In Granit Xhaka hat Borussia Mönchengladbach seinen besten Spieler an den FC Arsenal verloren. Die Transferperiode vor der Saison 2016/2017 ist trotzdem die eindrucksvollste der jüngeren Vereinsgeschichte und ein überdeutlicher Fingerzeig an die Konkurrenz. Gladbachs Kader ist so gut wie seit Ewigkeiten nicht mehr - und Trainer Andre Schubert in der Pflicht.
"Alle reden immer so, als wäre Granit Xhaka schon weg", beschwerte sich Max Eberl im Interview mit SPOX Mitte April noch über die Berichterstattung über einen bevorstehenden Wechsel Xhakas nach England. Zu diesem Zeitpunkt wagten allerdings selbst die grünäugigsten Fohlen-Fans nur noch sehr zaghaft auf einen Verbleib des begehrten Schweizers zu hoffen.
Xhaka, der am 34. Spieltag offen in die Kameras sagte, dass er sein erstes Spiel für Gladbach gegen Darmstadt absolviert habe und jetzt auch sein vielleicht letztes, machte nie einen Hehl daraus, sich in Gladbach zwar sehr wohl zu fühlen, aber schon als kleiner Junge von der Premier League geträumt zu haben.
Einem der anwesenden Journalisten, der dem Schweizer noch etwas mehr entlocken wollte, indem er ihm zurief, ob man sich denn im August wiedersehe, antwortete Xhaka frech mit einem Grinsen im Gesicht: "Klar, da ist doch Saisonauftakt".
Dass der Wechsel dann letztlich durchsickerte, weil Bilder von Xhakas erstem Fotoshooting in London ins Internet gelangten, war zwar unglücklich, aber nicht der Borussia zuzuschreiben. Auch wenn Gladbach seinen besten Spieler ziehen lassen musste, zeigt der Transfer, was am Niederrhein mittlerweile möglich ist: Eberl schaffte es nicht nur, den schon damals viel umworbenen Xhaka 2012 zur Borussia zu locken, sondern ihn auch so lange zu halten und vertraglich zu binden, dass er zu einem der teuersten Exporte der Bundesliga-Historie wurde.
Plan B: Christoph Kramer
Aber Eberl wäre nicht Eberl, wenn er nicht längst einen Ersatzplan in der Hinterhand gehabt hätte. "Wenn exorbitante Summen aufgerufen werden, haben wir einen Plan B oder Plan C", erklärte der Manager im April.
14 Tage nach Bekanntgabe des Xhaka-Transfers präsentierte Eberl dessen Nachfolger Christoph Kramer, der in Gladbach für fünf Jahre unterschrieben hat. Für 15 Millionen Euro, die ihn im Vorbeigehen zum teuersten Transfer der Vereinsgeschichte machen. Auch und vor allem dank Eberls Hartnäckigkeit, der den Kontakt zu Kramer immer aufrecht erhielt und bei der ersten sich bietenden Gelegenheit zuschlug.
Kramer ist der perfekte Kandidat für die Fohlen. Er kennt das Umfeld, die Klub-Philosophie und einen Großteil des Teams. Sportlich verfügt er zwar nicht über die Offensiv-Qualitäten und das Spielverständnis seines Vorgängers, seine Rolle im Gladbach Spiel wird aber nicht weniger wichtig sein. Kramer ist ein unerbittlicher Arbeiter, der nicht selten 13 bis 14 Kilometer pro Spiel abreißt und sich in jeden Zweikampf schmeißt.
Davon wird vor allem Mahmoud Dahoud profitieren. Das Gladbacher Juwel hat seine Stärken ganz klar in der Offensive und verfügt über eine ausgezeichnete Auffassungsgabe, einen beidfüßigen Abschluss und ein gutes Auge für die Mitspieler. Kramer wird Dahoud den Rücken freihalten, wodurch der kürzlich erstmals in die U21 berufene gebürtige Syrer viele Freiheiten haben wird und sein Spiel weiter entwickeln kann.
Nur Xhaka geht
Dass die Borussia in die kommende Saison mit diesem Mittelfeld-Duo starten wird, ist ein weiteres Indiz dafür, dass Gladbach mittlerweile völlig anders wahrgenommen wird. Noch vor einigen Jahren wäre es unvorstellbar gewesen, ein Talent der Marke Dahoud, an dem eine Reihe internationaler Big Player heftig baggerte, an der Hennes-Weisweiler-Allee zu halten.
Gleiches gilt für Raffael, der ein Grundpfeiler im Gerüst von Trainer Andre Schubert darstellt und zu den zuverlässigsten Scorern der Bundesliga gehört, oder auch Yann Sommer. Am Nationalkeeper der Schweiz sollen nach dessen starken Leistungen bei der EM mehrere Top-Teams Interesse gezeigt haben. Doch auch Sommer wird seine Schuhe in der kommenden Saison für die Borussia schnüren. So wie Thorgen Hazard, den Gladbach bereits im Februar 2015 langfristig an sich binden konnte, und Nico Elvedi, für den es in Italien Interessenten gegeben haben soll.
