"Meisterschalen im Stadion sind Folklore"

Jochen Rabe
26. Oktober 201611:30
Jörg Schmadtke hat den 1. FC Köln weiterentwickeltimago
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Jörg Schmadtke hat den 1. FC Köln in gut drei Jahren von einem Zweitligisten zu einer der Überraschungsmannschaften in der Bundesliga geformt. Im Interview spricht der Geschäftsführer über Veränderungen der Arbeit eines Sportdirektors, das enge Verhältnis mit Trainer Peter Stöger und die neue Wahrnehmung seines Klubs in Zeiten des sportlichen Höhenflugs.

SPOX: Herr Schmadtke, mit Timo Horn, Jonas Hector, Dominic Maroh, Marcel Risse und Matthias Lehmann sind fünf Leistungsträger aus dem Aufstiegsjahr 2014 noch immer Stammspieler beim 1. FC Köln. Wie wichtig ist diese personelle Kontinuität für den aktuellen Erfolg?

Jörg Schmadtke: Natürlich tut es einer Mannschaft gut, wenn Leistungsträger lange da sind. Andererseits bin ich davon überzeugt, dass ein Kader auch Wechsel braucht, damit neue Einflüsse reinkommen. Beides ist wichtig. Unser derzeitiger Tabellenplatz hängt aber sicherlich damit zusammen, dass wir eingespielt, gut eingestellt und aufeinander abgestimmt sind im Gegensatz zu dem einen oder anderen Klub, der einen größeren Umbruch vorgenommen hat.

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SPOX: Der Autor George R.R. Martin hat einmal gesagt, es gebe zwei Typen von Autoren: Architekten und Gärtner. Während ein Architekt alles genau planen kann, sät der Gärtner einen Samen und gießt. Er weiß ungefähr, wie die Pflanze aussehen wird, aber nicht unbedingt, wie viele Äste sie haben wird. Wenn Sie dieses Bild auf die Arbeit als Sportdirektor übertragen, ist man dann eher Gärtner oder Architekt?

Schmadtke: Wir wären gerne Architekt, aber wir sind am Ende Gärtner.

SPOX: Woran liegt das?

Schmadtke: Ob ein Transfer gut oder weniger gut läuft, hängt von verschiedenen Faktoren ab. Sie versuchen, möglichst viele Dinge zu beeinflussen. Ein Gärtner sagt: Da kommt die Hecke hin, da ein Baum, dort eine Wiese. Aber wie alles am Ende genau aussieht, wissen Sie nicht. Transfers sind immer mit Unwägbarkeiten verbunden. Sie arbeiten ja mit Menschen. Ein Spieler kommt aus einem anderen Klub, vielleicht sogar einem anderen Land und dann fühlt sich zum Beispiel seine Frau nicht wohl und findet keinen Anschluss. Etwas Privates liegt im Argen und Sie wundern sich, warum die Leistungsentwicklung nicht so ist, wie Sie gedacht haben. Wir würden den Kader gerne architektonisch durchplanen, aber ob am Ende alles genauso eintritt, wie Sie sich das wünschen, wissen Sie nicht.

SPOX: Haben die immer höher werdenden Transfersummen die kontinuierliche Planbarkeit erschwert?

Schmadtke: Nein, die haben damit nichts zu tun. Das war schon immer so. Aber Sie hatten natürlich zu Zeiten, als ich noch aktiv war, viel weniger Fluktuation. Damals gab es noch Spieler, die 15, 20 Jahre bei ihren Klubs geblieben sind. Das gibt es heute gar nicht mehr. Die Haltbarkeit eines Spielers bei einem Klub wird kürzer. Auch das Bosman-Urteil hat viel verändert.

SPOX: Würden Sie sagen, dass sich Ihre Arbeit als Sportdirektor durch die Gelder entscheidend verändert hat?

