"Der Bus hat ordentlich gewackelt"

Florian Schimak
12. Mai 201614:02
Jerome Gondorf steuerte drei Treffer zum vorzeitigen Klassenerhalt der Lilien beigetty
Werbung

Der SV Darmstadt 98 hat das nächste Wunder geschafft und tatsächlich die Klasse gehalten. Ein entscheidender Faktor war Jerome Gondorf. Der Mittelfeldspieler der Lilien zieht im Interview Vergleiche mit Leicester City, erzählt von der Party nach dem Berlin-Spiel und bricht eine Lanze für Sandro Wagner.

SPOX: Herr Gondorf, die Lilien kehrten im Sommer nach 33 Jahren in die Bundesliga zurück, galten aber als Abstiegskandidat Nummer 1. Nun hat man bereits am 33. Spieltag den Klassenerhalt perfekt gemacht. Wie ist das Ganze einzuordnen?

Jerome Gondorf: Das muss man noch höher bewerten, als unsere beiden Aufstiege in den vergangenen beiden Jahren. Wir haben mit Abstand den kleinsten Etat in der Liga, alle Experten haben uns die Bundesligatauglichkeit abgesprochen. Was wir nun in dieser Saison rausgeholt haben, auch unter Berücksichtigung der Möglichkeiten hier in Darmstadt, das ist einfach phänomenal. Man kann das Ganze ein wenig gleichsetzen mit dem Titelgewinn von Leicester City in England. Nicht umsonst heißt es, wir seien das Leicester aus Deutschland. Dieser Vergleich ist durchaus angebracht, wenn man den Klassenerhalt einordnen will. Es war in drei Jahren das dritte Wunder in Darmstadt.

SPOX: Gab es irgendein Schlüsselerlebnis, nachdem Sie erstmals das Gefühl hatten, dass der SVD tatsächlich die Klasse halten kann?

Gondorf: Bereits nach Hinrunde hatte ich ein sehr gutes Gefühl, weil wir gemerkt haben, dass wir absolut konkurrenzfähig sind und in dieser Liga durchaus bestehen können. Kein Gegner hatte uns bis dahin an die Wand gespielt, selbst der FC Bayern tat sich schwer bei uns am Böllenfalltor. Beim BVB haben wir sogar einen Punkt mitgenommen. Natürlich hatten wir in den ersten Partien ziemlichen Respekt, aber anschließend hatten wir immer mehr die Überzeugung, dass wir zurecht in der Bundesliga spielen. Nach einer ordentlichen Hinrunde hatten wir uns zum Ziel gesetzt, in der Rückrunde nicht einzuknicken. Wir haben zwar immer mal ein oder zwei Spiele verloren, aber eine Serie von drei, vier oder fünf Niederlagen am Stück hatten wir nicht. Das war mit auschlaggebend für den Klassenerhalt.

SPOX: 5000 Fans sind von Darmstadt mit nach Berlin gereist und feierten die Mannschaft bereits im Olympiastadion nach dem Schlusspfiff. Bei der Ankunft der Spieler am Samstagabend in Darmstadt warteten eine weitere Vielzahl von Anhängern. Was geht einem da durch den Kopf?

Gondorf: Das war gigantisch, auf unsere Fans ist einfach verlass. Was da los war - Wahnsinn. Wir hatten zuvor schon über die Social-Media-Kanäle mitbekommen, dass einige Fans in der Stadt auf uns warteten, aber dass es so überwältigend wird, hätten wir auch nicht gedacht. Es war eine super Stimmung und der Bus hat ordentlich gewackelt.

SPOX: Gefeiert wurde ja bereits im Flugzeug. Der Abflug aus Berlin hatte sich ein wenig verzögert. Was genau war da los?

Gondorf: In unserem Flieger waren neben der Mannschaft auch einige Darmstadt-Fans, daher war die Stimmung recht ausgelassen. Vor dem Start wurden die Damen, die die Sicherheitshinweise vortragen mussten, immer wieder durch Gesänge unterbrochen. Daher hat sich das Ganze ein wenig verzögert, aber es war alles halb so wild.

SPOX: Was ist denn nun am 34. Spieltag gegen Borussia Mönchengladbach in Darmstadt geplant?

