Mer losse d’r Dom en Kölle!

Jochen Rabe
22. Mai 201712:05
Der 1. FC Köln feiert den Einzug in die Europa Leaguespox
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Der 1. FC Köln ist als Fünfter der Bundesliga-Saison 2016/2017 erstmals nach 25 Jahren in den Europapokal eingezogen. SPOX analysiert die Gründe für die Kölner Erfolgssaison.

1. Die sportliche Führung

Die stetig steigende Erfolgskurve des Effzeh in den letzten Jahren ist eng mit zwei Namen verbunden: Trainer Peter Stöger und Sportdirektor Jörg Schmadtke. Das Duo übernahm die sportliche Verantwortung im Sommer 2013 in der zweiten Liga.

Die Platzierungen seitdem: Erster in der zweiten Liga, anschließend Zwölfter, Neunter und nun Fünfter im Oberhaus. Kein einziges Mal stand der Klub in den letzten drei Saisons auf einem Abstiegs- oder Relegationsplatz.

Die Basis für die funktionierende Zusammenarbeit erklärte Schmadtke im Oktober im SPOX-Interview: "Letztlich haben wir vor allem eine ähnliche Sicht auf die Dinge. Wir versuchen, uns nicht an Fantastereien zu orientieren, sondern an Umsetzbarem. Wir haben auch auf der menschlichen Ebene eine gute Verbindung geschaffen."

Dem Duo gelang es, die ständigen Störgeräusche um den Verein auszublenden und ihn stattdessen auf ein gesundes Fundament des Realismus und der harten Arbeit zu stellen - ohne ihn dabei jedoch der großen Stärke der Lebensfreude zu berauben. "Vielleicht war es auch wichtig", betonte Schmadtke gegenüber SPOX, "dass jemand aus Österreich hier nach Köln kommt, um alles ein bisschen auf Normalmaß herunterzubringen. Einflüsse von außen sind immer gut."

Die Kölner träumen nicht mehr, sie lassen die Kirche im Dorf. Oder um es mit einem Gassenhauer der Bläck Fööss zu sagen: "Mer losse d'r Dom en Kölle!"

Nur auf den eigenen Anteil wollte Stöger den Erfolg gegenüber der Welt jedoch nicht reduziert wissen: "Das liegt ja nicht nur an mir, die Entwicklung fing schon an, bevor Jörg Schmadtke und ich dazugestoßen sind. Da waren zum Beispiel das neue Präsidium und Alexander Wehrle als Finanzgeschäftsführer ganz entscheidend, die viel Stabilität in den Klub gebracht hat. Diese Entwicklung gefällt vielen, die für den Verein Sympathien haben."

Nichtsdestotrotz sind Trainer und Sportdirektor untrennbare Väter des Erfolgs. Und die Kölner dürfen sich berechtigte Hoffnungen machen, dass dies auch noch einige Jahre so bleibt. Beide haben langfristige Verträge, Schmadtke verlängerte sein ohnehin bis 2020 gültiges Arbeitspapier erst vor zwei Wochen bis 2023, Stöger ist noch bis 2020 gebunden.

2. Der Torjäger

Wenn es in der vergangenen Saison einen MVP in der Liga gab, war es Anthony Modeste. Kein anderes Team war derart abhängig von den Toren eines Angreifers. Insgesamt erzielte Köln 51 Treffer, 25 davon gingen aufs Konto des Franzosen.

Damit ist Modeste der beste Kölner Bundesliga-Knipser seit mehr als 30 Jahren. Klaus Allofs wurde in der Saison 1984/1985 mit 26 Treffern Torschützenkönig - seitdem hat der Effzeh auf solch einen Torjäger gewartet.

Doch nicht nur wegen seiner Tore war der Mann mit der Rückennummer 27 in dieser Spielzeit goldwert. Er ist kein Strafraumstürmer der Marke Klumpfuß, sondern ist vielseitig, technisch versiert, kopfballstark, lässt sich immer wieder auf die Flügel fallen und ist dynamisch.

