Ron-Robert Zieler durchlebt mit Hannover 96 eine katastrophale Saison. Gegenüber SPOX äußert sich der Nationalspieler zur aktuellen Stimmung im Team, der Kaderqualität und Trainer Thomas Schaaf. Seine Chancen im DFB-Team hängen wohl von den kommenden Wochen ab - dann fällt eine wegweisende Entscheidung.
Als Ron-Robert Zieler 2010 von Manchester Uniteds U21 nach Hannover kam, war er in Deutschland noch weitestgehend unbekannt. Klar, der DFB hatte den damals 21-Jährigen längst auf dem Zettel, vor allem Horst Hrubesch. Schließlich hatte er unter ihm schon mehrere U-Nationalmannschaften durchlaufen. Die breite Öffentlichkeit kannte den gebürtigen Kölner aber noch nicht.
Das sollte sich bald ändern. Nach einem halben Jahr bei 96 lief Zieler im ersten Rückrundenspiel 2010/11 gegen Eintracht Frankfurt erstmals in der Bundesliga auf - seither ist er die unangefochtene Nummer eins in Hannover.
Nach dem Profi-Debüt dauerte es keine zehn Monate, ehe auch Joachim Löw auf den Geschmack kam. Zieler stand am 11. November 2011 erstmals für die DFB-Elf auf dem Platz und absolvierte beim 3:3 gegen die Ukraine die vollen 90 Minuten.
Spätestens seitdem zählt der 96-Schlussmann zu den Besten in der Bundesliga. Entsprechend regelmäßig folgten die obligatorischen Einladungen zur Nationalmannschaft, abwechselnd mit Rene Adler, Tim Wiese, Marc-Andre ter Stegen und Roman Weidenfeller war er Deutschlands erste Instanz hinter Manuel Neuer. Bis zu dieser Saison.
"Das nimmt man mit nach Hause"
Denn bei 96 konnte sich der DFB-Keeper in der laufenden Spielzeit nur bedingt auszeichnen. Zu schwach waren die Leistungen seiner Vorderleute, als dass sich Zieler mittels Statistiken hätte empfehlen können. Und seine zuweilen gewohnt starken Leistungen gingen im sportlichen Gesamt-Chaos des Vereins unter.
Denn die Niedersachsen stehen mit 17 Punkten nach 27 Spielen vor dem Gang in die Zweitklassigkeit. Zehn Zähler beträgt der Rückstand auf den Relegationsplatz und das rettende Ufer bereits. Zwölf der letzten 13 Bundesliga-Spiele gingen verloren, entsprechend ist die Stimmung im Team.
"Es ist klar, dass die aktuelle Situation jeden von uns beschäftigt. Das schüttelt man nicht so einfach aus den Kleidern, das nimmt man mit nach Hause. Aber so belastend das alles auch ist: Wir können und dürfen uns nicht hängen lassen", sagt Zieler gegenüber SPOX: "Noch sind sieben Partien zu spielen. Und da wollen wir versuchen, das Bestmögliche zu holen. Das sind wir uns, aber auch unseren Fans schuldig."
"Können ja nicht den Spielbetrieb einstellen"
Vor der 0:1-Niederlage in Frankfurt hatte Zieler ausgesagt, 96 brauche ein großes Wunder, um noch in der Liga zu bleiben. Die Hoffnung schwindet weiter zusehends, das bestätigt der 27-Jährige, der aber keinen Gedanken an Resignation verschwendet: "Wir können ja nicht den Spielbetrieb einstellen. Wir werden versuchen, noch so viele Punkte wie möglich zu holen. Und dann schauen wir, für was das am Ende noch reicht."
Die Enttäuschung beim Keeper klingt deutlich durch - und doch spricht er dem Kader Bundesliga-Tauglichkeit zu: "Mein Eindruck war und ist eigentlich schon, dass wir die nötige Qualität haben. Aber wir bringen sie an den Spieltagen viel zu selten auf den Platz. Und eines ist auch klar: Die Tabelle lügt nicht, insgesamt waren unsere Leistungen im bisherigen Saisonverlauf einfach zu schwach."
