Max Eberl gilt als einer der besten Manager der Bundesliga und ist das Gesicht der Entwicklung Borussia Mönchengladbachs in den vergangenen fünf Jahren. Im Interview spricht der 42-Jährige über Segen und Fluch der TV-Gelder, den wiederholten Verlust von Leistungsträgern und ein Transfer-Ultimatum seiner Frau.
SPOX: Herr Eberl, ein vor allem bei Eltern sehr beliebter Spruch besagt: 100 Prozent Vorbereitung ist 100 Prozent Erfolg. Was halten Sie davon?
Max Eberl: Es ist auf jeden Fall ein Spruch, der der Wahrheit und auch meiner Meinung entspricht. Im Fußball ist es schwer, von 100 prozentigem Erfolg zu sprechen, aber je besser man vorbereitet ist, desto größer ist die Wahrscheinlichkeit, dass etwas funktioniert. Nach diesem Credo arbeiten wir in Mönchengladbach seit vielen Jahren.
SPOX: Sicher haben Sie sich bereits mit dem kommenden Sommer beschäftigt, wenn der neue TV-Vertrag in England in Kraft tritt. Müssen die Bundesligisten schon in Deckung gehen?
Eberl: Ich glaube, zum jetzigen Zeitpunkt kann man noch nicht abschätzen, was da tatsächlich auf uns zukommt. Wenn im vergangenen Sommer wirklich 100 Millionen Euro für Thomas Müller geboten wurden - und der Vertrag da noch nicht in Kraft war - hat man natürlich gewisse Vorstellungen, Ideen und Annahmen. Es werden immens große Summen über den Tisch gehen. Das ist auf der einen Seite ein Segen, weil man viel Geld einnehmen kann. Es ist gleichzeitig aber auch ein Fluch, weil andere, kleinere Vereine aus der 2. Liga und dem Ausland dadurch ebenfalls ganz andere Forderungen aufrufen werden. Der Markt wird insgesamt sehr große Summen aufweisen, was ich für nicht gut halte.
SPOX: Was bedeutet das für die Spieler?
Eberl: Die Profis werden vor die Entscheidung gestellt, wo ihre Prioritäten liegen. Viele Spieler werden die Möglichkeit bekommen, in England mit großen Verträgen ausgestattet zu werden, sitzen dann unter Umständen aber nur auf der Bank oder sogar der Tribüne. Wenn es einem nur darum geht, möglichst viel Geld zu verdienen, ist das der richtige Weg. Wenn man aber Fußball spielen und dabei gutes Geld verdienen möchte, ist die Bundesliga die eindeutig bessere Alternative.
SPOX: Havard Nordtveit wird in der kommenden Saison in England spielen, auch für Granit Xhaka soll es mehrere Interessenten auf der Insel geben. Stellen sich Ihnen inzwischen die Nackenhaare auf, wenn Sie den Begriff Premier League hören?
Eberl: Nein, das nicht. Vielmehr versuche ich jetzt schon, Lösungen für Situationen, die möglicherweise eintreten können, vorzubereiten, wobei wir wieder bei Ihrer ersten Frage sind. Im Fall von Howie (Anm. d. Red. Havard Nordtveit) konnten wir uns in Tobias Strobl, der in der Defensive fast jede Position spielen kann, bereits verstärken. Wenn exorbitante Summen aufgerufen werden, haben wir einen Plan B oder Plan C, wie es damals auch bei den Abgängen von Marco Reus, Roman Neustädter und Dante gewesen ist. Uns war klar, dass unsere Neuzugänge Granit Xhaka, Alvaro Dominguez und Luuk de Jong nicht sofort auf dem gleichen Niveau sein konnten wie die Abgänge zu dem Zeitpunkt. Wir waren uns aber sicher, dass es in ein bis zwei Jahren der Fall sein würde. Gleichzeitig wollen wir immer wieder junge Spieler entwickeln und an diese Rollen heranführen, wie beispielsweise Mahmoud Dahoud, Nico Elvedi oder Andreas Christensen in diesem Jahr.
SPOX: Wie kann man sich das vorstellen? Man kann doch zu einem Spieler nicht sagen: Ich will Dich, aber nur wenn der Spieler X geht.
