Hans Meyer war fast 40 Jahre lang als Trainer tätig, mittlerweile ist der 74-Jährige Präsidiumsmitglied im Vorstand von Borussia Mönchengladbach. Im Interview spricht Meyer unter anderem über das Dasein als Rentner, seinen beliebten Sarkasmus und kommerzkritische Fußballfans.
SPOX: Herr Meyer, zwischen 2005 und 2008 trainierten Sie den 1. FC Nürnberg, wurden dort 2007 DFB-Pokalsieger und wohnen noch immer in der Stadt. Wieso sind Sie dort mittlerweile sesshaft geworden?
Hans Meyer: In Nürnberg wurde meine Trainerlaufbahn 2008 schneller beendet als von mir geplant. Das Rentenalter hatte ich mittlerweile und auch Zeit und Muße, mich an eine äußerst angenehme Stadt zu gewöhnen. Da ich gerade eine komplizierte private Phase mit der Trennung von meiner Frau hinter mir hatte, bot sich ein neuer Lebensmittelpunkt logisch an. Sowohl meine überraschende Kurzzeit-Trainertätigkeit, als auch meine folgende Mitgliedschaft im Präsidium der Borussia in Mönchengladbach waren und sind von Franken aus problemlos zu realisieren.
SPOX: Bei den Fohlen blieben Sie damals nur für die Saison 2008/2009 und schafften den Klassenerhalt. Seit 2011 sind Sie dort Präsidiumsmitglied. Wie kam's?
spoxMeyer: Es war ja keine ganze Saison, die zum Glück gut endete. Als nach zwei weiteren Jahren die Borussia in Person von Geschäftsführer Stefan Schippers und Manager Max Eberl in Nürnberg auftauchte und mir die Mitgliedschaft im Präsidium anbot, hat mir das grundsätzlich gefallen. Trotz meiner anfänglichen Skepsis, weil ich nicht wusste, was da an Aufgaben und Arbeiten anfällt, habe ich im Nachhinein alles richtig gemacht.
SPOX: Wie gefällt Ihnen diese Aufgabe?
Meyer: Für einen Fußballtrainer kann es nicht viel Schöneres geben, als das, was man sein Leben lang als Verantwortlicher getan hat, nun aus einer Beobachterrolle heraus zu tun. Ich genieße weiterhin die Privilegien des Profifußballs ohne Verantwortung für das Tagesgeschäft. Das ist als 74-Jähriger sehr angenehm und gut für einen geruhsamen, zufriedenen Lebensabend mit Aktivität.
SPOX: Nach Ihrer ersten Amtszeit von September 1999 bis März 2003 sind Sie kurz darauf zum Ehrenmitglied der Borussia ernannt worden.
Meyer: Das betrachte ich schon als große Ehre. Obwohl ich der Meinung bin, dass bei der Wahl durch die Vollversammlung mehr Gefühl als tiefgründige Recherche die Basis gebildet haben.
SPOX: Warum das?
Meyer: Das, was Hans Meyer für Borussia Mönchengladbach geleistet hat, ist natürlich nicht vergleichbar mit dem Wirken vieler anderer. Es gibt Menschen, die größere Verdienste haben als ich und vor allem sehr viel länger ihre Vereinstreue beweisen konnten.
SPOX: Wie regelmäßig sind Sie denn kraft Ihrer Funktion in Mönchengladbach vor Ort?
Meyer: Vier- bis sechs Mal im Monat, in erster Linie bei Heimspielen und Präsidiumssitzungen. Zusammen mit Rainer Bonhof sind wir bei fußballtechnischen Fragen gefordert, was bei unserer sportlichen Vergangenheit eher logisch ist. Wenn es um baurechtliche und betriebswirtschaftliche Dinge geht, wie kürzlich bei den Neubauten rund um den Borussia-Park, bin ich zwar dabei, aber eher als Zuhörender und Lernender.
SPOX: Man verbindet Sie nicht nur mit dem FCN oder Gladbach, sondern auch mit Carl Zeiss Jena oder dem Chemnitzer FC. Weshalb aber scheint die Verbundenheit mit dem VfL größer zu sein?
Meyer: Sie ist vielleicht nicht größer, aber deutlich aktueller. Das rührt vor allem von meinem ersten Engagement her. Dazu muss ich allerdings etwas ausholen.
