Axel Schuster gilt als Schattenmann von Christian Heidel. Das Urgestein von Mainz 05 ging gemeinsam mit dem Manager zum FC Schalke 04 und wurde Direktor Sport. Ein Gespräch über seinen Aufstieg vom studentischen D-Jugendtrainer-Zeitvertreib zum Teammanager, die Zusammenarbeit mit Heidel und die Schwächen der Gelsenkirchener Infrastruktur.
SPOX: Herr Schuster, nach Christian Heidel ist mit Ihnen ein weiteres Mainzer Urgestein zu Schalke gewechselt. Haben Sie nach all den Jahren aus Rheinhessen etwas ganz bestimmtes mitgenommen?
Axel Schuster: Ja, einen USB-Stick, auf dem alle wesentlichen und über die Jahre entwickelten Formulare und Dokumente gespeichert sind. Und natürlich mein gesammeltes Gedankengut und Ideen.
SPOX: Schalke hat also bewusst Mainzer Wissen eingekauft?
Schuster: Und Augsburger Wissen. (lacht) Nein, das war nicht die Hauptintention. Man wollte auf Schalke einen Cut machen und Leute holen, die sozusagen aus einer anderen Welt kommen und bislang sehr innovativ sein mussten, um konkurrenzfähig zu sein und zu bleiben. In der Formel 1 werden ja auch ständig Ingenieure und Techniker abgeworben, um an das Knowhow der Konkurrenz zu kommen. Das ist ganz normal und legitim. In Mainz war das auch so, dort haben heute noch Ideen von Thomas Tuchel oder auch Jörn Andersen Bestand.
SPOX: Man bezeichnet Sie oft als Heidels Schattenmann. Sie sprachen davon, dessen Ohren und Augen zu sein. Wie meinen Sie das?
Schuster: Alles was ich weiß, weiß Christian und alles was Christian weiß, weiß ich. Ich bin in der täglichen Arbeit ganz nah dran an Trainern, Spielern sowie Funktionsteam und entscheide dort die notwendigen Dinge. Ich sauge aber auch alles andere auf, was größer als eine schnelle organisatorische Entscheidung sein kann. Wenn man mit mir über etwas in einem größeren Rahmen sprechen möchte, kann man das tun und es ist dann so, als würde man es mit Christian besprochen haben.
SPOX: Und wann tauschen Sie sich dann gegenseitig aus?
Schuster: Sehr regelmäßig nach Ende des Büroalltags bei einem Gläschen Wein, das mit dem Pils lernen wir noch. (lacht) So können wir uns gegenseitig bei Entscheidungen rückversichern. Grundsätzlich bieten wir den Spielern mit diesem Modell an, auf einer vertraulichen Basis Themen anzusprechen, die auch mal kritischer sein können und diese im Idealfall zu klären. Christian ist aber immer die letzte Instanz.
SPOX: Sie kennen Heidel schon seit Ewigkeiten und nicht erst seit dem Zeitpunkt, wo Sie 1999 Teammanager in Mainz wurden. Ursprünglich kamen Sie in die Stadt, um Jura zu studieren. Zuvor spielten Sie in Ihrer Heimatstadt beim 1. FC Köln in der A-Jugend.
Schuster: Ohne die ZVS (Zentrale Vergabe für Studienplätze, Anm. d. Red.) wäre ich 1992 nie in Mainz gelandet, das war eine glückliche Fügung des Schicksals. Ich konnte das Jura-Studium nicht in Köln oder Bonn absolvieren, sondern habe mich aufgrund der guten Zugverbindung für Mainz entschieden. Was meine fußballerische Karriere angeht: Mein Körper hat mir signalisiert, dass ich mit diesem Weg nicht genug Geld verdienen werde, um eine Familie ernähren zu können. (lacht)
SPOX: 1995 gab es den ersten Kontakt zum FSV. Sie sagten einmal, dass Sie dort einfach gefragt hätten, ob irgendwo etwas frei wäre - und einen Tag später waren Sie dann Trainer der D-Jugend.
