Der Morgen danach begann mit einem fetten Kater. Die Kommunikation des Karriereendes von Philipp Lahm zum Ende der laufenden Saison geriet am Dienstag zu einem Desaster. Die Reperaturmaßnahmen am Mittwoch sorgten für noch mehr Kopfschütteln. Erst deutete Uli Hoeneß die Unstimmigkeiten in der Absprache an, ehe Karl-Heinz Rummenigge per Pressemitteilung mit der Version des Vereins in die Vollen ging.
Ob diese wirklich stimmt, ist offen und darf angezweifelt werden. Es ist nicht davon auszugehen, dass Lahm selbst auf diese - man darf es ruhig so nennen - Provokation noch einmal reagieren wird. Lahm war zwar aufgrund der Vorabveröffentlichung der Sport Bild nicht alleiniger Herr des Verfahrens, aber er hatte am Dienstagabend als Erster die Chuzpe für klare Verhältnisse zu sorgen und ging auch am Mittwoch bei seiner Erklärung nicht auf die Statements von Rummenigge und Hoeneß ein.
Lahm ist nicht Grills Marionette
Diese Courage passt nicht zu dem Bild, das viele Fans und Beobachter von Lahm haben. Sein schmächtiger Körperbau, seine seit 15 Jahren unveränderte Frisur, sein Privatleben ohne Glamour haben aus ihm nie einen Star der Kategorie Mesut Özil oder Marco Reus gemacht - obwohl Lahm unbestritten zu den besten deutschen Fußballern der Geschichte zählt.
Lahm gilt als Langweiler, als braver Klassensprechertyp ohne Ecken und Kanten. Er wurde belächelt und gilt bei vielen als ferngesteuert von seinem Berater Roman Grill. Die Formulierung der Pressemitteilung Rummenigges legt den Schluss nahe, dass auch im Klub einige dieser Meinung nachhängen. Wer Lahm kennt, weiß, dass dies nicht der Fall ist. Grill ist ein wichtiger Bezugspunkt für Lahm, aber Lahm ist nicht Grills Marionette.
Der Bayern-Kapitän hat sich seine ganze Laufbahn über nicht von diesem Image lösen können. Er hat es aber auch gar nicht versucht, weil es ihm egal war. Er hat seine Rolle im Fußball anders definiert, als das im Unterhaltungsbetrieb mittlerweile normal ist und eine Bilderbuchlaufbahn bei seinem Klub hingelegt.
Heft des Handelns fest in der Hand
An den Gabelungen seiner Karriere hat Lahm dabei selbst immer klare Entscheidungen getroffen und damit goldrichtig gelegen. Das war 2006 so, als ihm Grill einen Wechsel zum FC Barcelona nahegelegt hatte, Lahm aber bleiben und beim FC Bayern etwas aufbauen wollte. Das war 2009 so, als er das wegweisende Interview mit der Süddeutschen Zeitung führte und die fehlende Strategie der Vereinsführung kritisierte.
Das war 2010 so, als er in Abwesenheit von Michael Ballack forsch das Kapitänsamt an sich riss und dafür auch viel Kritik einstecken musste. Das war 2014 so, als er auf dem Höhepunkt aus der Nationalmannschaft zurücktrat. Und das ist auch jetzt so, wenn er sich zum Ende der Saison in den fußballerischen Ruhestand zurückzieht.
Lahm geht als Spieler, dem alle noch ein oder mehrere Jahre auf höchstem Niveau zugetraut hätten, Mitspieler und Experten trauern ihm nach. Er hat das Heft des Handelns fest in der Hand und auch klare Vorstellungen von der Karriere nach der Karriere. Seit Jahren eignet sich der 33-Jährige unternehmerisches Wissen an, hält Beteiligungen an mehreren Firmen und unterhält eine Stiftung.
Das Gespür für den richtigen Moment
Für ihn stand auch schon länger fest, dass er nicht direkt aus der Kabine ins Büro wechseln wird. Er wollte nach den vielen Jahren als ständig reisender Profi mehr Zeit für die Familie haben und nicht gleich einen 24/7-Job in der sportlichen Führung ausüben.
Dass er sich trotz des Angebots im Januar 2018 einzusteigen, nicht mit den Bossen einigen konnte, deutet darauf hin, dass Lahm auch hier klare Kante gezeigt hat. Er hat sich nicht von den Großkopferten vereinnahmen und sich nichts diktieren lassen.
Und wer weiß, vielleicht hat er eben wieder jenes Gespür für die richtigen Momente unter Beweis gestellt. Rummenigges Vertrag endet im Juni 2019, Hoeneß Amtszeit ein paar Monate später.
Philipp Lahm im Steckbrief