SPOX: Tun Sie es. spox
Meyer: Als ich damals nach Gladbach kam, steckte der Klub in einer sehr vertrackten Situation: Tabellenletzter in der 2. Liga, vier Niederlagen in Folge, ein katastrophales Torverhältnis und mein Einstand gegen Aachen vor heimischem Publikum ging auch noch verloren. Zuvor hatte man das Tafelsilber des Kaders verkaufen müssen. Ich kann mich noch erinnern, wie Manager Christian Hochstätter und ich regelmäßig mit unseren drei Listen zum Präsidium gegangen sind. Auf der ersten standen Namen wie Messi, der damals zwölf Jahre alt gewesen sein müsste.
SPOX: Die haben Sie ja gleich mal in die Tonne kloppen können, oder?
Meyer: Stimmt. Auf der zweiten standen ebenfalls Spieler, die für uns damals nicht erreichbar waren. Auch die dritte war schwer realisierbar, weil damals fast niemand mit Klasse nach Gladbach wollte. Die Mannschaft war charakterlich einwandfrei, nur waren wir damals qualitativ schon limitiert. Wir haben ein gutes Jahr gebraucht, um die Sache mit unseren mageren Mitteln zu stabilisieren und gemeinsam zueinander zu finden. Ich habe zudem schnell einen guten Draht zu Präsidium und Umfeld gefunden. Letztlich sind wir als Zweiter aufgestiegen und haben gefeiert, als seien wir Meister geworden. Anschließend hielten wir zwei Mal die Klasse und haben uns einvernehmlich getrennt. Das hat sowohl beim Verein als auch bei den Fans und mir ausgereicht, um uns auch in Zukunft mit Achtung und Anerkennung zu begegnen. Und das dauert bis heute an.
SPOX: Nach ihrer Rettungsaktion 08/09 haben Sie Ihr Amt aus eigenem Wunsch niedergelegt, obwohl Sie noch einen gültigen Vertrag besaßen.
Meyer: Es hatte sich für mich mit dem Klassenerhalt endgültig erledigt. Ich wollte helfen und es ist mir zum Glück knapp gelungen. Das war's dann eben.
SPOX: Wie sieht mittlerweile Ihr Alltag aus?
Meyer: Ich bin Rentner. Ich habe zwei, drei Zeitungskolumnen laufen und sitze regelmäßig eine Stunde pro Tag am Computer. Dann habe ich einen Schachpartner, mit dem ich mich zwei Mal wöchentlich duelliere. Zwischen vier und sechs Mal in der Woche gehe ich zudem meine 1000 Meter schwimmen. Ansonsten treffe ich mich mit Freunden und halte ein Schwätzchen oder gehe zum Zeitung lesen in ein nettes Cafe. Nicht zu vergessen meine drei Kinder und acht Enkelkinder, mit denen ich, wenn möglich, besonders gerne unterwegs bin. Durch die unterschiedlichen Wohnorte eigentlich zu wenig.
SPOX: Sie haben vor bald zehn Jahren mit dem Club den größten Erfolg der jüngeren Vereinsgeschichte gefeiert. In Nürnberg wohnen Sie mitten in der Innenstadt. Werden Sie häufig erkannt?
Meyer: Die Fußballinteressierten sind zum Teil so vernünftig, dass sie sich zurückhalten. Von den vielleicht sechs bis acht Menschen, die mich pro Tag erkennen, bekomme ich meist positive Reaktionen. Das ist angenehm und stört mich auch nicht. Und derjenige, der denkt, der blöde Meyer ist ja immer noch hier, sagt mir das glücklicherweise nicht ins Gesicht. Das tut man mittlerweile ja eher über das Internet.
SPOX: 2011 haben Sie zusammen mit Ihrer Partnerin eine Weltreise unternommen. War das etwas, das Sie schon immer mal machen wollten?
Meyer: Ja. Meine Sommerurlaube all die Jahre zuvor dauerten nie länger als 14 Tage - und dann wurde man noch täglich drei Mal vom Manager wegen anstehender Transfers angerufen. Ich bin dank des Fußballs viel in der Welt herumgekommen. Doch als wir damals mit Carl Zeiss Jena beim AS Rom spielten, saß ich als Absolvent eines Geschichtsstudiums zwei Stunden bei einer Stadtrundfahrt in einem Bus und das war's. Das war mir natürlich zu wenig.
SPOX: Wie sah Ihre Reiseroute aus?
