SPOX: Eine Scoutingabteilung gibt es beim SV Darmstadt in diesem Sinne nicht. Mal flapsig formuliert, gehen Sie eine Liste arbeitsloser Profis durch, schauen Sie sich in Kadern der Bundesligisten nach unzufriedenen Spielern oder wie läuft das ab?
Schuster: Wir machen uns sehr oft und zu jeder Jahreszeit Gedanken zum Kader. Überlegen auf welcher Position wir uns verbessern könnten oder an welchen Stellen wir noch Defizite haben. In der Hinrunde gefiel uns beispielsweise nicht, dass wir zu viele einfache Ballverluste hatten und dadurch immer wieder durch schnelle Gegenangriffe in gefährliche Situationen gerieten. Als erstes haben wir unser eigenes Personal geprüft und geschaut, welcher Spieler uns dabei helfen könnte, dieses Problem zu lösen. Vielleicht ist einer dabei, der bisher noch nicht so viele Einsatzminuten hatte, aber nun die Möglichkeit erhalten könnte, weil vom Spielertyp nun gefragt ist. Wenn uns das aber alles nicht zufriedenstellt, schauen wir uns nach einer externen Lösung um. Wobei sich unser Anspruchsdenken in den letzten Jahren schon nach oben geschraubt hat. Inzwischen schauen wir bei den Bundesligisten, weil wir eben auch diese Qualität haben wollen. Wir haben keine Zeit, junge Spieler aus der A-Jugend erst aufzubauen. Daher schauen wir, wer schon eine gewisse Bundesligatauglichkeit in seiner Laufbahn vorzuweisen hat. Und dann kommt die große Frage.
SPOX: Ob der Spieler überhaupt Lust auf Darmstadt hat?
Schuster: Genau. Ist das Ganze überhaupt wirtschaftlich zu realisieren und kann der Spieler sich mit den Gegebenheiten hier anfreunden. Dann müssen wir schauen, dass er bei seinem abgebenden Verein keine große Rolle mehr spielt oder vielleicht aussortiert wurde. Das sind dann Signale, dass wir mit dem Spieler sprechen können. Besteht Interesse von Seiten des Spielers, laden wir ihn in unsere Katakomben zu einem Zwölf-Augen-Gespräch ein.
SPOX: Das klingt aber nach einer Art Verhör...
Schuster: Nein, ganz im Gegenteil. Meist sitzen die vier sportlich Verantwortlichen mit dabei, sprich Co-Trainer Sascha Franz, Torwart-Trainer Dimo Wache, Fitness-Coach Frank Steinmetz und Präsident Rüdiger Fritsch. Zuvor holen wir uns natürlich ein paar Infos von ehemaligen Trainern oder Mitspielern des Akteurs und dann beschnuppert man sich. Heißt, wir schauen, ob die drei Säulen zueinander passen.
SPOX: Drei Säulen?
Schuster: Wir müssen klären ob wir sportlich, menschlich und wirtschaftlich zusammenfinden. Diese drei Dinge müssen passen, ansonsten werden wir einen Spieler nicht verpflichten.
SPOX: Könnten Sie denn aktuell sagen, dass Sie auch in der kommenden Saison noch Trainer beim SV Darmstadt 98 sind?
Schuster: Ich habe Vertrag bis 2018 und wir sind hier noch nicht am Ende der Fahnenstange. Ich kann und will in Darmstadt noch einiges bewegen. Wir haben hier ein sehr enges Vertrauensverhältnis und kurze Entscheidungswege.
SPOX: Im letzten SPOX-Interview im November 2014 sagten Sie, Ihr Ziel sei es, "oben anzukommen"...
Schuster: (unterbricht) Geschafft! (lacht)
SPOX: Wohin soll Ihr Weg noch führen?
Schuster: Zumindest möglichst nicht in die 2. Liga. Wir wollen natürlich alle in Bundesliga bleiben. Auch ich möchte aus dieser Liga nicht mehr weg!
SPOX: Sie sagten damals Weihnachten, Ostern und noch einige Feiertage müssten zusammenfallen, damit der SV Darmstadt 98 in die Bundesliga aufsteigt.