Eberl: Solche Gespräche führen wir auch nicht. Letztlich ist Souting aber genau das: Spieler beobachten, bewerten und im Auge haben, um auf gewisse Situationen vorbereitet zu sein. Nehmen wir die Premier League, dort wird oft erst im August damit begonnen zu transferieren. Für diesen Fall muss man sich wappnen und entsprechende Alternativen haben. Aber diese Spieler haben auch ihren Preis, wenn es anders wäre, würde und müsste ich ja jetzt schon an sie herantreten, andernfalls sind sie im Sommer längst bei einem anderen Verein. Man hat diese Spieler über einen längeren Zeitraum beobachtet, hat sie bewertet und erste Gespräche geführt, bei denen man nur ein informelles Interesse hinterlegt. Gleichzeitig ist es aber auch eine gemeinsame Interessenslage. Der Spieler würde ja gar nicht kommen, wenn der Top-Mann noch da ist, weil er dann auf der Bank sitzen würde.
SPOX: Marco Reus ging damals per Ausstiegsklausel für 17 Millionen Euro, Xhaka könnte den Verein im nächsten Jahr für kolportierte rund 30 Millionen Euro verlassen. Summen, bei denen man sich eigentlich recht sicher war, dass sie kein Verein so schnell auf den Tisch legen würde. Nehmen Sie diese Entwicklung als beängstigend wahr? Schließlich kann man einem Dahoud keine 100 Millionen Euro in den Vertrag schreiben...
Eberl: Ganz so ist es nicht, diese Spirale wird sich nicht immer weiter nach oben schrauben. Die Ausstiegsklausel von Reus haben wir 2010 festgelegt, das ist heute schon sechs Jahre her. Im Endeffekt gilt das einfache Prinzip von Angebot und Nachfrage. Daraus resultiert ein Vertragskonstrukt, das man mit den Agenten, Beratern und Anwälten aufsetzen muss. Dass Granit eine Klausel hat, habe ich nie bestritten, über die genaue Höhe werde ich aber auch heute nichts sagen. Wichtig ist, dass man im Verein ein Gesamtgefüge aufrechterhält. Auch ich kann meine Gehälter nicht ins Unermessliche drehen, nur weil ich denke, dass ein Spieler mal ganz viel Geld einbringen wird, denn am Ende des Monats muss der Spieler auch bezahlt werden.
SPOX: Sie haben in den vergangenen Jahren viele Leistungsträger auf diese Weise abgeben müssen. Was überwiegt dabei, der Stolz oder die Enttäuschung?
Eberl: Das muss man ganz sachlich betrachten, so ist der Lauf der Zeit und das ist die Rolle, in der sich Borussia Mönchengladbach befindet. Es gibt in Europa 15 Vereine, die ständig um die Meisterschaft mitspielen und die Champions League fast schon garantieren können. Da wollen die großen Spieler natürlich hin. Und wenn sie das schaffen, haben wir hier verdammt viel richtig gemacht. Im CL-Finale 2013 standen in Reus und Dante zwei ehemalige Spieler von uns. Natürlich haben sie selber das erreicht, aber wir waren stolz und froh, dass sie den Weg dorthin von Mönchengladbach aus gemacht haben. Gleiches gilt für Marc-Andre ter Stegen, der sogar aus unserer Jugend kommt. Sie alle prägen die Visitenkarte von Borussia Mönchengladbach. Wir sind eine hervorragende Adresse für Spieler, die den zweiten oder dritten Schritt machen möchten. Gleichzeitig können wir die Mannschaft durch die Transfereinnahmen weiter verbessern und erfolgreich sein. Früher war der Vorwurf: In Gladbach muss man immer die Besten ziehen lassen. Das ist auch heute zum Teil noch so. Aber im Gegensatz zu früher gelingt es uns nicht nur, gute Spieler zu finden, sondern sie auch länger bei uns zu behalten und auch sportlich zu verbessern. Wir haben in den letzten vier Jahren dreimal in Europa gespielt. Darauf mussten die Gladbach-Fans über 40 Jahre warten.
SPOX: Die Wahrnehmung der Borussia und Ihrer Person ist in den letzten Jahren enorm gestiegen. Erleichtert das die Suche nach möglichen Verstärkungen?
Eberl: Die Wahrnehmung ist gestiegen, da haben Sie Recht. Spieler, die wir anfragen, haben in den meisten Fällen großes Interesse am Verein und unserer Arbeit. Andererseits ist es aber auch schwerer geworden, weil uns einige Vereine inzwischen als große Konkurrenz ansehen und uns deshalb keine Spieler geben wollen - oder falls doch wird es meist sehr teuer. Die dritte Kategorie sind Vereine wie Chelsea, die uns zwar ihre Spieler geben, allerdings nur zur Leihe.
SPOX: So wie aktuell Andreas Christensen. Es ist bekannt, dass Sie ihn gerne über seine Leihe hinaus binden wollen. Wie schätzen Sie die Chancen ein?