Meyer: Auf einen detaillierten Reisebericht sollten wir hier verzichten. Mit Südamerika, Australien, der Antarktis und Afrika gab es auf der fantastisch organisierten Tour unglaublich viel Interessantes zu verarbeiten.
SPOX: Gibt es die eine große Erkenntnis, mit der Sie von der Reise zurückgekehrt sind?
Meyer: Im Alter um die 70 halten sich die großen Erkenntnisse sicher in Grenzen. Dank meiner Partnerin waren wir auf alle Etappen sehr gut vorbereitet, auch literarisch. Wenn man zumindest zu einem Drittel die Weltreisen von Charles Darwin nachverfolgen kann oder in der Antarktis die Biographien von Scott und Amundsen liest, dann ist das unglaublich erhaben und ein schöner Nebeneffekt. Um zu erfahren, dass es Menschen in der Welt gibt, die auf der Sonnenseite und welche - übrigens deutlich mehr -, die zum Teil im sehr dunklen Schatten leben, hätte ich nicht aufbrechen müssen.
SPOX: Ein Jahr später sind Sie 70 Jahre alt geworden. Welche Bedeutung hatte diese Zahl für Sie?
Meyer: Ich hatte mit dem Älterwerden nie ein Problem, bin aber schon Realist. Jetzt bin ich 74. Natürlich zwickt auch mal etwas und rechts wie links sterben Weggefährten oder Gleichaltrige weg. Darüber macht man sich erst in diesem Alter Gedanken. Es geht nun in eine Richtung, in der man den Wettlauf gegen Gevatter Tod bekanntermaßen nicht gewinnen kann. Natürlich denkt man nicht ständig daran, aber es wird häufiger.
SPOX: Wenn man Ihnen an Ihrem 50. Geburtstag prognostiziert hätte, was Sie 24 Jahre später einmal machen werden, wie hätten Sie reagiert?
Meyer: Dem Schicksal gedankt und dies vielleicht mit großzügigeren Spenden für Bedürftige untermauert. Ich hatte einfach Glück bei der Berufswahl. Natürlich habe ich auch selbst dazu beigetragen. Aber das, was ich selbst kann und weiß, kann keiner besser einschätzen als ich. Und das hätte auf keinem Gebiet für Außergewöhnliches gereicht. Ich habe zufälligerweise im Fußball Fuß gefasst. Er hat mir mehr als die normale Lebensbasis geboten und permanent Spaß gemacht. Das ist Hobby und Beruf in einem, zusätzlich hat es exorbitant viel Geld gebracht und ist von der Gesellschaft anerkannt worden. Nicht jeder kann in seinem Leben auf so positive Begleitumstände zurückgreifen.
SPOX: Nämlich diejenigen, die es nicht schaffen, ein Leben zu führen, das Ihnen genügt?
Meyer: Naja, was dem Einzelnen genügt ist natürlich subjektiv. Ein erfülltes Leben hat selbstverständlich auch mit dem eigenen Kopf, dem eigenen Willen und ab einem bestimmten Zeitpunkt auch mit der Lebensplanung zu tun. Was mich stört ist allerdings die Verallgemeinerung, es könne jeder schaffen, solange er sich lediglich mehr anstrenge.
SPOX: Beziehen Sie das nur auf Deutschland oder auf die Allgemeinheit?
Meyer: Nehmen wir das Problem der Arbeitslosigkeit. Natürlich wird der kleinere Teil der Menschen, die unser Sozialsystem missbrauchen, benutzt, um vielen Betroffenen bitter unrecht zu tun. Da gibt es zehn oder 20 Jahre vor dem Rentenalter genügend Schicksale von Menschen, die ihr Leben lang hart gearbeitet haben und auf einmal arbeitslos wurden. Versetzt man sich in die Lage jedes Einzelnen, ist es unzulässig, Pauschalurteile gegenüber Menschen zu fällen, die es in unserer Welt des Glanzes und des wirtschaftlichen Erfolgs nicht geschafft haben - was immer man darunter versteht.
SPOX: Sie standen als Trainer immer für eine sehr nüchterne Betrachtungsweise. Gab es auch mal Momente, bei denen Sie dachten, die Dinge zu wenig emotional zu sehen?
