"Pulisic ist ein gigantisches Zugpferd für uns"

Jochen Tittmar
06. April 201711:08
Carsten Cramer ist beim BVB unter anderem für die Bereiche Marketing und Internationalisierung verantwortlichgetty
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Carsten Cramer ist bei Borussia Dortmund unter anderem für die Bereiche Marketing und Internationalisierung verantwortlich. Im Interview spricht Cramer über die aktuelle Strategie des BVB in diesen Geschäftsfeldern. Dabei verrät Cramer, dass die Borussia demnächst eine Repräsentanz in Shanghai eröffnen wird und erklärt, welche Rolle der US-amerikanische Markt ab 2018 für den BVB spielen soll.

SPOX: Herr Cramer, warum bestritt Borussia Dortmund sein Wintertrainingslager 2017 im spanischen Marbella und nicht erneut in Dubai wie noch im Vorjahr?

Carsten Cramer: Das lag unter anderem daran, dass der Hamburger SV mit seinem Hauptsponsor Emirates eine Einladung aus Dubai bekommen und daher sozusagen ein Erstzugriffsrecht hatte - das er im Gegensatz zum Vorjahr auch wahrgenommen hat. Dubai war im Januar 2016 für die Sportler ein sehr gutes Trainingslager. Da dort aber Kosten und Aufwand auch enorm hoch gewesen sind, haben wir ständig die Augen nach Alternativen offen gehalten.

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SPOX: Ihr Arbeitsbereich oder Sie persönlich treffen dabei die finale Entscheidung aber nicht?

Cramer: Nein. Wir haben intern die klare Absprache, in der kurzen Winterpause ausschließlich den Sport in der Vordergrund aller Überlegungen zu stellen. Es ist unser gemeinsames Interesse, die bestmöglichen Rahmenbedingungen für uns zu finden. Da wir in Marbella tolle Bedingungen angetroffen haben, ist die Entscheidung dieses Mal auf dieses Quartier gefallen.

Carsten Cramer mit SPOX-Redakteur Jochen Tittmarspox

SPOX: Im Sommer 2016 reiste der BVB neun Tage nach China, was nach dem Trip nach Japan, Malaysia und Singapur ein Jahr zuvor bereits der zweite dieser Art war. Thomas Tuchel sprach damals von einer "Reise ins Ungewisse". Welche Gewissheit und Erfahrungswerte haben Sie denn nun mit dem Abstand von einem guten halben Jahr bekommen?

Cramer: Ich bin mehr denn je der Meinung, dass es in einer angemessen langen Sommerpause zu einem Verein wie Borussia Dortmund gehört, solche Reisen zu einem festen Bestandteil der Vorbereitung werden zu lassen. Es ist unsere Aufgabe, dafür das richtige Zeitfenster zu finden und maßvoll mit den Verpflichtungen wie Aufenthaltsdauer und Anzahl an Spielen umzugehen. Bringt man das frühzeitig mit der sportlichen Leitung in Einklang, ist es kein Problem. Die Erfahrungen der vergangenen beiden Reisen haben uns extrem geholfen, so dass wir nun schon deutlich frühzeitiger an die Planung der Reise für den Sommer 2017 gegangen sind. Wir sind inzwischen auch deutlich etablierter in den Märkten und kennen unsere Partner viel besser - und umgekehrt. Wir haben mit der sportlichen Leitung diesbezüglich auch schon ein Einvernehmen über das konkrete Zeitfenster gefunden und die Reise terminiert.

SPOX: Es geht wieder nach China, am 18. Juli wird der BVB dort erneut im Rahmen des International Champions Cup in Guangzhou auf den AC Milan treffen. Welche Partien wird es Stand jetzt sonst noch geben?

Cramer: Drei Tage zuvor werden wir in Tokio ein Spiel gegen einen J-League-Verein bestreiten, das ein offizielles Freundschaftsspiel der japanischen Liga sein wird.

SPOX: Dass es erneut eine Reise nach Asien sein wird, war nie Gegenstand von Diskussionen?

Cramer: Nein. Wir haben schon im vergangenen Sommer in China die klare Aussage getroffen, wieder nach Asien zu gehen. Es wäre unserer Ansicht nach wenig sinnvoll, von Kontinent zu Kontinent zu springen. Wir wollen das jetzt drei Jahre in Folge durchziehen und haben sehr positive Erfahrungen gesammelt.

SPOX: Weil dann auch die Erlöse größer sind?

Cramer: Angefangen mit der Büroeröffnung in Singapur hat alles, was wir machen, nicht das Ziel, sofort schwarze Zahlen zu schreiben. Indem unsere Aktivitäten bislang immer rentabel gewesen sind, merkt man aber, dass es sich auszahlt, langfristig zu denken. Die Effekte sind dann einfach größer. Wir haben im asiatischen Raum mittlerweile 15 regionale Sponsoring-Partnerschaften abgeschlossen.