Schuster: Ich habe mich zunächst ins Studium gestürzt, dann aber gemerkt, dass nebenbei noch etwas Zeit bleibt. Die wollte ich eigentlich dafür nutzen, um an den Wochenenden nach Köln zu fahren. Ich dachte aber auch schon früh daran, die Trainerscheine zu absolvieren und Jugendtrainer zu werden.
SPOX: Können Sie sich noch erinnern, wie es damals beim FSV aussah? Der Klub war ja noch weit von dem entfernt, was er mittlerweile darstellt.
Schuster: Ich bin auf Strukturen gestoßen, die heute nicht mehr vorstellbar sind. Die haben mich gleich beim ersten Gespräch gefragt, ob ich nicht schon nächste Woche als Trainer der D-Jugend einsteigen könne. Da ist der vorherige Trainer einfach nicht mehr gekommen. Ich entgegnete erst einmal, dass ich ja noch gar keinen Trainerschein hätte, doch sie sagten mir nur: Der andere Trainer hatte auch keinen. Ich habe dann parallel zum Studium die drei Trainerscheine C, B und A gemacht sowie den Job als Jugendcoach ausgeübt.
SPOX: Ab dann entwickelten sich die Dinge für Sie relativ rasant, oder?
Schuster: Ja. Man fragte mich, ob ich nicht noch zwei, drei Stunden pro Woche Zeit hätte, um als Anlaufpunkt in der neu geschaffenen Jugendgeschäftsstelle zu sitzen. Da die Uni in Mainz direkt neben dem Bruchweg liegt, war es kein Problem, mich mit meinen Büchern dort rein zu hocken. Anschließend wurde ich ehrenamtlicher Jugendgeschäftsführer.
SPOX: Wie war denn eigentlich Ihr allererstes Aufeinandertreffen mit Heidel?
Schuster: Das weiß ich gar nicht mehr genau. Ganz am Anfang hatte ich nur mit dem Jugendleiter zu tun. Christian wird bestimmt mal irgendwo mit mir zusammen herumgestanden haben. Wir waren zum Zeitpunkt des Bayern-Spiels auch noch nicht so befreundet wie heute, er ist ja sogar mein Trauzeuge. Christian hat aber schon damals vom ersten Tag an niemanden gebremst, andere Ideen zugelassen und auch Fehler zugestanden. Er beansprucht nichts für sich und hat keine Angst, sein Wissen weiterzugeben. Ich habe von ihm die gesamten Grundzüge dieses Geschäfts erlernt.
SPOX: Gab es dann eine Initialzündung für den Job als Teammanager?
Schuster: Das war zwei Tage vor Weihnachten 1999 ein Pokalviertelfinalspiel gegen Bayern München im Olympiastadion, die bis dato größte Partie der Mainzer Geschichte. Man hatte intern die Idee, daraus die größte Auswärtsfahrt zu machen. Da zwischen Auslosung und Spiel nicht so viel Zeit war, bedurfte es einer Person, die sich ausschließlich um dieses Projekt kümmert. Christian fragte mich dann, ob ich das nicht machen wolle.
SPOX: Und dann?
Schuster: Sind wir mit vier Sonderzügen und 50 Bussen dorthin gefahren. Ich weiß noch, wie Carsten Jancker und Oliver Kahn nach dem Spiel sagten, dass sie so etwas noch nie erlebt hätten. Wir hatten ein echtes Heimspiel in München. Es waren 11.000 Zuschauer da, 8000 kamen aus Mainz. Die Bayern hatten nicht mal die Gegengerade vom Schnee geräumt. (lacht)
SPOX: Das reicht also schon aus, um Teammanager zu werden?
Schuster: Ich habe mich damals auch um den Aufenthalt der Mannschaft in München und den Trainingsplatz gekümmert. Unser Trainer Wolfgang Frank sagte nach dieser Geschichte dann aber zu Christian: Den brauche ich, der muss mir im Abstiegskampf die Dinge organisieren. Christian sagte, ich solle doch im Januar mit ins Trainingslager fahren. Ich habe meine Bücher eingepackt und bin mitgekommen, auch wenn ich vor Ort kein einziges Training gesehen habe, weil ich nur währenddessen zum Lernen fürs Examen kam.
SPOX: In den nächsten Monaten kam Mainz sportlich nicht wirklich zur Ruhe, es wurde sehr schnell auch für Sie turbulent.