Gondorf: Ich gehe davon aus, dass wir die nächste große Sause mit den Fans feiern. Natürlich erst nach den 90 Minuten. Wir können das Spiel zwar beruhigt angehen, wollen uns aber mit einem Sieg bei unseren Anhängern für die einzigartige Unterstützung in diesem Jahr nochmal bedanken. Im Anschluss geht's auf den Karolinenplatz und zum Ratskeller, in der Stadt wird also sicherlich nochmal einiges los sein.

SPOX: Und dann geht's wieder mit der gesamten Truppe nach Mallorca?

Gondorf: Es ist zumindest in die Richtung von einigen etwas geplant. Wobei viele auch froh sein dürften, nach dieser unglaublich intensiven und kräftezehrenden Spielzeit einfach mal abzuschalten. So eine Bundesligasaison geht schon arg an die Substanz, zumal wir auch nicht wirklich die Möglichkeiten besitzen, dem einen oder anderen Spieler mal eine Pause zu gönnen. Insofern ist es für meinen Körper besser, wenn ich nicht mit nach Mallorca fliege, sondern mit der Familie in Italien entspanne. (lacht)

SPOX: Mit drei Toren in den letzten fünf Spielen avancierten Sie zu einer entscheidenden Figur im Kampf um den Klassenerhalt. Woher kommt die neugewonnene Torjägerqualität?

Gondorf: Mein Spiel habe ich jedenfalls nicht großartig umgestellt. Aber ich habe ja schon immer gesagt: Ich schieße nicht viele Tore, aber ich treffe, wenn es wichtig wird. (lacht) Mein Treffer beim HSV hat uns letztlich einen überaus wichtigen Sieg gebracht und der Ausgleich am Samstag bei der Hertha war jetzt auch alles andere als unbedeutend. Insofern bin ich froh, dass ich in diesen Spielen getroffen habe und auch gar nicht böse darum, dass ich am Ende nur drei Saisontore erzielt habe. (lacht)

SPOX: Natürlich ist es immer schwer, einzelne Person hervorzuheben. Aber wäre der Klassenerhalt auch ohne Sandro Wagner möglich gewesen?

Gondorf: Sandro sagt selbst, dass er seine Saison des Lebens gespielt hat. Er hat bisher noch nie so viele Tore in einer Spielzeit erzielt wie bei uns, dadurch hat er natürlich einen entscheidenden Anteil an unserem Erfolg. Aber ich sage immer noch, auch wenn es abgedroschen klingt: Bei uns ist die Mannschaft der Star. Wir konnten unser Ziel nur gemeinsam erreichen. Nicht ein Spieler war ausschlaggebend, sondern die Homogenität der gesamten Truppe war allesentscheidend. Selbst die Jungs, die sportlich kaum eine Rolle gespielt haben, haben durch ihren Einsatz im Training die Stammspieler immer wieder gepusht. Vor allem hat nie ein Ersatzspieler Stunk gemacht. Aber klar, ohne Sandros Tore wäre es nicht einfacher geworden, die Klasse zu halten.

SPOX: Wagner gilt nicht erst seit seinen Äußerungen im "Aktuellen Sportstudio" als nicht unbedingt einfacher Charakter. Welche Rolle hatte er in der Mannschaft - auch außerhalb des Platzes?

Gondorf: Er hat in der Mannschaft den gleichen Stellenwert, wie jeder andere. Natürlich ist er ein Typ mit Ecken und Kanten, aber er hat sich perfekt bei uns integriert und untergeordnet, damit wir unser gemeinsames Ziel erreichen konnten. Anders geht es bei uns gar nicht. Spieler, die meinen sie seien etwas Besonderes, wären von unserem Trainerteam überhaupt nicht verpflichtet worden. Vielleicht wird Sandro in der Öffentlichkeit ein bisschen falsch wahrgenommen.

SPOX: Aber war es nicht verwunderlich, dass er nicht mit der Mannschaft den vorzeitigen Klassenerhalt feiern wollte, sondern stattdessen direkt nach München fuhr?