SPOX: Im Sommer 2015 spielte Dortmund in Tokio gegen Kawasaki Frontale in einem Stadion für 22.000 Zuschauer. Würde das heute noch ausreichen?

Cramer: Es hat jedenfalls niemand irgendwelche Bedenken, unsere nächsten Begegnungen in Stadien mit deutlich höheren Kapazitäten austragen zu lassen. Das liegt einfach daran, dass wir in Ländern wie China und Japan Schritt für Schritt stärker wahrgenommen werden. Unsere digitale Reichweite hat zugenommen und die Merchandising-Umsätze sind gestiegen. Die Nachfrage unseres Hauptsponsors Evonik aus den einzelnen Märkten an Aktivitäten des BVB ist größer geworden, wir bilden mit Hilfe der Fußballschule vermehrt Trainer aus. Das baut alles aufeinander auf und führt dann unter anderem zu der Wertschätzung, eine Einladung zum prominent besetzten ICC mit höheren Antrittsgagen bekommen zu haben.

SPOX: Können Sie einmal grob beziffern, welche Erlöse dabei herumkommen?

Cramer: In der Summe aller Aktivitäten sprechen wir da schon von achtstelligen Beträgen.

SPOX: Was wäre passiert, wenn es die Einladung zum ICC nicht gegeben hätte?

Cramer: Das ist zwar Spekulation, aber dann wären wir höchstwahrscheinlich einen anderen Weg gegangen. Letztlich unterstreicht die Einladung aber unseren gewachsenen Stellenwert. Das war ein sehr komfortables Angebot, da wir uns nicht um die Spielorganisation kümmern mussten und zugleich die Chance hatten, gegen die beiden Klubs aus Manchester zu spielen. Dass wir dann United als die starke Marke in China geschlagen haben, war für uns eine sehr gute Fügung.

SPOX: Vor der Reise bezifferten Sie die Chancen auf ein BVB-Büro in China bei 50 Prozent. Und nun?

Cramer: Nun bewegen wir uns in einem Bereich nahe 100 Prozent. Wir werden in Shanghai in den kommenden Monaten eine Repräsentanz eröffnen. Unser Partner Lagardere Sports ist dort bereits im Vertriebsbereich tätig. Auch das Thema der digitalen Medien ist in China sehr viel komplizierter, da man dort nicht auf die weltweit gängigen Social-Media-Kanäle setzt. Solche Bereiche tagtäglich zu koordinieren und zu betreuen, bedarf einer Schnittstelle vor Ort, zumal wir dort nun wie gesagt auch schon zahlreiche Kooperationen aufgebaut haben. SPOXspox

SPOX: Das Büro in Singapur reicht dafür nicht aus?

Cramer: Nein. Man muss den riesengroßen Kontinent Asien differenzierter sehen, das haben wir auch sukzessive getan. Wir haben mit Japan begonnen, dann Südostasien hinzugenommen und sind nun in China präsent. Man darf nicht vergessen: China ist größer als Europa und in seiner eigenen Struktur so heterogen, dass man dort einfach vor Ort sein und sich mit Einheimischen auseinandersetzen muss. Das lässt sich mit der angestrebten und notwendigen Nachhaltigkeit weder aus Singapur, noch aus Dortmund erreichen.

SPOX: Inwiefern werden solche Internationalisierungsstrategien mit der DFL abgestimmt, die solche Reisen ja auch teils subventioniert?

Cramer: Das ist nicht der Treiber unserer Aktivitäten. Diese Subventionen sind eher für die Vereine wichtig, deren Reisen sonst zu teuer wären und die die Ausgaben beispielsweise in China nicht refinanziert bekämen. Aber auch deren Präsenz ist sehr wichtig, auch wenn am Ende nicht immer der Big Bang für die Bundesliga dabei herausspringt. In England zeigen auch kleinere Vereine wie beispielsweise Stoke oder Everton permanente Präsenz. Weil es darum geht, die Liga als Ganzes zu vertreten.

SPOX: Ursprünglich wollte der BVB nur alle zwei Jahre eine Auslandsreise machen.

Cramer: Anfangs haben wir das auch mal so diskutiert. Wir merkten aber zügig, dass nicht nur die Nachfrage sehr hoch ist, sondern dass wir es auch ganz gut koordiniert bekommen - und dass nicht zuletzt eine gewisse Nachhaltigkeit in Märkten wie China oder Japan auch von der Kontinuität regelmäßiger Besuche vor Ort abhängig ist. Würde man nur alle zwei Jahre reisen und dann noch zwischen den Welten springen, wäre das kontraproduktiv. So ist es am Ende zur Entscheidung gekommen, dass wir diese Reisen doch regelmäßiger bestreiten wollen.