Danish Dynamite im Zentrum
Handlungsbedarf bestand noch in der Defensive. Doch auch diese Baustellen sind geschlossen. Nachdem sowohl Roel Brouwers als auch Martin Stranzl den Verein verließen, langte Eberl zweimal namhaft auf dem Transfermarkt zu.
Jannick Vestergaard kam für stattliche 14 Millionen aus Bremen. Weil Gladbach den Spieler unbedingt haben wollte und Vestergaard, der dafür auf besser dotierte Angebote aus England verzichtete, unbedingt nach Gladbach wollte. Vestergaard bringt mit seinen 1,98 Metern das absolute Gardemaß für einen Innenverteidiger mit, was auch Sommer, dem mit 1,83 Metern kleinsten Keeper der Liga, zu Gute kommt. Standards waren in der vergangenen Saison eine der größten Schwächen Gladbachs. Das wird sich mit Vestergaard ändern.
Die letzte Saison und die Einkäufe der Fohlen in diesem Sommer legen nah, dass Schubert auch in der kommenden Spielzeit vermehrt auf eine Dreierkette setzen wird. In dieser würde Vestergaard die Mittelrolle einnehmen, Links duellieren sich der nach langer Verletzungspause zurückkehrende Alvaro Dominguez und Neuzugang Mamadou Doucoure.
Doucoure im Porträt: Eberls Mona Lisa
Feuert Eberl bei Christensen nach?
Doucoure wird von vielen Experten als Eberls größter Transfer-Coup der letzten Jahre betrachtet, der Franzose könnte die Überraschung der kommenden Saison werden. Ähnlich stark besetzt ist die rechte Seite, wo mit Andreas Christensen der spielstärkste Innenverteidiger Gladbachs agieren könnte. Eberl und Co. arbeiten weiter fieberhaft daran, den Youngster auch über die kommende Saison hinaus in Gladbach zu halten, was Christensen höchstwahrscheinlich zum teuersten Spieler der Vereinsgesichte machen würde.
Dahinter warten mit Elvedi und Tony Jantschke zwei flexible Kandidaten, die sowohl rechts in der Dreierkette als auch auf den Halbpositionen oder rechts in einer Viererkette spielen können. Tobias Strobl, der aus Hoffenheim kam, ist praktisch der exakt gleiche Spielertyp wie der abgewanderte Havard Nordveit und kann in der Defensive jede Position übernehmen. Dazu kommen Oscar Wendt und Nico Schulz für die linke Seite, Julian Korb für rechts und Fabian Johnson, der in der Defensive und Offensive beide Flügel besetzen kann. Gladbach geht defensiv so variabel wie nie in die kommende Saison.
Klasse und Masse
Ähnlich vielversprechend stellt sich die Offensive der Fohlen auf. Erstmals gelang es Eberl, dort alle Leistungsträger beisammen zu halten. Hazard könnte in der kommenden Saison explodieren, Raffael konnte gehalten werden und von Lars Stindl darf man sich eine Steigerung im Vergleich zur Vorsaison erhoffen.
Bleiben Patrick Herrmann, der nach seiner Verletzung wieder voll angreifen will, um sich wieder im Nationalteam ins Gespräch zu bringen, Ibrahima Traore und Andre Hahn, der in den letzten Saisonspielen eindrucksvoll zeigte, dass er mehr als nur ein Backup für den Sturm ist.
Aus Zilina ist zudem Talent Laszlo Benes gekommen, der Raffael Pausen ermöglichen wird. Jonas Hofmann zeigte bisher nur gegen Darmstadt, dass er eine echte Verstärkung sein kann und möchte sich in der Vorbereitung für mehr Einsatzzeiten empfehlen. Damit nicht genug: Neben einigen Talent wie Tsiy William Ndenge, Ba-Muaka Simakala und Djibril Sow kehrt auch Josip Drmic nach seiner Leihe zum HSV zurück und hofft nach erfolgreicher Genesung auf eine neue Chance unter Schubert.
Schubert in der Pflicht
Gladbachs Kader ist der beste seit dem Pokalsieg 1995 und ein Fingerzeig an die gesamte Liga. Die Fohlen sind nicht mehr bereit, sich die besten Spieler von der direkten Konkurrenz wegkaufen zu lassen und gleichzeitig in der Lage, viel Geld in die Hand zu nehmen, um Wunschspieler an den Niederrhein zu holen.
Während sich vor allem der BVB mit dem Abgang von drei absoluten Leistungsträgern und der Integration von vielen, sehr jungen Neuzugängen beschäftigen muss, kann Gladbach auf einen bewährten Stamm und gleichzeitig neue Akzente setzen.
Die Borussia hat vor der kommenden Saison alle Trümpfe in der Hand, sich dauerhaft unter den vier Top-Teams Deutschlands zu etablieren. Jetzt ist es an Andre Schubert, diese auch entsprechend auszuspielen. Dass er die Mittel dafür hat, den Fehdehandschuh zu werfen, hat er im letzten Jahr bereits gezeigt.
Borussia Mönchengladbach im Steckbrief