Im April 2010 ist Ivica Olic am Höhepunkt seiner Karriere angelangt. Im Stade Gerland erleben die 40.000 Zuschauer, wie das Halbfinal-Rückspiel zwischen Olympique Lyon und Bayern München zur One-Man-Show mutiert.
Mit drei Treffern in bester Gerd-Müller-Manier schießt der Kroate den deutschen Rekordmeister ins Finale der Champions League. Mit insgesamt sieben Treffern holt sich der Kroate sogar beinahe die Torjägerkanone der Königsklasse, nur ein Tor trennt ihn am Ende von einem gewissen Lionel Messi.
Rund fünfeinhalb Jahre später schmort ein sichtlich angefressener Olic auf der Bank des HSV. Der inzwischen 36-Jährige war im vergangenen Winter zu seiner alten Liebe zurückgekehrt, um in der Hansestadt das letzte Kapitel seiner beeindruckenden Karriere zu schreiben.
"Ich habe auf mein Herz gehört, als ich zum HSV gewechselt bin. Ich liebe den Verein und die Stadt", äußerte er sich kürzlich zu seiner Situation: "Wenn ich aber gewusst hätte, wie es laufen würde, wäre ich in die USA gegangen."
Stammplatz auf der Ersatzbank
Ganze 93 Minuten stand Olic in der laufenden Bundesliga-Saison auf dem Platz, davon nicht ein Mal in der Startformation. Statt sein Comeback nach fünfeinhalb Jahren in München und Wolfsburg als Führungsspieler des HSV zu feiern, befindet sich sein Stammplatz unter Bruno Labbadia auf der Ersatzbank.
Dabei sollte der Routinier im Grunde genau ins Anforderungsprofil der Hanseaten passen. Nach den zwei Horror-Saisons besinnen sich die Rothosen unter Labbadia auf das Wesentliche: Kein Schnick-Schnack, keine hohe Fußballkunst, stattdessen kampfbetontes Spiel und harte Arbeit. Auf dem Papier wie gemalt für das "Arbeitspferd" Olic.
Musterbeispiel eines "ehrlichen Arbeiters"
Der Mann aus dem 3000-Seelen-Dorf Davor hat sich durch seine Spielweise über Jahre hinweg zu einem absoluten Fan-Liebling entwickelt. Er ist einer der wenigen Typen, die der geneigte Fußballromantiker gerne als "ehrlichen Arbeiter" bezeichnet. Olic ackert, kämpft und schmeißt sich in nahezu jeden Zweikampf. Das sieht zwar selten filigran aus, hat jedoch für einen Stürmer einen derartigen Seltenheitswert, dass der Kroate damit bisher fast jeden Trainer überzeugen konnte.
Zu seinem Spielstil passt auch der Charakter des Stürmers. Eskapaden außerhalb des Platzes sucht man bei Olic ebenso vergebens wie selbstverherrlichende Selfies, Bling-Bling-Ohrringe oder ähnlichen Schnickschnack.
Dass er neben diesen Attributen fast immer Torgefahr ausstrahlen konnte, überzeugte unter anderem Louis van Gaal. Unter dem Niederländer erhielt Olic bei den Bayern eine Chance und zahlte sie vor allem in der Saison 2009/10 eindrucksvoll zurück. In seiner anschließenden Zeit beim VfL Wolfsburg kam er im hochklassig besetzten Kader auf stolze 78 Ligaeinsätze in zweieinhalb Jahren.
Liebling der Fans
Im Spätherbst seiner Laufbahn sollte Olic dem krisengeschüttelten HSV zu Stabilität verhelfen. Die Fans empfingen den verlorenen Sohn mit offenen Armen, alles schien angerichtet für eine erneute Erfolgsgeschichte.
In seiner ersten Zeit in Hamburg war Olic bereits Identifikationsfigur und unbestrittener Publikumsliebling. 2009 hätte er den Bundeliga-Dino mit einem Doppelpack beinahe ins UEFA-Cup-Finale geschossen, wenn der Erzrivale aus Bremen damals nicht die unerwartete Hilfe der berühmten Papierkugel erhalten hätte.
Dass er im zarten Alter von 36 Jahren trotzdem noch das Zeug zum Führungsspieler hat, steht für Olic außer Frage. "Ich bin immer noch hoch motiviert und weiß, dass ich auf höchstem Niveau spielen kann", gab er sich vor wenigen Tagen selbstbewusst.
Ungeliebte Außenbahn
Trotzdem konnte sich Olic unter Labbadia nicht durchsetzen. Im Angriff erhalten wahlweise Pierre-Michel Lasogga, Sven Schipplock oder Michael Gregoritsch den Vorzug. Dem Routinier bleibt bei seinen wenigen Kurzeinsätzen dagegen nur das Abstellgleis Außenbahn, auf dem er sich sichtlich unwohl fühlt.
Seine Waffen kann Olic, der sich in der Vergangenheit stets auf seinen Torriecher verlassen konnte, auf dem Flügel momentan nicht entscheidend zur Geltung bringen. Seit dem letzten Spieltag der vergangenen Saison wartet er bereits auf einen Ligatreffer. Ob für ihn die Tür zum Sturmzentrum beim HSV überhaupt noch einmal aufgehen wird, wissen allein Labbadia und sein Trainerteam.
Die vollkommen ungewohnte Rolle als Reservist führte unlängst dazu, dass Olic seinem Ärger Luft machte und dabei den für ihn untypischen Weg über die Öffentlichkeit wählte. "Wenn sich meine Situation in den kommenden vier, fünf Wochen nicht verbessert, muss ich etwas ändern", drohte er seinem Arbeitgeber: "Dann werde ich den HSV verlassen, vielleicht in Richtung USA, vielleicht in eine andere Liga."
Vorzeichen stehen auf Abschied
Ob sich Olic mit dieser Drohung ins eigene Bein geschossen hat, wird sich frühestens beim Heimspiel der Hamburger am Freitagabend gegen den BVB zeigen (20.30 Uhr im LIVETICKER). Zur allgemeinen Situation sowie den jüngsten Aussagen seines Stürmers hielt sich Labbadia bislang bedeckt. In der Vergangenheit ging der Trainer jedoch nicht gerade wohlwollend mit Querulanten um.
Somit deuten die meisten Vorzeichen auf einen Abschied in der Winterpause hin. Die anstehende Europameisterschaft dürfte die Wechselgedanken des Kroaten noch weiter bestärken. Als Dauergast auf der Hamburger Bank ist die Nominierung des Altmeisters keine Selbstverständlichkeit.
Die Bundesliga verliert damit wohl einen ihrer einzigartigsten Spieler der jüngeren Vergangenheit. Statt Anführer ist Olic unter Labbadia zum Auslaufmodell geworden, dessen Tage beim HSV offenbar gezählt sind.
Ivica Olic im Steckbrief