SPOX: Hans-Joachim Watzke kündigte auf der letzten Mitgliederversammlung an, dass es nach den erwähnten drei Jahren im Sommer 2018 in die USA gehen wird.

Cramer: Es spricht derzeit vieles dafür, ja. Ich war als Teil einer etwas größeren BVB-Delegation erst kürzlich vor Ort. Wir haben dort eine Roadmap ausgerollt, erste Vorbereitungen getroffen und Gespräche über die konkrete Planung geführt.

SPOX: Welche Rolle soll der amerikanische Markt künftig spielen?

Cramer: Die USA ist für den BVB und die Bundesliga allgemein ein interessanter Markt, aber für uns ein anderer als Asien. Wir setzen dort keine Blaupause auf, sondern adaptieren unsere Strategie. Wir versuchen, sehr individuelle Wege zu gehen. Das ist uns bereits in den drei Zielmärkten in Asien gelungen. FOX besitzt in den USA die Rechte an der Bundesliga, das digitale Interesse nimmt zu. Deshalb wäre es fahrlässig, wenn wir dies nicht nutzen und um die USA sowie den lateinamerikanischen Markt einen Bogen machen würden. Ich kann Ihnen aber nicht sagen, mit welcher Erfolgswahrscheinlichkeit das verbunden sein wird.

SPOX: Welche Gedankenspiele stellt man derzeit hinsichtlich der USA konkret an?

Cramer: Es geht um das Wie. Wie treten wir dort auf, wie fassen wir dort Fuß? Wir werden sicherlich nicht wie Real Madrid in der Lage sein, ein Stadion für 90.000 Zuschauer sofort voll zu bekommen. Wir versuchen gerade, Kooperationen im Stile von "grassroots Initiativen" mit verschiedenen Vereinen aufzubauen. Wir stellen uns auch die Frage, ob es nicht auch Sinn ergibt, nicht nur in den Osten, sondern auch in den Westen der USA zu gehen.

SPOX: Weshalb?

Cramer: Dort besteht vor allem durch den hispanischen Anteil eine höhere Fußballaffinität als an der Ostküste. Auch die massiv zunehmende digitale Reichweite und Merchandising-Umsätze spielen eine Rolle. Mit Evonik und Puma haben wir zwei Partner, die ebenfalls Interesse an diesem Markt haben. Wir strecken verschiedene Fühler aus. Mit dem Ziel, dort ein Fundament zu setzen.

SPOX: Welchen Einfluss hat die Tatsache, dass mit Christian Pulisic ein in den USA viel beachteter Spieler in Dortmund unter Vertrag steht?

Cramer: Christian Pulisic hat für amerikanische Verhältnisse das Potential, zu einem globalen Superstar zu werden. In den USA hat es bislang keinen vergleichbaren Spieler gegeben. Er ist dahingehend ein gigantisches Zugpferd für uns, vergleichbar mit der Relevanz von Shinji Kagawa für Japan. Der Unterschied: Japan hat eine größere Fußballhistorie, in den USA ist der Markt wiederum deutlich größer.

SPOX: In einem unserer früheren Interviews sprachen Sie davon, sich beim Thema Internationalisierung mit Klubs aus der Premier League auszutauschen, da diese auf diesem Gebiet größere Erfahrungswerte besitzen. Wie kann man sich das genau vorstellen?

Cramer: Zunächst einmal haben wir unseren eigenen Weg definiert und verfolgen ihn auch konsequent. Dennoch beobachten wir logischerweise, wie andere Vereine auftreten und ziehen Schlüsse für unsere Herangehensweise daraus. Wir wollen bei solchen Reisen beispielsweise nicht am VIP-Terminal des Flughafens ankommen und schnellstmöglich an den auf uns wartenden Menschen vorbei zum Bus kommen. Das ist nicht unser Ding, das wären nicht wir. Wir suchen lieber gezielt die Nähe zu den Menschen. Insgesamt gesehen ist durchaus ein Unterschied in der Herangehensweise zwischen den Fußball-Unternehmen aus UK und Fußballvereinen wie unserem festzustellen. Dennoch tauscht man sich aus und stimmt sich ab. Wieso nicht mal bei Manchester United nachfragen, wie sie das die vergangenen 30 Jahre gemacht haben? Nicht mit dem Ziel, ihr Vorgehen zu kopieren, sondern um einfach Input zu bekommen.

SPOX: Was beeindruckte Sie von diesem Input bislang am meisten?

Cramer: Die Intensität und Schärfe, mit der die Märkte bearbeitet werden. Man ist dort sehr engagiert. Da wird in Hongkong eine neue Einheit mit 25 Leuten aufgebaut, die dann auch nur diese eine Aufgabe hat, diesen Markt oder diese Region zu bearbeiten. Das heißt aber nicht, dass wir das genauso machen müssen.