Eberl: Auch große Vereine können nur elf Mann auf den Platz stellen. Andreas hat bei uns gemerkt, dass er auf höchstem Niveau mithalten kann und hat entsprechend den Anspruch zu spielen. Wenn Chelsea ihn nach zwei Jahren als Stammspieler zurückholen möchte, sind unsere Chancen gleich Null, dann ist es sein logischer nächster Schritt. Sollte er diese Chance aber nicht haben, denke ich, dass Borussia Mönchengladbach durchaus die Möglichkeit hat, so einen Spieler zu verpflichten und ihn weiterzuentwickeln. Große Vereine werden sich in solchen Situationen immer eine Rückkaufoption sichern, wie es auch bei Thorgan Hazard, den wir fest von Chelsea verpflichtet haben, gewesen ist. Damit habe ich auch gar kein Problem.
SPOX: Das klingt sehr nüchtern...
Eberl: Das Modell der Leihe wird oftmals zu einseitig betrachtet. Natürlich entwickeln wir einen Spieler für einen anderen Verein weiter, in dieser Zeit haben wir dafür aber eine echte Verstärkung in unseren Reihen, den wir sonst nie im BORUSSIA-PARK hätten spielen sehen. Auch dem Spieler ist damit geholfen, weil er Spielpraxis sammeln und sich beweisen kann. Schade ist, dass wir keine Transfereinnahmen haben, wenn diese Spieler uns wieder verlassen. Aber dafür hatten wir auch keine Ausgaben.
SPOX: In den letzten Tagen kursierte der Name eines weiteren Chelsea-Akteurs rund um den Borussia-Park: Nathan Ake. Ein interessanter Spieler?
Eberl: Bei Chelsea sind fast alle Spieler interessant. (lacht) Ich kenne Ake, allerdings ist er kein Spieler, der für uns in Frage kommt.
Max Eberl im Porträt: Typisch Eberl
SPOX: Sie sind bekannt für Transfers der Marke Andre Hahn, Max Kruse oder Lars Stindl. Entwickelt man eine gewisse Passion" dafür, solche Spieler frühzeitig zu sichten und für sich zu gewinnen?
Eberl: Einen Spieler als erstes zu sehen, ist nicht wirklich relevant und fast gar nicht mehr möglich. Es geht vielmehr darum, frühzeitig eine Idee zu haben, was der Spieler deinem Verein bringen kann und welche Rolle er im Kader einnehmen kann. Hinter jedem unserer Transfers steckt eine Fantasie. Wir beschäftigen uns sehr lange mit den Spielern und überlegen, wie sie in welches System passen könnten. Lars wollten wir schon vor einigen Jahren verpflichten, Andre kannten wir auch bereits aus Offenbach. Das birgt große Vorteile.
SPOX: Die da sind?
Eberl: Wenn wir dann tatsächlich an den Spieler herantreten, können wir ihm sagen, wie lange wir ihn schon im Blick und welche Idee wir mit ihm haben. Wir haben normalerweise einen recht kleinen Kader und können fast immer mit einem Platz locken. Wir sagen den Spielern aber deutlich, dass sie mit ihrer Leistung entscheiden, wie schnell es dann wirklich geht. Wenn wir einen Spieler wirklich wollen, dann merkt und spürt er das und weiß, dass er bei uns Priorität Nummer eins hat. Wir sind keine sportliche Leitung, die fünf Spieler anfragt und hofft, dass einer klappt. Wir haben einen Spieler im Visier und den wollen wir mit allem, was dazugehört. Die Enttäuschung ist dann natürlich groß, wenn der Spieler absagt, das muss ich zugeben. Aber wenn wir von Passion sprechen, dann bezieht diese sich eher darauf, den einen Spieler, der perfekt zu uns passt, auch zur Borussia zu holen.
SPOX: Erlauben Sie uns doch mal einen Einblick in das Seelenleiden eines Sportdirektors, wenn ein Transfer nicht die erhoffte Entwicklung nimmt.