Schuster: Man darf dabei nicht vergessen, dass der Verein mit inklusive mir zwei Angestellten auf der Geschäftsstelle noch immer winzig war. Wolfgang Frank ging im April, sein Co-Trainer Dirk Karkuth wurde bis Saisonende Cheftrainer, wir hielten die Klasse, im Sommer kam Rene Vandereycken, vier Monate später übernahm Eckhard Krautzun und blieb drei Monate, bis am 28. Februar 2001 Jürgen Klopp Trainer wurde. Die 14 Monate ab diesem Spiel in München waren schon verrückt, danach war nur noch Langweile angesagt. (lacht)
SPOX: Als Klopp Cheftrainer wurde, gab man Ihnen einen Vollzeitvertrag. Haben Sie da lange überlegen müssen?
Schuster: Das war letztlich ein fließender Übergang, da die einzelnen Trainer zuvor schon darauf bestanden haben, mit mir einen täglichen Ansprechpartner zu haben, während Christian in seinem Büro saß. Die Verhandlungen zwischen Christian und mir haben nie länger als eine Tasse Espresso gedauert. Meistens waren wir uns schon einig und haben erst danach daran genippt.
SPOX: Heidel sagte, Sie seien sauer auf ihn gewesen, da er Sie nicht gefragt hatte, ob Sie mit ihm nach Schalke kommen würden. Stimmt das?
Schuster: Er hat mich nicht abgeworben und auch nicht den ersten Schritt gemacht. Das ist uns beiden auch wichtig. Ich war aber natürlich nicht sauer, sondern wusste von der ersten Kontaktaufnahme an über das Thema Schalke Bescheid. Ich selbst habe mich erst damit auseinandergesetzt, als er mir sagte, er würde das jetzt machen. Für ihn war es anfangs ja gar kein Gedanke, dass er wirklich einmal zusagen würde.
SPOX: Weshalb haben Sie sich nicht selbst in Mainz als möglicher Heidel-Nachfolger positioniert?
Schuster: Erstens wusste ich nicht sicher, ob ich noch der Beste für Mainz sein kann. Ich bin ein Mensch, der beispielsweise auch nicht zwei Mal am selben Ort Urlaub machen kann, weil es mich sonst langweilt. Ich brauche Fortschritt und Mainz 05 ist mittlerweile an einem Punkt angekommen, wo eine weitere wirkliche Entwicklung gar nicht so schnell umzusetzen ist. Im Moment befindet sich der Klub eher in einer Phase, in der man das Erreichte stabilisieren muss. Ich dachte mir: Vielleicht gibt es stattdessen jemanden, für den Mainz 05 eine riesige Herausforderung ist und der so vor Ideen und Elan sprüht, dass er den Job letztlich auf Dauer besser machen kann als ich.
SPOX: Und zweitens?
Schuster: Gab es im Hinterkopf mit Schalke eine mögliche andere Option. Ich habe es vor allem für mich selbst als unrealistisch angesehen, in Mainz die Nachfolge von Christian Heidel anzutreten. Ich habe seit 1999 dieses Rollenverständnis gespielt und zu allen Menschen im Verein eine ziemliche Nähe. Aus dieser Gemengelage heraus solche Fußstapfen zu füllen und sich dabei selbst noch profilieren zu müssen, das habe ich für mich schlicht nicht gesehen.
SPOX: Wie lief Ihr Wechsel dann genau ab?
Schuster: Ich habe die erwähnten Gründe abgewogen und entschieden, dass dieser Schritt für mich die größte Herausforderung ist und ich mich dabei am meisten weiterentwickeln könne. Dann habe ich Christian gesagt, dass ich dabei wäre, wenn er die Möglichkeit schafft.
SPOX: Das ist geschehen. Heidel begründete seine eigene Wechsel-Entscheidung auch damit, dass in kurzer Zeit drei gute Freunde von ihm verstorben seien und ihn dies ins Grübeln gebracht habe. Konnte man ihm das anmerken?
