In ein bis zwei Wochen wird man schon etwas klarer sehen. Borussia Dortmund steigt am 4. Juli in die neue Saison ein, tags darauf findet das erste medienöffentliche Training statt.
Sobald diese Tage beginnen, dürften auch die Einschätzungen der Dortmunder Verantwortlichen, wie sie den bislang intensiven Transfersommer und die damit einhergehende personelle Neustrukturierung des Kaders bewerten, inhaltlich konkreter als bislang werden.
In Ilkay Gündogan und Mats Hummels hat der BVB zwei Leistungsträger und wichtige Säulen der Mannschaft verloren, in diesen Tagen wird wohl noch Henrikh Mkhitaryan hinzukommen. Auf der Habenseite stehen dagegen sechs Neuzugänge, in die man etwas mehr als 60 Millionen Euro investierte und deren Altersschnitt 21,5 Jahre beträgt.
Sechs Neuzugänge in 35 Tagen
Das ist zusammen genommen viel Holz, das das Trio Thomas Tuchel, Michael Zorc und Hans-Joachim Watzke bewegt hat. Zorc ist seit 1998 Dortmunds Sportdirektor, doch so früh wie diesmal, zumal unmittelbar vor einem kontinentalen Turnier, hatte er den Großteil seiner Arbeit noch nicht erledigt.
Der künftige Kader der Schwarzgelben wird sich also personell deutlich vom bisherigen unterscheiden. Das war zwar auch irgendwie zu erwarten, die genauen Ausmaße aber dennoch nicht vorhersehbar. Wohl auch, weil alle sechs Neuen innerhalb von nur 35 Tagen begrüßt wurden.
Es wurde zwar dokumentiert, weshalb man sich beim BVB für die einzelnen Spieler entschied, zum großen Ganzen haben sich die Oberen bislang aber noch nicht geäußert. Dazu hätten sich sicherlich genügend Gelegenheiten ergeben, andererseits sind mediale Aktivitäten während der Sommerpause traditionell eingeschränkt.
Das BVB-Gesicht wird sich verändern müssen
Offene Fragen gäbe es freilich genug: Sind die Transferbemühungen erledigt oder kommen noch Spieler wie die gehandelten Mario Götze, Ömer Toprak oder Karim Bellarabi? Welche Rolle ist den Neuen jeweils zugedacht? Wie gedenkt man, den Verlust der "drei Großen" aufzufangen? Ist gerade Mkhitaryan, im Vorjahr unter Tuchel Dortmunds konstantester Spieler, tatsächlich in Ungnade gefallen, weil er im Pokalfinale nicht zum Elfmeterschießen antrat und nun einen Wechsel zu erzwingen scheint?
Es sind Dortmunder Wochen im Vakuum seit dem Saisonende, ohne offizielle Aufklärung und Einordnung wirken sie wie ein diffuser Schwebezustand. Im Umfeld des Vereins und gerade unter den Anhängern herrscht mehr Erstaunen als Sorge, eben weil permanent neue Namen kursieren und das Geschäftsgebaren noch nicht gänzlich zu durchschauen ist.
Wohin der Weg führen wird, ist dennoch weitestgehend offensichtlich: Das Gesicht der Borussia wird sich in vielerlei Hinsicht verändern müssen. In erster Linie liegt das an den drei prominenten Abgängen.
Dortmunds Transformation beschleunigt sich
Hummels, Gündogan und Mkhitaryan waren Achse und Strukturgeber im Dortmunder Spiel. Besonders ohne den für die Offensivbewegungen essentiell wichtigen Armenier Mkhitaryan wird Tuchel nun spieltaktische Anpassungen vorzunehmen haben. Die Stärken, die den BVB in Tuchels erster Saison so enorm konstant punkten ließen, sind zwangsläufig umzuverteilen und in ein neues Korsett zu kleiden.
Dortmunds Transformation von der Jürgen-Klopp- zur Tuchel-Mannschaft wird sich somit weiter beschleunigen. Abgänge zu kompensieren und eine neue Mannschaft zu basteln, ist Tuchel noch aus Mainzer Zeiten gut bekannt, dort stand er beinahe jedes Jahr ohne seine besten Spieler da.
Zwar fiel der personelle Umbruch bei der Borussia bereits im letzten Sommer nicht unerheblich aus, doch Tuchel hatte nach seiner Zusage in persönlichen Gesprächen mit den Spielern schon frühzeitig das grobe Gerüst beisammen. Die Mannschaft spielte dann bereits klar nach den Tuchelschen Prinzipien, er brachte seine Idee vom Ballbesitzfußball jedoch nicht allzu brachial ein.
Mkhitaryan-Abgang Ärgernis für Tuchel
Jetzt ist der Trainer gefordert, seinem Kader eine neue Balance und Gliederung zu geben, was systematische wie strukturelle Unterschiede zum Vorjahr sichtbar machen dürfte. Ohne Mkhitaryan in der Offensive wird Dortmund seine Angriffe künftig anders aufbauen müssen. Darüber hinaus ist davon auszugehen, dass Tuchel unabhängig von der personellen Fluktuation seine Lehren aus den zwölf ersten Monaten bei den Westfalen gezogen hat und seinen Fußball taktisch weiter optimieren möchte.
Ein persönliches Ärgernis wird für ihn in jedem Fall der sich ankündigende Abgang Mkhitaryans sein. Wie von beiden Seiten mehrfach bestätigt pflegten der Coach und der sensible Mittelfeldspieler ein enges Verhältnis, ohne Tuchel wäre Mkhitaryans Entwicklung nicht dermaßen explodiert. Ihn zu verlieren, ist die bitterste Pille, die Tuchel und der BVB zu schlucken haben.
Auch wenn der Trainingsauftakt naht und der Idealfall vorsieht, bis dahin den Kader beisammen zu haben, sind zwei Aspekte zu berücksichtigen: Dortmund hat noch gute vier Wochen Zeit, bevor die Vorbereitung in die heiße Phase gehen wird. Und: Das Transferfenster schließt erst in über zwei Monaten.
Nachfolger-Denke gibt es nicht
Zudem sollte man davon ausgehen, dass kein klassischer Mkhitaryan-Nachfolger verpflichtet werden kann. Spieler mit diesen Fähigkeiten sind per se rar (und teuer), auch die Personalien Marc Bartra und Sebastian Rode gleichen ihren Vorgängern Hummels und Gündogan kaum. Es verdichten sich jedoch die Anzeichen, dass die Borussia noch einen großen Transfer für die Offensive tätigen wird.
Der bisherige Verlauf des Sommers ist für Dortmunds Triumvirat mal wieder eine neue Herausforderung und es wird spannend sein zu beobachten, welchen Weg die sportliche Entwicklung letztlich nimmt. Spätestens jetzt hat Tuchel den BVB - teils gewollt, teils unbeabsichtigt - auf links gezogen und eine mit entwicklungsfähigen Talenten gespickte Truppe beisammen.
Die maschinenartige Konstanz der Mannschaft während seiner ersten Spielzeit zu reproduzieren, wird die anspruchsvollste Aufgabe in Tuchels bisheriger Trainerkarriere. Es gilt schlichtweg, die Leistungen der bärenstarken Saison, die hinter Dortmund liegt, in Liga und künftig auch Königsklasse annähernd zu bestätigen.
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