 Bundesliga- und Zweitligapartien für Stuttgart, Bielefeld, Kaiserslautern und Chemnitz. Der Deutsche Meister von 2007 ist heute als Spielerberater tätiggetty

SPOX: Letztes Jahr trat ihr Ex-Coach Armin Veh nach nur drei Monaten zurück. Waren sie von dem Schritt überrascht?

Meißner: Ich war erst einmal davon überrascht, dass er überhaupt zurückgekehrt ist. Eigentlich wollte er nach seinem Abschied aus Frankfurt eine Pause einlegen. Veh hat sich dann wohl vom VfB ein wenig überreden lassen, dann aber gemerkt, dass sich seit 2006 einiges im Verein verändert hat - und die Mannschaft für mehr als das untere Tabellendrittel nicht in Frage kommt. Natürlich hat er damit viele Fans verärgert, aber vielleicht war das auch der richtige Schritt für den Klassenerhalt.

SPOX: Inzwischen gibt es mit Robin Dutt einen neuen starken Mann im Verein, der große Veränderungen angekündigt und bereits einiges in die Wege geleitet hat. Welchen Eindruck haben Sie von seiner Arbeit?

Meißner: Ich habe selbst Kontakt zu ihm. Er hat eine klare Vorstellung von seinem Job. Gerade mit Rückblick auf die vergangenen Spielzeiten wird er sicherlich an den ersten Wochen der Saison gemessen werden.

SPOX: Eine der ersten wichtigen Amtshandlungen von Dutt war die Verpflichtung von Alexander Zorniger, der ein recht ungewöhnliches System installiert hat. Vor allem die defensiven Mittelfeldspieler müssen sich umstellen. Ein Risiko?

Meißner: Das ist nur eine Gewöhungssache. Grundsätzlich ist im aktuellen Kader vor allem Serey Die der Mann für die defensivste Position im Mittelfeld. Er ist der Mann, der vor der Abwehr sauber machen muss. Die ist der ideale Mann für diese Aufgabe, da er auch mal dazwischen haut und Charakter hat. In den letzten Jahren wollten alle nur Fußball spielen und keiner wollte sich den Arsch aufreißen. Er hat die typische afrikanische Fußballqualität am Ball, aber auch ein Kämpferherz. Das war ein wirklich wichtiger Einkauf. Für ihn bringt aber dieser Systemwechsel kaum Veränderung.

SPOX: Gibt's andere Akteure, die Sie für die laufende Saison weiterhin positiv stimmen?

Meißner: Didavi kenne ich noch aus meiner Zeit. Damals wurde er frisch in die zweite Mannschaft hochgezogen und war schon ein super Kicker. Er ist leider verletzungsanfällig. Dabei kommen kaum mehr als zehn Spiele pro Saison rum. Wenn er wirklich einmal eine Saison durchspielen könnte, würde er einen Riesensprung machen. Ich bin gespannt, ob der VfB ihm eine Verlängerung schmackhaft machen kann. Ansonsten hat Ginczek nach seiner unglücklichen Verletzung wichtige Tore geschossen und bringt den nötigen Killerinstinkt mit. Schafft es Stuttgart, diese zwei zu binden, dann ist in den nächsten Jahren vieles möglich.

SPOX: Eine große Baustelle war sicherlich auch die Innenverteidigung, die durch Toni Sunjic noch einmal aufgerüstet wurde. Vor allem nach dem Abgang von Antonio Rüdiger.

Meißner: Bei diesen großen Vereinsnamen musste Rüdiger diesen Schritt einfach gehen. Da muss man in diesem Alter einfach sagen: "Danke, dass ich bei Euch spielen konnte, aber das ist eine super Chance für mich." Stuttgart konnte jetzt frisches Geld in die Mannschaft stecken. Für beide Seiten ist der Wechsel ein neue Chance.

SPOX: Als Sie damals zum VfB kamen, ging es drunter und drüber. Die aktuelle Saison begann ebenso mit drei Pleiten und zehn Gegentoren. Wie rutscht man als Mannschaft in so eine Negativspirale?

Meißner: Da gibt es zahlreiche Faktoren. Ironischerweise hatte ich damals mein letztes Spiel mit der Arminia beim VfB, der am letzten Spieltag noch in den UEFA-Cup wollte. Mit einem Unentschieden haben wir die Sache vermiest und für Stuttgart ging es in den UI-Cup. Das hat damals extrem die Vorbereitung beeinflusst, sodass wir schwer aus den Startlöchern gekommen sind. Ende Februar wurde Ralf Rangnick entlassen und Felix Magath übernahm. Mit ihm ging es schließlich bergauf.

SPOX: Ähnlich wie in den vergangenen Monaten war auch in der Führungsetage einiges los. Beeinflusst eine Mannschaft so etwas tatsächlich?

Meißner: Das merkt man am Ende schon. Schließlich sind das die Personen, die im Verein das Sagen haben. Wenn es dort durcheinander geht und irgendwelche Machtspiele ausgetragen werden, bekommt man das definitiv mit. Wenn es am Kopf stinkt, zieht sich das bis zum Schwanz durch. Da müssen die tonangebenden Personen einfach ihre Eitelkeiten in den Griff bekommen.

