SPOX: Herr Becker, wo in der Welt erwischen wir Sie denn gerade?
Ralf Becker: Ich bin gerade wieder in Stuttgart gelandet und auf dem Weg ins Büro. Ich war gestern im Ausland und habe mir ein Spiel in der Youth League und eins in der Champions League angesehen.
SPOX: Wie viel fährt und fliegt der Chefscout des VfB wöchentlich durch die Weltgeschichte?
Becker: Gerade haben wir unseren Fokus im Ausland, deshalb verbringe ich aktuell viel, viel Zeit in Flugzeugen. Es gibt aber auch Phasen, in denen man tage- und wochenlang im Auto sitzt und tausende Kilometer fährt. Das ist extrem, gehört aber zum Job. Mit Sightseeing oder Vergnügen hat das eher wenig zu tun.
SPOX: Gibt es Haupteinsatzgebiete, in denen Sie am häufigsten unterwegs sind?
Becker: Das hat mit geographischen Einordnungen wenig zu tun. Wir haben uns über die Jahre eine gute Marktkenntnis geschaffen und wissen, in welche Länder wir für welche Positionen und Spielertypen gehen müssen. Es macht einen großen Unterschied, ob wir einen Spieler suchen, der direkt funktionieren muss, oder einen, dem eine gewisse Zeit zugesprochen wird, sich einzuleben und durchzusetzen. Es ist wichtig zu wissen, wo man was finden kann.
SPOX: Wollen Sie das erklären?
Becker: Nehmen wir Filip Kostic, der vom FC Groningen kam. In den unterschiedlichen Ligen gibt es unterschiedliche Schwerpunkte, zum Beispiel was das Fußballerische, das Tempo oder die Athletik angeht. Wenn man einen Spieler aus den Niederlanden holt, muss man ihm in der Regel eine gewisse Zeit geben, sich zu akklimatisieren. Wenn ich einen Spieler will, der ohne Wenn und Aber direkt funktioniert, dann muss ich weg aus der Eredivisie und direkt in die großen Fußballländer gehen. Oder - was uns natürlich am liebsten ist - wir finden die Spieler direkt in der Bundesliga oder 2. Liga.
SPOX: Sie kennen das Fußballgeschäft aus fast allen Perspektiven - haben in der Bundesliga und international gespielt, waren Co- und Cheftrainer und haben im Juniorenbereich gearbeitet: Ist das Scouting dennoch die zeitraubendste Tätigkeit, die sie im Fußball kennengelernt haben?
Becker: Es ist auf jeden Fall der Bereich, in dem man sehr selten im eigenen Bett schläft. Natürlich bringt jede Tätigkeit auf jeder Ebene viele Besonderheiten, Prioritäten und vor allem Arbeit mit sich. Zeitlich gesehen ist Scouting allerdings am intensivsten.
SPOX: Wie kam es, dass Sie sich nach den Trainertätigkeiten in Karlsruhe und Ulm für diesen gefühlten Schritt zurück entschieden haben?
Becker: Der Kontakt zum VfB kam eigentlich dadurch zustande, dass man mich zu meiner Ulmer Zeit als U19-Coach wollte. Als ich wegen der Insolvenz dort früher frei war, wollte ich die Zeit nutzen und habe den VfB in der Scoutingabteilung unterstützt. Nach zwei oder drei Monaten wurde ich dann gefragt, ob ich die Abteilung nicht übernehmen wolle. Ich habe lange alle Seiten abgewogen, bin aber froh, mich für diesen Weg entschieden zu haben. 2011 kam dann zusätzlich die Leitung des Junior-Teams hinzu.
SPOX: War es in irgendeiner Form einschränkend, für zwei so elementare Bereiche verantwortlich zu sein?
Becker: Das ist eine gute Frage. Diese zwei Jahre waren, was die Jugend betrifft, sehr erfolgreich. Die Ergebnisse der Nachwuchsteams haben gestimmt. Das Entscheidende in der Jugendarbeit ist aber die Durchlässigkeit in den Profibereich. Da hatten wir uns zu dieser Zeit auf sechs Toptalente der "Kategorie eins" konzentriert - und mit Joshua Kimmich, Timo Werner, Timo Baumgartl, Arianit Ferati und Mart Ristl haben fünf dieser Spieler bereits Bundesligaeinsätze absolviert oder sind gestandene Bundesligaprofis.
SPOX: Also keine Komplikationen?
Becker: Nun ja, bei einer externen Bewertung unseres Nachwuchsleistungszentrums wurde diese Doppelfunktion als gute Konstellation gelobt. Wir konnten auch gute Ergebnisse vorweisen. Aber da muss man auch ehrlich sein: In der Praxis war es einfach kaum möglich, beide Bereiche zu 100 Prozent optimal abzudecken. Nach zwei Jahren haben wir die Situation zusammen mit Fredi Bobic und Armin Veh wieder aufgelöst.
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