SPOX-Redakteur Jochen Rabe traf Jörg Schmadtke auf der Geschäftsstelle des 1. FC Köln zum Interviewspox

Schmadtke: Sie müssen mit anderen Zahlen jonglieren. Aber andere Dinge haben die Arbeit viel stärker beeinflusst.

SPOX: Welche?

Schmadtke: Als ich vor 15 Jahren angefangen habe, war es schwierig, ein Regionalliga-Ergebnis aus Süddeutschland zu bekommen. Da mussten Sie viel telefonieren, lange warten, das war ein riesiger Aufwand. Wenn Sie mich jetzt fragen, wie ein Spiel in Trinidad ausgegangen ist, setze ich mich an meinen Rechner und habe innerhalb kürzester Zeit das Ergebnis. Früher war es so, dass Sie sich zum Scouten bewegen mussten. Sie mussten sich ins Flugzeug, ins Auto oder in den Zug setzen, damit Sie sich Spieler genau anschauen können. Heute kann ich jedes Spiel am Rechner sehen, bekomme es sogar noch aufbereitet. Dadurch hat sich die Arbeitsweise gewandelt.

SPOX: Sitzt man heutzutage durch diese Entwicklungen automatisch mit mehr Leuten am Tisch als früher, wenn man einen Transfer diskutiert?

Schmadtke: Früher sind Sie, übertrieben gesagt, alleine losgefahren, haben sich einen Spieler angeschaut, ihn verpflichtet und mitgebracht. Heute sitzen Sie mit dem Trainer, Scouts, Analysten, der Finanzabteilung und einem oder mehreren Beratern des Spielers am Tisch. Klar ist das alles größer geworden und die Dinge werden tiefer durchleuchtet, weil sie eine andere wirtschaftliche Dimension haben.

SPOX: Zeichnen sich durch die englischen Gelder abseits des Spielermarktes auch Auswirkungen auf Funktionärsebene oder im Trainerbereich ab? Wird man mehr damit konfrontiert, dass die englischen Klubs beispielsweise Scouts und Athletiktrainer kontaktieren?

Schmadtke: Den Eindruck habe ich nicht.

SPOX: Könnte die Akquise von Kompetenz durch die Premier-League-Klubs eine Entwicklung der kommenden Jahre sein?

Schmadtke: Das ist durchaus möglich. Am Ende des Tages wird man sich in England irgendwann einmal fragen: Woran liegt es, dass wir nicht die dominante Stellung in Europa einnehmen, die wir aufgrund der Wirtschaftlichkeit einnehmen müssten? Dort werden jedes Jahr 2,5 Milliarden Euro an Fernsehgeldern verteilt und trotzdem sehe ich keine Dominanz - ganz im Gegenteil: Bei den letzten internationalen Vergleichen mit deutschen Klubs habe ich da mindestens Augenhöhe gesehen. Bundesliga Spielplaner - Der Tabellenrechner von SPOX.com

SPOX: Ist eine mögliche Schlussfolgerung, dass in der Premier League langfristig vermehrt auf das deutsche Modell mit Trainer und Manager zurückgegriffen wird?

Schmadtke: In meiner Position wäre es komisch, wenn ich jetzt gegen dieses Modell argumentieren würde, oder? (lacht) Ich glaube, dass es eine Gewaltenteilung sinnvoll ist. Natürlich ist es nicht so strikt abgetrennt, wie man sich das manchmal von außen vorstellt. Ich kann ja keinen Transfer machen, ohne den Trainer ins Boot zu holen. Denn er arbeitet jeden Tag mit der Mannschaft und stellt sie auf. Deswegen muss man eng zusammen arbeiten. Aber dennoch ist es wichtig, die Kompetenzen aufzuteilen. Ich stelle mir manchmal die Frage, wie das in England funktioniert. Wie macht das ein Trainer? Wann scoutet er? Wie scoutet er? Wann trifft er sich mit den Spielern? Wann hat er Zeit für wirtschaftliche Belange? Wann verhandelt er die Verträge? Ich habe hin und wieder den Eindruck, dass mir hier 24 Stunden am Tag zu wenig sind. Da ist überhaupt nicht daran zu denken, nebenher noch Training vor- und nachzubereiten, Gespräche zu führen, Inhalte auszuarbeiten. Aber irgendwie scheint es ja zu funktionieren.

