Arsch aufreißen oder abhauen

Von Tim Schöfer
Younes Belhanda will sich auf Schalke durchsetzen und zu alter Stärke zurückfinden
© getty

Mit 19 Jahren erkämpfte sich Younes Belhanda bei Montpellier einen festen Platz. Zwei Jahre später führte er sein Team zum größten Erfolg der Vereinsgeschichte. Sein nächster Schritt führte nach Kiew - doch dort wurde der Marokkaner vom Hof gejagt. Bei Schalke 04 will der Spielmacher nun zu alter Form zurück finden. Dafür muss er vor allem sich selbst in den Griff bekommen.

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Im Sommer 2015 wechselte Julian Draxler für 35 Millionen Euro von Schalke nach Wolfsburg und schloss sich dem VfL an. Seitdem klafft im Kreativbereich der königsblauen Offensive ein großes Loch. Denn auf Schalke war Draxler gesetzt, nicht selten war es ein genialer Moment des 22-Jährigen, der zum Erfolg führte.

Doch Schalke drängte den jungen Nationalspieler zu sehr in die Rolle des Führungsspielers. "Ich kam zu der Überzeugung, dass ich es auf Schalke nicht mehr geschafft hätte, dem Druck und der Erwartungshaltung standzuhalten", erklärte der Neu-Wolfsburger seinen Wechsel.

Schalke versuchte, den Verlust dieses Führungscharakters im Kollektiv abzufangen. Neuzugang Johannes Geis übernahm aus dem zentralen Mittelfeld heraus sofort Verantwortung, Leroy Sane und Max Meyer sorgten für kreative Momente. Doch die Schultern der drei Youngsters sind schmal, vor allem international sind Geis (22), Meyer (20) und Sane (20) noch sehr unerfahren.

Schalke sucht den Führungsspieler

So sah sich S04 auf dem Markt nach einem Spieler um, der das Profil erfüllt: Erfahren, kreativ und vor allem in der Lage, die stets hohen Erwartungen der Anhängerschaft erfüllen zu können. Der heißeste Flirt im Sommer lief wohl mit Neapels Gökhan Inler. Doch der 31-Jährige entschied sich für einen Wechsel in die englische Premier League zu Leicester City. Dass der Kapitän der Schweizer Nationalmannschaft bei den Foxes nur auf der Bank sitzt, ist mit Blick auf die EM 2016 nicht gerade förderlich.

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So unternahm Königsblau im Winter einen neuen Versuch, Inler nach Gelsenkirchen zu locken. Doch in den zähen Verhandlungen kristallisierte sich heraus: Inler und Schalke finden nicht zusammen. Und so schlug Schalke an anderer Stelle zu: Younes Belhanda wechselte von Dynamo Kiew in den Ruhrpott.

Ein "Aggressive Leader" für S04

Schalke wird die dritte Station in der Vita von Belhanda. Seinen Durchbruch hatte der Marokkaner in Montpellier beim HSC, wo er mit 19 Jahren seine Profikarriere begann. Bemerkenswert: Der gebürtige Franzose erkämpfte sich auf Anhieb einen festen Platz im Kader, verzeichnete in seiner ersten Saison 33 Einsätze in der Ligue 1.

Belhandas Karriere ging von dort an steil bergauf. Während er mit beeindruckender Konstanz seine Leistung abrief, war Montpellier insgesamt jedoch zu unkonstant. In Belhandas Premierensaison wurden "Les Pailladins" Fünfter und qualifizierten sich für das internationale Geschäft. Im Jahr darauf folgte ein schwacher 14. Platz, zwei Jahre später verpasste man das internationale Geschäft als Neunter erneut.

Dazwischen führte Belhanda Montpellier zum größten Erfolg der Vereinsgeschichte: Im Sommer 2012 feierte der Verein aus Südfrankreich seine bisher einzige Meisterschaft. Neben Olivier Giroud (21 Tore) glänzte vor allem Belhanda. Der damals 21-Jährige dirigierte das Offensivspiel des Meisters und steuerte die zweitmeisten Tore (12) sowie sechs Vorlagen zum Erfolg bei.