Schuster: Das ist ja jetzt passiert, also nennen wir diesen Feiertag "Onachten". (lacht)
SPOX: Auch in Sachen Trainingsgestaltung und -pädagogik gehen Sie interessante Wege. Beispielweise gibt es einen "Mitarbeiter des Monats".
Schuster: Richtig, das ist statistisch gesehen der Trainingsbeste des vergangenen Monats, von dem ein eingerahmtes Bild über dem Kabineneingang hängt. Aber auch das Rosa Leibchen wird vergeben. Das bekommt für eine Einheit der Spieler, der am Monatsende die wenigsten Punkte gesammelt hat. Jede Trainingseinheit, die sehr häufig in spielerischer Form stattfindet, wird bei uns statistisch erfasst und am Ende gibt's gewisse Punkte für bestimmte Ergebnisse.
SPOX: Lernt man so etwas in der Trainerausbildung oder kommt Ihnen da die Erfahrung als Profi zugute?
Schuster: Beides. Ich denke, es ist als Trainer auch wichtig zu wissen, was in der Kabine abgeht. Da ist man auch oft als Pädagoge gefragt. Wenn man ein wichtiges Spiel während der Saison gewonnen hat, muss man die Jungs vielleicht eher mal bremsen. Andersrum ist es so, dass wenn man mal ordentlich unter die Räder gekommen ist, auch mal ein bisschen mehr Lob verteilen muss. Ich kann mich noch ganz gut in die Spieler hineinversetzen und weiß, was sie in manchen Situationen empfinden.
SPOX: Würde die Methoden von Trainer Dirk Schuster auch bei einem anderen Verein funktionieren?
Schuster: Sie müssen sehen: Eine Mannschaft ist immer eine Interessensgemeinschaft. Jeder hat seine Wünsche, seine Ziele und verfolgt seine eigene Interessen. Einige möchten letztlich viel Geld verdienen, andere möglichst viele Spiele machen - da gibt es ganz unterschiedliche Aspekte. Letztendlich ist es aber wichtig, die Interessen mit den Zielen des Vereins zu verbinden. Dabei ist Disziplin extrem wichtig und dieser Ansatz funktioniert bei jedem Verein. Letztlich will jeder Spieler ein Gewinner sein und wenn man erfolgreich ist, ist man ein Gewinner.
SPOX: Sie persönlich gehen gerne Laufen. Sie sagte einmal, ein großer Wunsch von Ihnen sei, am New York Marathon teilzunehmen. Hat das denn inzwischen geklappt?
Schuster: Nein, leider immer noch nicht. Ich war zwei Mal mit einer Startnummer angemeldet, aber der Spielplan hat es in der Vergangenheit nicht zugelassen, dass wir am ersten Novemberwochenende ein Freitagsspiel hatten.
SPOX: Woher kommt diese Leidenschaft für den Marathonlauf?
Schuster: Es ist die Gier, sich selbst etwas zu beweisen und zu zeigen, dass man noch den Biss hat, über den inneren Schweinehund hinauszugehen - auch mehrmals. Dadurch kann man von seinen Spieler auch mal verlangen, an die Kotzgrenze zu gehen. Dabei kommt es mir gar nicht allzu sehr auf die Zeit an, auch wenn ich versuche, immer unter vier Stunden zu bleiben. Dieses unbeschreibliche Gefühl, wenn man die Ziellinie überschreitet, entschädigt für die ganzen Qualen auf den 42 Kilometern zuvor. Vor allem ist es aber auch gut für den Kopf, denn man muss sich vier Stunden ausschließlich mit sich selbst beschäftigen.
SPOX: Kommen wir abschließend noch einmal zum Vergleich Ihres Präsidenten, Herr Fritsch sprach von einem 100-Meter-Lauf. Machen wir aus der Bundesligasaison mal einen Marathonlauf. Der SV Darmstadt 98 wäre demnach jetzt bei Kilometer...
Schuster: ... 24 oder 25. Das richtig Fiese kommt also noch. Hoffentlich können wir am Ende mit Gänsehaut über die Ziellinie gehen.
Dirk Schuster im Steckbrief