SPOX: Deswegen passiert es auch nicht selten, dass in England ein neuer Manager antritt und erst einmal 15 bis 20 Spieler austauscht...

Schmadtke: Das hatten wir in Deutschland auch eine Zeit lang, obwohl wir die Gewaltenteilung hatten. Ich bin der Auffassung, dass ein Manager der strategische Kopf sein muss, der für die langfristige Planung zuständig ist. Der Trainer muss immer auch die Kurzfristigkeit im Blick behalten. Wenn er langfristig denkt, ist das perfekt, aber ich verstehe jeden Trainer, der sagt, er denke von Wochenende zu Wochenende. Seit Saisonbeginn gab es sieben Trainerentlassungen in den beiden Bundesligen. Das ist schon ein bisschen viel, oder?

SPOX: Glauben Sie, dass es für eine Fehlplanung im Sommer spricht, wenn man sich schon so früh in der Saison von seinem Trainer trennt?

Schmadtke: Vielleicht ist es ein Zeichen von Fehleinschätzung. Da muss man in jedem Einzelfall bewerten, warum es so gekommen ist. Das kann man so pauschal nicht beantworten. Aber de facto ist es so: Wenn man sich von einem Trainer trennt, haben am Ende des Tages alle verloren.

SPOX: Nach der Entlassung von Dieter Hecking beim VfL Wolfsburg ist Peter Stöger nun nach Christian Streich der zweitdienstälteste Trainer der Liga. Das spricht für Ihre langfristige, kontinuierliche Zusammenarbeit.

Schmadtke: Oder es spricht für eine ziemlich große Fluktuation. Das Glas ist ja immer halb voll oder halb leer, je nach Interpretation.

SPOX: Was zeichnet Ihre Zusammenarbeit mit Peter Stöger aus?

Schmadtke: Wir haben beide ein Verständnis für den Job des anderen. Peter war einmal Sportdirektor, ich habe einmal als Trainer angefangen. Dadurch wissen wir auch um die Schwierigkeiten und Probleme, die mit der jeweils anderen Rolle einhergehen. Das ist ein Schlüssel. Aber letztlich haben wir vor allem eine ähnliche Sicht auf die Dinge. Wir versuchen, uns nicht an Fantastereien zu orientieren, sondern an Umsetzbarem. Wir haben auch auf der menschlichen Ebene eine gute Verbindung geschaffen.

SPOX: Wie eng ist das Verhältnis?

Schmadtke: Sehr eng. Das Büro meines Trainers ist genau gegenüber. Sie werden mich häufig dort drüben sehen. Man tauscht sich ständig über unser Geschäft aus, aber auch über private Angelegenheiten. Das hat sich so entwickelt. Ich hatte auch schon andere Situationen, in denen es das nicht gab und man trotzdem gemeinsamen Erfolg hatte. So ist es jedoch deutlich angenehmer.

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SPOX: Wie wichtig ist es aus Ihrer Sicht besonders in Köln, dass ein Trainer nicht nur mit seinem sportlichen Konzept überzeugt, sondern auch menschlich gut in die Stadt und das Umfeld passt?

Schmadtke: Ich glaube, dass Peter für diesen Zeitraum wie die Faust aufs Auge passt. Die Zeit war reif für jemanden, der sehr realistisch an die Dinge herangeht, der zwar viel Lebensfreude versprüht, sich aber nicht euphorisieren lässt und sehr bodenständig ist. Vielleicht war es auch wichtig, dass jemand aus Österreich hier nach Köln kommt, um alles ein bisschen auf Normalmaß herunterzubringen. Einflüsse von außen sind immer gut.