Dabei entwickelte sich Belhanda zum "Aggressiv Leader". Zuvor noch nie des Feldes verwiesen sah der Marokkaner in der Meistersaison gleich zwei Mal die Ampelkarte. Bei seinem zweiten Platzverweis gegen Evian zettelte der Nationalspieler eine Schlägerei an, bei der auch Mitspieler Gregory Lacombe und Gegenspieler Saber Khelifa Rot sahen.

Schwieriger Charakter

Nach dem Verpassen des internationalen Geschäfts im Jahr darauf ging Belhanda den nächsten Schritt. Dass dieser nach Kiew führte, überraschte nicht wenige, denn er stand angeblich auch bei Klubs in Italien und England auf der Liste.

In Frankreich als Superstar gefeiert, musste sich Belhanda diesen Status in der Ukraine erst erarbeiten. Doch dieses Unternehmen scheiterte. Zwar hatte er in den ersten beiden Jahren viel Einsatzzeit, doch seine Klasse ließ der Spielmacher zu selten aufblitzen. Stattdessen machte er einen launischen und arroganten Eindruck, spielte oft lustlos und legte sich mit Trainer Serhij Rebrow an.

"Sein Charakter scheint etwas schwierig", erklärt Ukraine-Experte Igor Denysiuk in Reviersport. "Vor allem, wenn er auf der Bank sitzt oder ausgewechselt wird, ist er schnell beleidigt", führt Denysiuk aus und erklärt, was Belhanda fehlt: "Er muss noch lernen, sich den Arsch aufzureißen. Wenn es nicht läuft, dann ist er keiner, der die Mannschaft mitzieht."

So kam es, dass Dynamo Kiew letzte Saison mit Belhanda zwar Meister wurde und somit nach fünf Jahren erstmals wieder Shakhtar Donezk entthronte, das Verhältnis zwischen Spieler und Verein wurde aber zunehmend schlechter. Unter Rebrow war Belhanda plötzlich nicht mehr unumstritten und verlor in der laufenden Saison seinen Stammplatz.

Zurück zu alter Stärke

Auf Schalke bekommt Belhanda nun eine neue Chance, seine Klasse zu beweisen. Doch dem Marokkaner muss klar sein, dass auch bei Königsblau vieles mit der richtigen Einstellung steht und fällt. Den Status des Stars muss sich der 25-Jährige erst wieder erarbeiten. Bis zum Saisonende ist er ausgeliehen, danach kann Schalke ihn für neun Millionen Euro fest verpflichten.

Zweifellos kann der Spielmacher zum Glücksgriff für Königsblau werden. Der Edeltechniker kann mit seinen starken Dribblings den Unterschied machen, zudem hat er einen starken Abschluss und ein geniales Passspiel.

"Wenn er will, dann ist er eine Rakete", schwärmt Denysiuk über den schellen, dynamische Offensivspieler. Taktisch hat Belhanda aber noch Nachholbedarf. Insbesondere seine Defensivspiel muss er deutlich verbessern.

"Wenn er es schafft, die Tugenden auf Schalke endlich zu verinnerlichen, dann wird Schalke seinen Spaß an ihm haben", sagt Denysiuk und bringt einen interessanten Vergleich: "Auch Admir Mehmedi oder Raffael konnten in Kiew nie ihre Topform abrufen. Und in der Bundesliga klappte es plötzlich." Auch Belhanda habe die Qualitäten, ein Gewinn für die Bundesliga zu werden.

Erst liefern, dann bleiben

Dass Belhanda den Ernst der Lage erkannt hat und die Chance, aus dem Osten Europas zurück auf die große Bühne in Mitteleuropa zu kehren, nutzen will, beweisen seine ersten Aussagen. "Ich will versuchen, für die Mannschaft einen Mehrwert darzustellen - so, wie es von mir gewünscht ist."

Indem er seine Rolle erfüllt, will er sich für einen langfristigen Vertrag auf Schalke bewerben: "Ich hoffe sehr, dass ich länger als die vereinbarten sechs Monate bleiben kann."

Belhanda will mithelfen, das Saisonziel - die erneute Qualifikation für die Champions League - zu erreichen. "Ich möchte entscheidende Bälle spielen und nach Möglichkeit Tore erzielen. Wie einst bei Montpellier." Genau diesen Belhanda will man auf Schalke sehen. Und dann darf er sicher auch bleiben.

Younes Belhanda im Steckbrief