SPOX: In Europa nannten Sie Österreich, die Schweiz, England, Polen und die Türkei als Heimatmärkte für den BVB. Welche Entwicklungen sind dort zu verzeichnen? Bundesliga Spielplaner - Der Tabellenrechner von SPOX.com

Cramer: Dort sind wir in erster Linie medial extrem präsent. Allein durch die Nähe zum Spiel werden diese Märkte bearbeitet. Die Anzahl der ausländischen Fans gerade aus England und Polen, die unsere Spiele besuchen, nimmt weiterhin zu. Hinzu kommt Frankreich, wo unser Stellenwert durch unsere französischen oder frankophonen Spieler ebenfalls stark zunehmend ist. Nicht nur, aber natürlich vor allem auch in Europa profitieren wir davon, dass wir in der Champions League zu den besten Acht gehören.

SPOX: Inwiefern machen denn beispielsweise politische Entwicklungen wie in der Türkei Sorge?

Cramer: Der Fußball sollte versuchen, unpolitisch zu sein. Am Ende ist er für die Menschen gedacht, die nicht unbedingt immer die Politik abbilden. Mit diesem Argument haben wir auch gesagt, dass es sicherlich kritikwürdige Dinge in einigen Ländern gibt. Die Menschen, die Lust auf Fußball haben, jedoch für ihr politisches Regime zu bestrafen, wäre kontraproduktiv.

SPOX: Hört man Internationalisierung, denkt man in Deutschland vor allem an zwei Vereine: Bayern und Dortmund. Ist Ihnen das ein Dorn im Auge oder gerade Recht so?

Cramer: Wie ich gerade schon sagte: Wir Klubs müssen die Internationalisierung als Liga-Thema begreifen. In manchen Märkten sind wir mit mehreren Vereinen als Liga gemeinsam stärker. Da kann es nicht nur um Bayern und Dortmund gehen, auch wenn die internationale Wertschätzung, die beide Klubs genießen, nicht nur ihnen selbst, sondern auch der Bundesliga und damit den übrigen 16 Klubs enorm hilft. Wir sind dahingehend keine Konkurrenten, sondern beste Repräsentanten der Liga. Es wäre nicht clever, sondern im Gegenteil sogar fahrlässig und unprofessionell, würden die Bayern und Borussia Dortmund an bestimmten Stellen nicht zusammenarbeiten.

SPOX: Watzke relativierte auf der Mitgliederversammlung sein Zitat vom "Spagat zwischen Shanghai und Borsigplatz". Dieses Bild beschreibt den aktuellen Zustand und die Herausforderungen doch aber ganz gut.

Cramer: Das mag sein, und ich finde auch, dass dieses Zitat vor allem ein guter interner Arbeitstitel ist. Die Öffentlichkeit macht daran möglicherweise aber zu viel fest und verbindet es mit zu viel Symbolik. Ich kann mich da nur wiederholen: Das Thema Internationalisierung ist nicht die eierlegende Wollmichsau, sondern ein begleitender Vorgang. Man muss es immer im Verhältnis zueinander sehen. Ich sprach vorhin von achtstelligen Umsätzen, insgesamt aber steht der BVB beim Gesamtumsatz an der Schwelle zu 400 Millionen Euro. Wir wissen, wo Brot und Butter geschmiert und gegessen werden. Ich finde es deshalb ein bisschen unfair, wenn man uns unterstellt, wir würden ein Freundschaftsspiel in Erkenschwick bestreiten und hätten damit dann in einer Excel-Tabelle den Punkt 'Heimat' abgehakt. Ganz klar und ohne dass es beim BVB in diesem Punkt auch nur ansatzweise zwei Meinungen gibt: Wir werden die Heimat niemals opfern.

SPOX: Apropos Heimat: Beim FC Schalke 04 wurde eine eSport-Abteilung gegründet. Watzke hat diesem Thema für den BVB schon eine klare Absage erteilt. Ein eSport-Revierderby wird es also nicht geben?

Cramer: Nein. Um das mit der Markenwelt zu erklären: Eine Marke muss bei ihrem Kern bleiben. Es wird häufig die Frage gestellt, wie viel Dehnung eine Marke verträgt. eSport hat jedoch eine derart große Bandbreite, die am Ende mit dem eigentlichen Fußball nur noch wenig zu tun hat. Nicht fußballrelevante Computerspiele in irgendwelchen Ligen mit Männchen im BVB-Trikot auszutragen, halten wir für zu viel des Guten. Daher ist das nicht unsere Welt. Trotzdem sind wir dem digitalen Fußball wie beispielsweise Pro Evolution Soccer von unserem globalen Partner Konami natürlich alles andere als abgeneigt.