"Wie kann er nur zu Paris wechseln?"

Benjamin Stambouli spielt seit dem Sommer 2016 für den FC Schalke 04
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SPOX: Die vielen Titel haben ihm aber nichts genutzt, denn der lange ersehnte Champions-League-Sieg war nicht dabei.

Stambouli: Diese Besessenheit, die Champions League gewinnen zu wollen, ist ein kleiner Makel bei PSG. Sie entwertet die heimischen Titel, denn diese werden längst als völlig selbstverständlich angesehen. Das ist in Deutschland vielleicht vergleichbar mit den Bayern. Es ist richtig, sich große Ziele zu setzen. Doch dieses Ziel haben auch Barcelona, Real Madrid, Bayern München oder Manchester City. Paris ist nicht die beste Mannschaft der Welt, es gibt keinen Automatismus, den Wettbewerb zu gewinnen. Wenn sie ihr Team über ein paar Jahre zusammenhalten können, passiert es vielleicht eines Tages. Aber es ist alles andere als sicher.

SPOX: Sie haben in Ihrem Jahr in Paris vier Titel gewonnen, für eine Berufung in die Equipe Tricolore hat es aber nicht gereicht. Hat Sie das verärgert?

Stambouli: Nein, ich war keineswegs enttäuscht. Es wäre fantastisch, ein Traum, würde ich eine Einladung erhalten. Das ist aber kein Ziel gewesen, das ich von mir selbst aus unbedingt erreichen muss. Es hängt letztlich von sehr vielen Faktoren ab. Der eine Nationaltrainer legt bei seiner Kaderzusammenstellung auf bestimmte Charaktere wert, der andere hat eine gewisse Vorstellung von einer Nummer sechs. Ich habe mich damals für Paris entschieden, um zu lernen und weiter zu reifen. Hätte ich einen Klub gewählt, bei dem ich sicher Stammspieler geworden wäre, wäre es leichter gewesen, sich für die Nationalelf anzubieten. Ich versuche auch weiterhin mein Bestes, wenn es aber nicht klappen sollte, dann ist das eben so.

SPOX: Nach Blanc kam im vergangenen Sommer Unai Emery. Der neue Trainer nahm Grzegorz Krychowiak aus Sevilla mit nach Paris, ein direkter Konkurrent von Ihnen. Weshalb haben Sie den Klub Richtung Schalke verlassen?

Stambouli: Wäre Blanc geblieben, würde ich heute wahrscheinlich nicht für Schalke spielen. Ich wollte zunächst die Vorbereitung absolvieren und gegen Ende schauen, wo ich stehe und das Gespräch mit Emery suchen. Er hat mir dann gesagt, dass die Konkurrenz für mich groß sein wird und ich nicht zu seiner ersten Wahl gehöre. Er hat mir aber die Tür offen gelassen, ich durfte frei entscheiden. Dann hat Schalke angerufen.

SPOX: Wie bewerten Sie denn die Ligue 1? Durch die Pariser Dominanz ist die Liga in den letzten Jahren doch wieder sehr eintönig geworden.

Stambouli: Blendet man die aktuelle Saison aus, ist die Ligue 1 nicht mehr so attraktiv wie früher. Gerade in der Breite. Niemand kann mit Paris mithalten. In Frankreich wird grundsätzlich sehr taktisch gespielt. Das ist für die Zuschauer nicht immer ein Augenschmaus. Es gibt weniger Spektakel als in England oder Deutschland, dort herrscht ja mittlerweile das blitzschnelle Umschaltspiel, eine echte Konter-Kultur. In Frankreich dagegen ist man auf sicheren Ballbesitz bedacht.

SPOX: Mittlerweile sind Sie über ein halbes Jahr in Deutschland, die erste Kennenlernphase ist vorüber. Was haben Sie bislang als typisch deutsch wahrgenommen?

Stambouli: Vor allem das Thema Pünktlichkeit. Wenn man in Frankreich sagt, man trifft sich um 10 Uhr, dann ist es völlig in Ordnung, wenn man erst um 10.10 Uhr kommt. Hier wirst du wie ein Außerirdischer angeschaut. Oder: Ist das Mittagessen für 12 Uhr und die Abfahrt des Busses für 12.15 Uhr angesetzt, würde niemand sagen, es wäre zu wenig Zeit zum Essen. Dann wird halt notfalls schneller gegessen. Ich finde auch, dass das Fußballerlebnis am stärksten in Deutschland ausgeprägt ist.

SPOX: Wie meinen Sie das?