Meyer: Nein. Es mag Menschen geben, die meinen, ich sei deshalb arm dran. Ich persönlich habe es dagegen immer als großen Vorteil angesehen, dass mir mein Kopf nie etwas vorgegaukelt hat. Im Fußball wird man oft enttäuscht, aber ich konnte selten echt enttäuscht werden. Ich habe genügend Dinge erlebt, die für meine Ausprägung der Eitelkeit ausgereicht haben. Wenn mir zum Kotzen oder Heulen zumute war, brauchte ich das niemandem zu demonstrieren. Außenstehende müssen doch nicht wissen, wie es mir geht - engste Angehörige natürlich ausgenommen.
SPOX: Gibt man den Namen Hans Meyer bei Google ein, landet man schnell bei einer Auswahl Ihrer lustigsten Sprüche. Stört es Sie, dass Sie viele Menschen auch damit verbinden?
Meyer: Nein. Allerdings kann ich immer wieder nur betonen, dass viele davon nie so gefallen sind und einige auch aus dem Zusammenhang gerissen wurden. An zahlreiche meiner Sprüche kann ich mich überhaupt nicht erinnern, und es war auch nie etwas vorbereitet. Aber ich kann schon mal darüber lachen, wenn ich mit einem älteren Zitat konfrontiert werde. Zu diesem Thema würde ich ein Beispiel anbringen wollen.
SPOX: Sehr gerne.
Meyer: Ich war erst eine Woche lang Trainer in Nürnberg, da gab es in der ehemaligen Abendzeitung plötzlich eine Rubrik namens "Der Meyer des Tages". Das bedeutete ja dann, dass die Redaktion dafür jeden Tag einen neuen Inhalt benötigte. So viel Scheiß kann ich aber gar nicht erzählt haben. Da musste zwangsweise viel "Abfall" dabei sein.
SPOX: Woher kommen denn Ihr Witz, Ihr Sarkasmus, Ihre Schlagfertigkeit?
Meyer: Das ist doch wieder subjektiv. Ich kenne eine Menge Menschen, die bei mir Witz und Schlagfertigkeit vergeblich suchen. Der Sarkasmus allerdings war für mich schon immer eine Art Selbstschutz vor dem, was auf einen in diesem Geschäft so einprasselt. Ich bin überzeugt: Wenn man Ironie einstreut und auch über sich selbst lachen kann, kommt man besser durch die Welt.
SPOX: Sie wurden 1971 mit 28 Jahren Coach von Carl Zeiss Jena, 45 Jahre später wurde Julian Nagelsmann im selben Alter Trainer in Hoffenheim. Zwischenzeitlich wurden die Bewertungszeiträume gerade für Trainer jedoch deutlich kürzer. Welche Gründe hat das?
Meyer: Das Geschäft mag schnelllebiger sein als noch vor Jahren oder einem nur so vorkommen. Ich bin aber nicht der Meinung, dass sich für die Trainer generell etwas geändert hat. Früher war es nicht viel anders - und so wird es auch in der Zukunft bleiben. Schlagen Sie die Zeitungen vor 25 Jahren auf, vergleichen Sie die Inhalte über Fußball- und Trainerprobleme und Sie werden überrascht sein über die vielen Parallelen zu heute.
SPOX: Das Spannungsfeld, in dem sich Trainer heutzutage befinden und innerhalb dessen sie arbeiten müssen, hat sich aber doch enorm verändert. Finden Sie nicht?
Meyer: Es kommt letztlich darauf an, welche Bedeutung man als Trainer dieser journalistischen Bewertung durch die umfangreichen Printmedien und dem Internet beimisst. Wenn du ohne Internet nicht leben kannst und dich jede Zeile interessiert, die über dich geschrieben wird, dann arbeite nicht als Trainer. Dort sind mittlerweile derart viel Ungerechtigkeit, Schmutz und Fake News dabei, das steckt man ohne starkes Selbstvertrauen und gute Nerven nicht weg.
SPOX: Sie dagegen waren immer jemand, der sich über die mediale Berichterstattung scheinbar hinwegsetzen konnte. Sie schien das nie wirklich tangiert zu haben.
Meyer: Wegen mir hätte es keinen Boulevard gebraucht, das stimmt. Er hat mir nur die Arbeit erschwert. Trotzdem musste ich mich mit ihnen auseinandersetzen. Mir ging es bei diesen Themen grundsätzlich nur darum, informiert zu sein, was über meine Spieler oder deren Äußerungen geschrieben wurde. Denn diese Polemiken gingen und gehen ja auch durch ihre Köpfe.
SPOX: Als Sie 1999 nach drei Jahren bei Twente Enschede zu Mönchengladbach kamen, lagen Sie schnell mit dem Boulevard über Kreuz.