SPOX: Die Euphorie um den Verein auf Normalmaß zu halten, ist auch nach dem starken Saisonstart eine Ihrer Aufgaben. Sie haben gesagt, es sei erlaubt, auf die Tabelle zu schauen und seine Schlüsse daraus zu ziehen. Welche Schlüsse ziehen Sie?

Schmadtke: Dass wir gut gestartet sind und einen Zwei-Punkte-Schnitt haben, ich aber nicht glaube, dass wir am 34. Spieltag immer noch einen Zwei-Punkte-Schnitt haben werden.

SPOX: Wie sehen Sie die sportliche Weiterentwicklung des Vereins seit Ihrem Amtsantritt?

Schmadtke: Wir haben in der zweiten Liga angefangen, sind aufgestiegen und seitdem wir in der Bundesliga sind, waren wir nicht einmal auf einem Abstiegsplatz. Ganz im Gegenteil: Die Entwicklung geht in eine andere, deutlich positivere Richtung. Nichtsdestotrotz weiß ich aber auch um den Wettbewerb, in dem wir uns befinden. Wir machen 100 Millionen Euro Umsatz und es gibt Mitbewerber, die 100 Millionen für ihre Mannschaft ausgeben. Das ist ein Ungleichgewicht. Die internationalen Wettbewerbe sind eigentlich besetzt mit den wirtschaftlich stärksten Klubs. Danach kommen wir ins Spiel. Wir wollen der Beste des Rests sein. Das ist unsere Zielsetzung. Wir sind letztes Jahr Neunter geworden und wollen diesen Platz bestätigen, weil das unserer Einschätzung nach ein riesiger sportlicher Erfolg wäre. Das ist unsexy, ich weiß. Die Menschen wollen immer mehr, schneller, höher, weiter. Dann ist es schwierig, ihnen das zu vermitteln, aber ich glaube, dass uns das gut gelingt.

SPOX: Ist das wirklich so, dass die Menschen immer schneller, höher, weiter wollen?

Schmadtke: Das ist so. Das merke ich an den Fragestellungen der Journalisten. Man sieht es aber auch im Stadion. Zuletzt habe ich dort viele Meisterschalen gesehen. Ich glaube, 90 Prozent der Leute machen das aus einer Selbstironie heraus. Meisterschalen im Stadion sind Spaß und Folklore. Das hat mit der nonchalanten Kölner Art zu tun, sich selbst auch mal auf den Arm zu nehmen. Aber ich glaube auch, dass zehn Prozent der Leute das ernst meinen und glauben, am Ende haben wir die richtige Schale in der Hand.

SPOX: Hat sich auch die Wahrnehmung des Vereins in der Liga verändert? SPOX

Schmadtke: Absolut. Wenn wir jetzt ein Spiel gegen Ingolstadt haben, hofft mehr als die Hälfte der Liga, dass wir gewinnen, damit die Ingolstädter unten bleiben. Vor zwei Jahren waren wir noch diejenigen, die unten bleiben sollten. Aber damit werden wir uns beschäftigen müssen, wenn wir noch länger weit oben stehen.

SPOX: Plötzlich taucht der FC in Topspiel-Ankündigungen auf.

Schmadtke: Dadurch wird der Druck auch größer. Wir hatten hier Heimspiele gegen Freiburg und Ingolstadt, bei denen uns jeder zum klaren Favoriten gemacht hat. Man darf aber nicht vergessen, dass wir erst seit zwei Jahren wieder in der ersten Liga sind. Ich denke, das ordnen alle richtig ein. Wenn die Fans "Deutscher Meister FC" singen, schreiben viele, in Köln drehen sie wieder durch. Da sind wir wieder beim Glas: Man kann sagen, es ist halb voll oder halb leer. Ich interpretiere es eher als die lebenslustige, selbstironische Kölner Art und denke nicht, dass jemand abhebt. Dieser Spaß gehört dazu - vor allem hier in Köln.

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