Schuster: Natürlich, zumal diese Freunde auch alle noch ganz schön viel vorhatten. Sich nach diesen Ereignissen die konkrete Frage zu stellen, was einen nochmal reizen könnte, ist dann menschlich. Ohne es zu wissen hat ihn Clemens Tönnies mit dem Angebot in einem Moment erwischt, in dem er deutlich offener für etwas Neues war und sich in zehn Jahren nicht vorwerfen lassen möchte, es nicht getan zu haben. Das war insofern reiner Zufall, zwei Jahre zuvor wäre es wohl noch nicht einmal zu einem Treffen mit Clemens Tönnies gekommen.
SPOX: Ab wann war Ihnen denn klar, dass sich Heidel eine neue Herausforderung vorstellen kann?
Schuster: Die Gespräche haben früh begonnen. Clemens Tönnies hat ihn häufig angerufen, und es gab dann einen weiteren Versuch, ihn im persönlichen Gespräch zu überzeugen. Christian ist also erneut hochgefahren und hat zu mir gesagt, dass er jetzt absagt, damit das mal zu einem Ende kommt. Es fehlte ihm der letzte kleine Schritt, um Mainz wirklich zu verlassen. Als er dann aber wieder auf dem Rückweg war, rief er mich an und meinte: Ich habe zugesagt. An dem Tag wurde ihm vor Ort klar: 'Das ist es, was ich machen will.'
SPOX: Wie haben Sie denn aus Ihrer Mainzer Warte Schalke 04 in all den Jahren wahrgenommen?
Schuster: Als Außenstehender bin ich immer Fußballfan geblieben. Ich finde es beeindruckend, welche Kraft dieser Verein durch seine Fans und Mitglieder ausstrahlen kann. Dazu die Arena, die trotz ihres Alters noch immer ein Maßstab in Europa bleibt. Ansonsten wirkte der Klub teils recht unruhig, dafür aber nie langweilig. Dieser Bienenschwarm um den Verein ist ein Teil von ihm, den man beibehalten muss. Er darf aber keine Entscheidungen im täglichen Arbeiten beeinflussen, weil die dadurch nicht besser, sondern eher schlechter würden.
SPOX: Heidel hat bislang nicht nur personell, sondern auch infrastrukturell Gas gegeben und meinte, in dieser Hinsicht wäre Schalke bundesligauntauglich. Wie war Ihr Eindruck?
Schuster: Der infrastrukturelle Bereich hat uns wirklich überrascht. Ich war als Erster in der Kabine und hatte Christian und Markus Weinzierl bereits vorgewarnt, beide waren dann aber trotzdem regelrecht geschockt. Bei all den Möglichkeiten dieses Vereins hat er definitiv ein paar Prozent seines Geldes nicht dafür aufgewendet, in die Infrastruktur zu investieren. Damit meinen wir auch nicht die Plätze, sondern die Räumlichkeiten, in denen sich die Mannschaft aufhält und geschult wird oder das Trainerteam Spiele und Trainingseinheiten vorbereitet. Diesbezüglich stand Schalke in der Bundesliga auf einem Abstiegsplatz, das entsprach nicht den aktuellen Anforderungen. Wir haben deshalb sofort Veränderungen angestoßen und umgesetzt, bis zum Winter wird das dann hervorragend sein.
SPOX: Welche Gedanken haben Sie für Ihre Zukunft, wird das Duo Heidel/Schuster für immer zusammenbleiben?
Schuster: Ich will das überhaupt nicht ausschließen. Ich sehe mich noch als Lernenden in diesem Business in einem jetzt größeren Verein. Diese Eindrücke möchte ich erst einmal mitnehmen. Ob es später immer noch Dinge gibt, die mich gerade auch in der Hauptverantwortung reizen, das kann durchaus sein.
SPOX: Zum Schluss: Erzählen Sie doch bitte einmal Ihre Lieblingsanekdote zu Christian Heidel!
Schuster: Da gibt es selbstverständlich unzählige private Geschichten. Ich kann auf jedem Fall nur jedem raten: Nie mit Christian Heidel ins Parkhaus fahren! Oder eben immer den Parkschein an sich nehmen und ihn niemals Christian geben. Wie oft wir schon in Parkhäusern standen und die Zentrale anrufen mussten, weil der Parkschein weg war...
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