Eberl: Manche hören das nicht gerne, weil sie der Meinung sind, hier und da hätte der Eberl ins Klo gegriffen, aber ich kann ganz klar sagen, bei all unseren Transfers zu 100 Prozent von der Entscheidung überzeugt gewesen zu sein. Ich sehe das etwas differenzierter, ich lass mich nicht gerne abfeiern, ich lasse mich aber auch nicht an die Wand nageln. Augenscheinlich war Reus ein fantastischer Transfer, genau wie Neustädter oder viele andere. Aber auch ein de Jong, dessen Namen viele in diesem Zusammenhang nennen, hat uns enorm weitergeholfen. Er kam in einer ganz spannenden Situation, als wir wichtige Spieler abgeben mussten. Wir hatten die Saison völlig überraschend auf Platz vier beendet, nachdem wir uns im Jahr zuvor als 16. über die Relegation gerade noch vor dem Abstieg gerettet haben. Viele dachten, dass unser vierter Platz nur eine Eintagsfliege gewesen wäre, aber wir haben es doch noch auf Rang acht geschafft. Für mich war das eine der bedeutendsten Saisons in Borussias jüngerer Geschichte. Und daran hatte auch Luuk, der in drei wichtigen Spielen das 1:0 erzielt hat, seinen Anteil. Natürlich wurde er nicht der nächste Rising Superstar wir Reus, aber ohne ihn hätten wir nicht so gut abgeschnitten. Granit Xhaka tat sich ebenfalls schwer in seinem ersten Jahr.
SPOX: Sie hielten aber trotzdem an ihm fest...
Eberl: Wenn wir einen Spieler holen, glauben wir an ihn und geben ihm die nötige Zeit, sich zu entwickeln. Egal, ob er dafür mehrere Jahre braucht, oder wie im Fall von Christensen nur ein paar Wochen. Dass Granit in seinem dritten Jahr bei uns explodiert ist, bestätigt unseren Weg.
SPOX: Sie haben ein gutes Verhältnis zu Uli Hoeneß, holten Sich sogar schon sehr früh Tipps von ihm. Was kann man sich von ihm abschauen?
Eberl: Vor allem seine Art und Weise, seine Geradlinigkeit, Offenheit und Menschlichkeit, die er immer an den Tag gelegt hat. Für mich war es unglaublich, wie er diese Attribute gelebt hat. Auch wenn er manchmal Leuten damit vor den Kopf gestoßen hat, war es in der Regel immer die Wahrheit. Als junger Steppke durfte ich verfolgen, wie er den FC Bayern aufgebaut hat. Die heutige Erfolgs-Geschichte der Bayern hatte damals ihre Wurzeln.
SPOX: Anders als Gladbach befindet sich der FC Bayern in der komfortablen Situation, sich nur selten mit abwanderungswilligen Leistungsträgern herumschlagen zu müssen. Wird man irgendwann müde, seine Schlüsselspieler immer wieder ersetzen zu müssen?
Eberl: Herr Watzke wird es mir nachsehen, aber in Deutschland gibt es genau einen Verein, der keine Spieler verkaufen muss - und das ist der FC Bayern. Auch Dortmund und Wolfsburg kommen immer wieder in die Situation, in denen man einen Spieler ziehen lassen muss. Manchmal aufgrund des Geldes, manchmal weil der Spieler den Schritt unbedingt machen will. Wir kennen unsere Rolle in Gladbach und wissen, dass wir sowohl durch sportliche Erfolge als auch durch Transfererlöse Geld generieren können, das wir wiederum in die Mannschaft investieren. Wir sind und wollen kein Ausbildungsverein sein, aber wie bei fast jedem anderen Klub gehört es auch in Gladbach dazu, Spieler abgeben zu müssen.
SPOX: Fällt es Ihnen leicht, diese Gedanken und Planungen im Büro zu lassen? Vermutlich ist Ihre Frau eine der bestinformiertesten Damen im Land und könnte sofort eine konkurrenzfähige Elf aufstellen, oder?
Eberl: Meine Frau ist da nicht so interessiert, aber mein Sohn ist schon sehr gut informiert. (lacht) Wenn ich zu Hause bin, versuche ich aber meist auch wirklich zu Hause zu sein. Klar gibt es immer Transfers, wo man auch nachts oder spät abends telefoniert, aber das sind Ausnahmen. Natürlich könnte ich 24 Stunden arbeiten und immer suchen und finden - wie Sie auch. Aber dadurch wird man irgendwann schlechter. Man muss sich die Zeit nehmen, um runterzukommen und wieder mit frischem Elan an die Dinge heranzugehen.
SPOX: Hand aufs Herz: An wie vielen Tagen ist das Handy im Urlaub an?
Eberl: Das Handy ist immer an, ich kann aber entscheiden, ob ich rangehe oder nicht, das ist mein Vorteil. Wir hatten einmal den Fall, dass wir mitten in der Transferperiode in den Urlaub fahren wollten. Meine Frau hat damals zu mir gesagt: 'Entweder Du hast bis dahin alle Transfers erledigt, oder wir fahren nicht in den Urlaub.' Seitdem machen wir in den seltensten Fällen im Sommer Urlaub.