Gondorf: Er ist ja noch mit nach Darmstadt gekommen und hat gemeinsam mit uns im Ratskeller gefeiert. Wir konnten alle nachvollziehen, dass er dann etwas früher fuhr, er ist eben ein totaler Familienmensch. Ich hatte das Glück, dass meine Brüder in Berlin im Stadion waren und so konnte ich am Anschluss mit ihnen feiern. Aber Sandros Familie wohnt in München, die sieht er nicht so oft. Daher hatten wir in der Mannschaft dafür absolutes Verständnis.

SPOX: Bei allen Feierlichkeiten, richten wir doch einmal den Blick auf die kommende Spielzeit. Es laufen einige Verträge aus, zudem hat der eine oder andere Spieler durch seine hervorragenden Leistungen Begehrlichkeiten geweckt. Steht nun ein großer Umbruch an?

Gondorf: Es durchaus möglich, dass sich die eine oder andere Personalie in der Mannschaft ändern wird. Nach so einer Runde stehen bestimmt einige Spieler auf dem Zettel diverser Vereine, allerdings hat der SV Darmstadt diesbezüglich noch ein Wort mitzureden - und die Spieler auch wissen, was sie an dem Verein haben. Wie es Trainer Schuster zuletzt schon gesagt hat, muss der Verein auf der anderen Seite auch abwiegen. Wenn sich eine Win-win-Situation wie möglicherweise im Falle von Sandro Wagner ergibt, muss man darüber nachdenken, ob es Sinn macht, den Spieler für eine gewisse Summe ziehen zu lassen. Bundesliga Spielplaner - Der Tabellenrechner von SPOX.com

SPOX: Bleiben wir doch beim Vater des Erfolgs. Denken Sie, dass Dirk Schuster auch in der kommenden Saison noch auf der Bank sitzen wird?

Gondorf: Er hat Vertrag bis 2018 und insofern gehe ich fest davon aus, dass er auch in der kommenden Saison Trainer der Lilien sein wird. Die Mannschaft ist Schusters Baby, da würde es einem sicher nicht leicht fallen, wegzugehen.

SPOX: Glauben Sie, dass sich der SV Darmstadt mit dem Klassenerhalt nun für längere Zeit in der Bundesliga etablieren kann?

Gondorf: Das ist schwierig zu beantworten, weil Darmstadt noch immer den kleinsten Etat der Liga haben wird. Natürlich fließt durch das weitere Jahr in der Erstklassigkeit wieder ein bisschen mehr Geld in die Kassen, aber die ganz großen Sprünge sind am Böllenfalltor dadurch immer noch nicht drin. Darmstadt spielt auch in der kommenden Saison vom ersten Spieltag an gegen den Abstieg. Auch in Sachen Neuzugänge wird sich Darmstadt bestimmt treu bleiben und vielleicht eher an den Spieler orientieren, die in der Vorbereitung bei anderen Bundesligisten nicht so zum Zug kommen. Nichtsdestotrotz war der Klassenerhalt ein ganz wichtiger Schritt in die richtige Richtung. Es ist eine Basis gelegt worden, um sich zumindest für die nächsten Jahre dauerhaft in der 1. oder 2. Liga präsentieren zu können.

SPOX: Sie sprechen die Transfers an. Wird es im Sommer nicht schwierig, Spieler wie beispielsweise Luca Caldirola zu verpflichten. Immerhin hat sich Darmstadt etabliert und die Konkurrenz will die Lilien ja nicht wieder stärken...

Gondorf: Natürlich wird es nicht einfach für den Verein, qualitativ hochwertige Spieler zu verpflichten, weil man als Bundesligist nun anerkannt ist. Letztes Jahr dachte jeder, wir steigen mit Pauken und Trompeten ab, doch inzwischen hat man Respekt vor uns und unserer Spielweise.

SPOX: Mit den Leistungen in den letzten Wochen haben auch Sie sich auch in den Fokus mehrerer Vereine gespielt, zudem läuft Ihr Vertrag 2017 aus. Gibt's schon etwas Konkretes zu vermelden?

Gondorf: Jetzt haben wir ab nächste Woche erstmal Sommerpause, da möchte ich mich erholen. Ich habe mir über meine Zukunft noch keine Gedanken gemacht, weil ich ja ohnehin Vertrag habe und der Fokus zuletzt ausschließlich auf den Klassenerhalt lag. Den wollen wir jetzt erstmal feiern, der Rest wird sich zeigen.