Meyer: Sagt man das so? Wenn man im Fußball arbeitet, muss man generell Pfiffe und Medienkritik aushalten können. Kommst du aber aus Holland, wo fast jede Fußball-Kritik fachlich nachvollziehbar war, und triffst dann auf zwei bis drei Journalisten, die nach drei Wochen mit der Art ihrer Berichterstattung über "ihre Borussia" auch meine Bereitschaft zur Zusammenarbeit weitgehend negativ beeinflusst haben, sind die Weichen zeitig gestellt. Zum Glück hat mich damals unser fantastisches Publikum großartig unterstützt.
SPOX: Heutzutage hat sich in der Medienwelt vieles multipliziert, alles ist schneller und transparenter geworden. Wie viel Verständnis haben Sie für das Zeitalter der gesellschaftlichen Digitalisierung?
Meyer: Da bin ich wieder Realist. Ich kann mich in meinem Metier nicht ausschließen von den Segnungen der modernen Kommunikation, die ja auch bei kritischer Betrachtung genügend Vorteile parat hält. Solange bei der Arbeit das persönliche Gespräch und der entsprechende Umgangston das Entscheidende bleiben, kann es drum herum nicht modern genug zugehen.
SPOX: Viele Fans sehen im Fußball die Tradition gefährdet und stehen dem Kommerz kritisch gegenüber. Was raten Sie denen?
Meyer: Die positiven Traditionen und ihre Pflege sind ein wichtiges Element in der Fußballgeschichte. Die damit versorgten Klubs können stolz darauf und sicher sein, dass ihnen niemand die Erfolgschronik nehmen kann. Aber dass ausgerechnet der Kommerzialisierungsprozess etwas mit den momentanen Schwierigkeiten dieser Vereine im wirtschaftlichen und sportlichen Bereich zu tun haben soll, diesen kausalen Zusammenhang kann ich nicht erkennen. Kommerz an sich kann man natürlich ablehnen. Ist man dabei konsequent, muss man zu einer Amateurmannschaft gehen, deren Spieler studieren oder arbeiten. Aber auch in der Kreisliga A sollten sie sich erkundigen, ob das vom Dorfmetzger gesponserte Schwein für den Aufstieg als geldwerter Vorteil in der Steuererklärung angegeben ist.
SPOX: Welche Lösung schlagen Sie also vor?
Meyer: Entweder das System akzeptieren und weiterhin mit 70.000 Menschen Bayern oder Dortmund im Stadion schauen oder das Fußballinteresse konsequent auf Amateurmannschaften reduzieren.
SPOX: Was ist Ihnen am Geschäft Profifußball am meisten suspekt?
Meyer: Dass wir ein gewachsenes System inklusive der Erfolge und Entwicklungen der letzten Jahre im deutschen und internationalem Fußball auf der einen Seite genießen und ausnutzen und auf der anderen Seite mit halbseidenen Argumenten das Erreichte ständig in Frage stellen. Ein Beispiel gefällig?
SPOX: Logo.
Meyer: Warum muss der Transfer von Gareth Bale zu Real Madrid wochenlang thematisiert werden?
SPOX: Weil die Fußball-Interessierten diese surrealen Summen beschäftigen.
Meyer: Sie beschäftigen sich damit, weil sie permanent von der Presse darauf angesprochen werden. Die Beträge sind doch sowieso fiktiv. Sie haben natürlich keinen Bezug zur Wertigkeit eines Menschen und seiner Leistung. Aber: Real Madrid überweist diese 100 Millionen nach England. Zur selben Zeit erhalten sie fast 60 Millionen für Mesut Özil und 30 Millionen für Gonzalo Higuain. Also reden wir nur noch über zehn Millionen. Bale verdient aber weniger als Özil und Higuain zusammen, von ihm verkauft man jedoch weltweit wegen der Transfersumme extrem viele Trikots - und dann sind wieder einige Millionen kompensiert. Am Ende reden wir also über Summen, die bei den Vermarktungsmöglichkeiten im Leistungsfußball unbedeutend sind. Und genau deshalb kann ich die allgemeine Aufregung darum nicht verstehen. Wenn wir uns darüber aufregen, dann müssten wir wiederum auch hier das gesamte System in Zweifel ziehen. Übrigens dann auch den mittlerweile riesengroßen Aufwand an Medienvertretern.