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SPOX: Sie sind ein Kind der ostdeutschen Fußballschule und waren vor dem VfB unter anderem bei Chemnitz aktiv. Nun ist die große Nummer im Ost-Fußball RB Leipzig. Können Sie mit der Kritik am Projekt etwas anfangen?

Meißner: Zunächst wollte Red Bull bekanntlich bei Dresden einsteigen, nun hat man sich eben Leipzig rausgesucht. Für Leipzig ist es natürlich eine super Sache, auch mit dem tollen Stadion. Allerdings sehe ich den diesjährigen Aufstieg nicht so sicher, wie er von vielen gemacht wird. Aber auf lange Sicht ist das natürlich ein erfolgversprechendes Projekt. Ich würde mich jedoch nicht immer nur auf Red Bull einschießen. Auch in der Bundesliga gibt es zahlreiche potente Geldgeber, sodass es mühselig ist, sich daran aufzureiben. Selbst wenn es natürlich ein Projekt ist, das bereits in der 6. Liga gestartet wurde.

SPOX: Gibt es noch einen anderen Ost-Klub mit Potenzial für die Bundesliga?

Meißner: Da lässt sich niemand wirklich rauspicken. Dafür ist die dritte Liga inzwischen wie eine Ostliga. Da tummeln sich zahlreiche Kandidaten. Aber das Problem ist kurz nach der Wende entstanden, da hat im Umfeld das Geld gefehlt - und bis heute hinkt die Wirtschaft im Osten hinterher. Aber warum soll ein Überraschungsaufsteiger nicht auch mal aus dem Osten kommen?

SPOX: Sie persönlich sind inzwischen als Spielerberater tätig.

Meißner: Ich bin dabei, mir da etwas aufzubauen. Vielleicht kommen auch bald mal Erstliga-Kicker dazu, oder ein junges Talent mit dem Potential für ganz oben. Aber es ist in der Branche nicht ganz so einfach. Es gibt so viel Spielerberater - seit 1. April braucht man auch keine Lizenz mehr. Da machen auch viele ihren Job nicht richtig. Es geht nicht alleine um das Aushandeln von Verträgen, sondern darum, dass man die Jungs auch wirklich betreut. Nur als Beispiel: Alleine durch Facebook und die falschen Kommentare kann man sich bereits in jungen Jahren die Karriere kaputt machen.

SPOX: Ein großes Thema unter den Fans ist auf der anderen Seite immer wieder die Kritik bezüglich fehlender Typen, die durch Medientraining kaum noch als eigenständige Personen wahrgenommen werden.

Meißner: Wenn größere Sachen anstehen, dann schaue ich schon noch einmal über die Interviews meiner Jungs drüber. Dennoch: Grundsätzlich will ich mündige und eigenständige Spieler, die auch ihre Meinung vertreten können. Klar, kann man damit auch mal ordentlich Theater haben, aber auch dafür muss man geradestehen können. Diese weichgespülte Attitüde ist alleine deshalb schon der falsche Ansatz, weil man es den Leuten ohnehin nie komplett recht man kann - also wieso nicht gleich die Sache sagen, wie man sie selbst sieht? Die Bild-Zeitung findet früher oder später ohnehin neue Sachen, über die sie schreiben kann.

SPOX: Wie sah das Verhältnis zum Berater zu Ihrer aktiven Zeit aus?

Meißner: Ganz anders! Da wurden tatsächlich nur Verträge ausgehandelt und man hat sich vielleicht ein-, zweimal im Jahr gesehen. Das wäre heute unverantwortlich. Ich telefoniere eigentlich mit jedem Klienten einmal die Woche. Wenn Du ins Stadion gehst, dich auf die Tribüne hockst und denkst: 'Da unten ist jetzt einer meiner Kicker, mal schauen, wie der sich heute schlägt...' Das freut mich total!

SPOX: Sehen wir dann vielleicht bald einen VfB-Spieler, betreut von Silvio Meißner?

Meißner: Natürlich ist das mein Ziel! (lacht) Aber ich bin einfach nicht der Typ, der da bei A-Jugend-Spielen auf den Platz stürmt und Telefonnummern verteilt. Es ist besser, die Kontakte entstehen auf natürlichem Wege - Empfehlungen oder ein Spieler kommt auf mich zu. Das ist schon verrückt, was da auf den Länderpokalen los ist bei U15, U16 oder U17 .Es spielt zum Beispiel Hessen gegen Bayern - da rennen 20 Berater auf den Platz und machen die jungen Kerle ganz verrückt. Keiner kann wirklich voraussagen, ob die Jungs wirklich einmal Bundesliga spielen. Sobald sie volljährig sind, kann man dann seine Kontakte knüpfen, wenn eine Profikarriere auch langsam absehbar ist. Da muss vor allem der DFB und die Vereine eine Lösung finden.

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