Nicht einmal der designierte Retter Thomas Schaaf konnte die Mannschaft sportlich wieder in die Erfolgsspur lenken, im Gegenteil: Aus zehn Spielen holte der Trainer nur drei Punkte. Damit weist er sogar einen deutlich schlechteren Punkteschnitt (0,3) als sein Vorgänger Michael Frontzeck auf (1,04). Viele Fans empfanden ihn gerade beim Frankfurt-Spiel als leer und verzweifelt.
Zieler widerspricht dem und lenkt die Aufmerksamkeit vielmehr aufs Team: "Auf mich macht er weder einen leeren, noch einen verzweifelten Eindruck. Aber prinzipiell finde ich es auch extrem müßig, immer über den Trainer zu diskutieren. Fakt ist doch: Egal, ob der Trainer Tayfun Korkut, Michael Frontzeck oder jetzt Thomas Schaaf hieß - wir haben es einfach nicht oft genug geschafft, unser Leistungsvermögen abzurufen."
"Die Situation tut mir extrem weh"
Genau deshalb muss man jetzt rund um die HDI-Arena für die kommende Saison zweigleisig planen. Und auch Zieler, der sich in den vergangenen Jahren in Hannover eine komfortable Situation mit der Perspektive Nationalkeeper erarbeitet hat, steht am Scheideweg.
Er muss abwägen, inwiefern das Verhältnis zwischen seiner Liebe zum Verein und dem eigenen Werdegang noch stimmig ist. Auf die Frage, ob er sich überhaupt vorstellen kann, in die zweite Liga zu gehen, sagt er: "Eine schwierige Frage. Lassen Sie uns darüber noch mal sprechen, wenn die Saison vorbei ist."
Dass er sich aber schon jetzt mit dem kommenden Jahr beschäftigt, will er nicht leugnen: "Natürlich macht man sich seine Gedanken, wie es weitergeht. Aber nicht nur auf mich, sondern auf den ganzen Verein bezogen. Hannover 96 ist mir in den Jahren sehr ans Herz gewachsen. Der Verein, die Stadt, die Menschen hier. Deshalb tut mir die aktuelle Situation auch extrem weh."
"Noch keine Vorentscheidung gefallen"
Zu den jüngsten Länderspielen gegen England und Italien wurde der Hannoveraner nicht eingeladen. Neben Neuer berief Löw Marc-Andre ter Stegen, Bernd Leno und auch Kevin Trapp in den Kader. Zieler muss der insgesamt enttäuschenden Saison seines Vereins nun auch persönlich Tribut zollen.
Mehr denn je in den vergangenen Jahren muss sich der Torwart auch Gedanken um seine Zukunft in der Nationalmannschaft machen. Den EM-Zug hat er nicht erreicht, abgefahren ist der aber auch noch nicht, wie Zieler selbst erfuhr: "Ich hatte vor der Nominierung ein längeres und gutes Gespräch mit Andy Köpke. Über die Details spreche ich nicht, das gehört sich nicht. Aber er hat mir versichert, dass noch keine Vorentscheidung gefallen ist."
Mit 27 Jahren ist ein Wechsel im Sommer Zielers letzte Chance, sich vielleicht doch noch einmal dauerhaft im Kreis des DFB zu etablieren. In den letzten Wochen tauchten immer wieder Gerüchte auf, die den 27-Jährigen mit dem 1. FC Köln, Bayer Leverkusen oder diversen englischen Vereinen in Verbindung brachten. Erstklassigkeit ist wohl Voraussetzung, am besten mit Bezug zu einem internationalen Wettbewerb.
Inwiefern eine Zukunfts-Entscheidung noch vor Saisonende auch Zielers Chancen auf die EM erhöhen würde, ist fraglich. Selbst möchte er die ohnehin nicht einschätzen: "Darüber mache ich mir nicht allzu viele Gedanken. Ich versuche mich auf das zu konzentrieren, was ich selbst beeinflussen kann: meine Leistung. Der Rest liegt nicht in meiner Hand." Aller Voraussicht nach wird Zieler ab der kommenden Saison aber nicht mehr für 96 spielen. Diese Entscheidung wird ihm schwer fallen, jedoch ist es eine, die ihn wieder vor die ter Stegens, Lenos und Trapps bringen soll - und daher in jeder Hinsicht nachvollziehbar.
Ron-Robert Zieler im Steckbrief