Stambouli: In England liebt man den Fußball genauso und es gehen auch echte Fans ins Stadion. Es geht dort lebhaft zu, aber es gibt keine Ultras. In Deutschland wird fast 90 Minuten lang gesungen oder die Leute springen auf und ab. Auf Schalke habe ich während der Partien das Gefühl, man stünde kurz vor einer Explosion. Schießen wir ein Tor oder gewinnen das Spiel, explodiert das Stadion. Was sich aber wirklich bei mir eingebrannt hat, war das Spiel in der Europa League in Salzburg.

SPOX: Weshalb?

Stambouli: Wir waren ja bereits für die nächste Runde qualifiziert - und dann läufst du ins Stadion ein und siehst 10.000 mitgereiste Fans. Ich fragte mich wirklich: Das kann doch nicht wahr sein, warum sind die denn alle gekommen? Ich war vollkommen baff, mir sind beinahe Freudentränen gekommen. Das ist absolut beeindruckend und gibt es in dieser Ausprägung in keinem anderen Land.

SPOX: Auf Schalke wird je nach sportlicher Gemengelage häufig emotionale Achterbahn gefahren. Wussten Sie davon vor Ihrem Wechsel?

Stambouli: Nein. Man lernt hier aber schnell, welch große Rolle die Emotionen in beide Richtungen spielen: Stimmen die Ergebnisse, herrscht riesige Euphorie. Verlieren wir mehrmals, sind alle unglaublich enttäuscht. Leider haben wir das in dieser Saison durch unseren schlechten Saisonstart ja auch schon ein wenig zu spüren bekommen. Dass es so ist, stört mich aber nicht, ich mag Emotionen, sie machen einen Verein lebendig.

SPOX: Schalkes Saisonstart in der Bundesliga war katastrophal. Nachdem auch das fünfte Spiel in Folge verloren wurde, sind Sie aus der Mannschaft geflogen und kamen in der Hinrunde nur noch als Einwechselspieler zum Einsatz. Woran lag's?

Stambouli: Ich hatte am 4. August mein letztes Spiel für Paris gemacht. Ende des Monats kam ich zu Schalke, anschließend war gleich Länderspielpause. Danach habe ich gegen die Bayern mein Debüt gegeben, zuvor aber über einen Monat kein Spiel absolviert. Drei Tage später spielte ich gegen Nizza und drei Tage danach in Berlin. Ich hatte keinen Rhythmus und habe mich etwas müde gefühlt. Gegen Hertha hatte ich einen Ballverlust, aus dem ein Gegentor entstanden ist. Das hat mich sehr getroffen, denn ich wollte hier unbedingt einen guten Start hinlegen. Wir haben es aber alle zusammen vermasselt. Irgendwann musste der Trainer etwas ändern.

SPOX: Das hat er getan. Wie haben Sie Ihre Verbannung auf die Bank aufgenommen?

Stambouli: Ich bin 26 Jahre alt und weiß, wie es im Fußball läuft. Das war ein vollkommen üblicher Vorgang. Wäre ich Trainer, hätte ich es genauso gemacht. Man darf nicht vergessen, dass sich viele Dinge auf Schalke verändert haben: Neuer Trainer, neuer Manager, neue Spieler, neue Abläufe. Daher ist es normal, dass nicht alles gleich auf Anhieb funktioniert - individuell gesehen, aber auch als Ganzes.

SPOX: Im Winter gab es Gerüchte um einen Wechsel. Haben Sie das in Erwägung gezogen?

Stambouli: Nicht im Geringsten. Ich bin bei Tottenham und Paris nach jeweils einer Saison gewechselt, da gehe ich doch nicht nach einem halben Jahr von Schalke weg. Ich kenne mich und weiß, dass ich etwas Zeit benötige, um richtig anzukommen. Ich will mich hier beweisen und dauerhaft zeigen, dass es richtig war, mich verpflichtet zu haben.

SPOX: Markus Weinzierl und Christian Heidel hatten zwischenzeitlich öffentlich geäußert, dass sie dachten, Sie könnten der Mannschaft schon früher helfen.

Stambouli: Der Trainer hat mich damit gereizt, das hat mich aber noch mehr motiviert. Ich wollte ihm eine Antwort auf dem Platz geben. Das hat zuletzt ganz gut funktioniert. Wahrscheinlich war das auch sein Plan. (lacht) Ich bin einfach drangeblieben und habe durch den Bankplatz eine neue Entschlossenheit in mir geweckt. Im Winterurlaub habe ich ein paar Zusatzschichten eingelegt, mein Kopf ist im Vergleich zu den ersten Wochen auch etwas freier. Mittlerweile haben wir uns als gesamtes Konstrukt aneinander gewöhnt.

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