SPOX: Unsere Opta-Kollegen haben herausgefunden, dass Sie das seltene Kunststück vollbrachten, sich vier Mal für die Champions League zu qualifizieren - in den vergangenen zwei Jahren. Trotzdem hat man den Eindruck, dass Sie vor allem im Gladbach-Trikot richtig aufblühen. Liegt Ihnen die Philosophie der Borussia mehr als die der Werkself?
Kramer: Das ist in der Tat kurios und spricht für beide Klubs. Man muss sich nur einmal anschauen, wo Gladbach und Leverkusen in den letzten Jahren gelandet sind. Beide Teams haben ihren eigenen Ansatz Fußball zu spielen und sind damit erfolgreich. Das dominante Spiel der Borussia, basierend auf viel Ballbesitz und dem Zermürben des Gegners, ist nicht zwangsläufig besser, aber ich mag es persönlich lieber und fühle mich darin wohler.
SPOX: Während Ihrer ersten Zeit in Gladbach hatten Sie mit Granit Xhaka einen festen Nebenmann, aktuell spielen Sie mal an der Seite von Mahmoud Dahoud, mal an der von Tobias Strobl. Fällt es da schwerer, sich einzuspielen?
Kramer: Nein, im Gegenteil. Das ist eine unserer großen Stärken in dieser Saison. Wir haben eine hohe qualitative Breite im Kader. Jeder Spieler bringt seine eigenen Fähigkeiten mit und interpretiert seine Position etwas anders. So können wir auf jeden Gegner individuell reagieren.
SPOX: Steht Dahoud mit Ihnen auf der Doppelsechs, sind Sie etwas defensiver ausgerichtet, mit Strobl aber offensiver. Fällt Ihnen letzteres schwerer?
Kramer: Ich glaube, diese klassischen Rollenverteilungen gibt es heute gar nicht mehr - eigentlich muss jeder alles machen und können. Das ist für mich kein Problem.
SPOX: Spielverlagerung.de analysierte Ihre Spielweise vor einigen Jahren sehr detailliert und erkannte dabei das Vermeiden der 'Netzer-Zone'. Haben Sie davon schon mal etwas gehört?
Kramer: Netzer-Zone? Nein, ehrlich gesagt nicht.
SPOX: Dabei handelt es sich um den Bereich direkt im Mittelkreis und knapp dahinter, in dem sich die lauffaulen Spielmacher früher meist aufhielten. Sie hingegen meiden diesen Bereich fast komplett, suchen und erlaufen eher die Räume drum herum.
Kramer: Da ist auf jeden Fall etwas dran, auch wenn ich während des Spiels kaum darüber nachdenke. Es sind vielmehr intuitive Entscheidungen. Die meisten Gegner stehen gegen uns sehr kompakt und tief und machen die Mitte konsequent zu. Deshalb sind diese klassischen Spielmacher-Räume nur sehr schwer zu bespielen und für die Defensive einfach zu greifen. Dafür tun sich dann woanders Räume auf. Man muss instinktiv herausfinden, wo der Gegner verwundbar ist. Gegen Bern bin ich zum Beispiel sehr oft über die linke defensive Seite gekommen. Dort waren die Young Boys nicht gut eingestellt und haben immer wieder viel Platz geboten. Das habe ich so lange durchgezogen, bis sie das Problem erkannt und umgestellt haben. Dann heißt es: Weitersuchen und die nächste Schwachstelle finden.
SPOX: Zu Beginn Ihrer Karriere führten Sie Buch über jedes Ihrer Spiele. Was haben Sie genau notiert und sind Sie bis heute dabei geblieben?
Kramer: Ja, das mache ich immer noch. Es sind kleine Zusammenfassungen. Ich notiere besondere Ereignisse, wie ich mich in bestimmten Momenten gefühlt und wie ich sie erlebt habe.
SPOX: Wie sind die auf die Idee gekommen?
Kramer: Mein B-Jugend-Trainer hat mich damals darauf gebracht. Er sagt, diese Notizen seien schöne Erinnerungen im Alter.
SPOX: Und da kommen Sie trotz der Dreifachbelastung, Testspielen und der Nationalmannschaft noch hinterher?
Kramer: Ich schreibe ja keine Zwei-Seiter, meist sind es nur ein paar Sätze. Das schaffe ich schon noch.
SPOX: Nach der WM sprachen Sie über den Gedanken, ein ganzes Buch zu schreiben. Konnten Sie diesen seitdem vorantreiben?
Kramer: Dazu bin ich bisher noch nicht gekommen, das ist auch eher Zukunftsmusik. Ich habe einfach Lust darauf, das zu machen, bin mir aber nicht sicher, ob ich dafür qualifiziert genug bin. (lacht) Aber darüber mache ich mir Gedanken, wenn es irgendwann mal soweit ist.
SPOX: In Ihrer Freizeit schauen Sie sich Ihre vergangenen Spiele oftmals in voller Länge an und analysieren, wie Sie sich in manchen Situationen hätten anders oder besser verhalten können. Machen Sie das auch bei anderen Spielern und versuchen, davon zu lernen?
Kramer: Das nicht direkt. Natürlich lernt man im täglichen Training immer etwas dazu, gerade wenn man einen Spieler intensiver beobachtet. Es macht aber keinen Sinn, mir anzugucken, wie Raffael seine Gegenspieler ausdribbelt. Das ist zwar schön anzusehen und das finde ich auch gut, aber das kriege ich ja im Leben nicht hin.