Dazu weiß er seinen Körper einzusetzen, um Räume für die Mitspieler zu schaffen. Mit knapp 50 Prozent gewonnenen Zweikämpfen hat er vor den letztlich Führenden in der Torjägerliste, Pierre-Emerick Aubameyang (40 Prozent) und Robert Lewandowski (43 Prozent), klar die Nase vorne.

"Es war eine tolle Saison für uns und sehr emotional für mich", frohlockte Modeste am Samstagnachmittag nach der eingetüteten Europapokal-Qualifikation in die Sky-Mikros, um hinzuzufügen: "Ich mag meine Mannschaft und hoffe, dass ich hier bleibe. Aber wir müssen noch mit Jörg Schmadtke reden."

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Dass Modeste tatsächlich auch in der kommenden Saison in Köln auf Torejagd geht, ist jedoch alles andere als sicher. Die Gerüchte über einen millionenschweren Transfer halten sich seit Monaten.

Im Winter hatte der 1. FC noch ein Angebot über 50 Millionen Euro vom chinesischen Klub Tianjin Quanjian abgelehnt. Angeblich ist im Sommer ein neues Angebot geplant. In der neureichen Liga könnte Modeste in vier Jahren offenbar 44 Millionen Euro verdienen. Eine Verlockung, die ihn zumindest interessiert, wie L'Equipe ihn kürzlich zitierte.

Am Sonntag brachte die Rundschau darüber hinaus einen Wechsel zu Olympique Marseille ins Spiel. Offenbar wollen auch die Südfranzosen 40 Millionen Euro auf den Tisch legen.

Die Situation ist klar, Modeste hat in Köln einen Vertrag bis 2021, der Verein hat also keine Not. Allerdings gab Schmadtke zu: "Ich werde nicht sagen, dass wir ihn mit allen Mitteln halten werden. Wenn ein exorbitant gutes Angebot reinkommt, dann werden wir darüber diskutieren müssen."

3. Die Identifikationsfiguren

Der Kader war in dieser Saison so verkölscht wie lange nicht: Acht gebürtige Kölner trugen das Trikot mit dem Geißbock auf der Brust. Timo Horn, Marcel Risse, Christian Clemens, Marcel Hartel, Salih Özcan, Thomas Kessler, Marco Höger und Sven Müller sind allesamt in der Domstadt geboren.

"Das ist doch sehr schön. Sogar in der Double-Saison 1977/78 hatten wir wohl weniger gebürtiger Kölner im Kader - obwohl wir damals die Jungs aus dem Umland schon als Kölner gesehen haben", sagte Vizepräsident Toni Schumacher im Express.

Weiter führte der "Tünn" aus: "Wir holen natürlich nicht nur Spieler, weil sie einen Pass mit der Geburtsstadt Köln haben", so Schumacher, "aber die Fans identifizieren sich sicherlich noch mehr mit solch einer Mannschaft. Und das ist ein weiterer Grund für eine höhere Stadion-Kapazität."

Neben dem Lokalkolorit sind zahlreiche Leistungsträger bereits jahrelang im Verein und erhöhen so das Identifikationspotential der Mannschaft. Mit Horn, Hector, Maroh, Risse und Lehmann sind fünf Stammspieler aus dem Aufstiegsjahr 2014 noch immer wichtige Stützen im Team.

Für Jörg Schmadtke ein Erfolgsfaktor. Zu SPOX sagte er, der Erfolg hänge "sicherlich damit zusammen, dass wir eingespielt, gut eingestellt und aufeinander abgestimmt sind im Gegensatz zu dem einen oder anderen Klub, der einen größeren Umbruch vorgenommen hat."

4. Das Umfeld

Die steigende Erfolgskurve der letzten Jahre hat auch die Euphorie um den Effzeh wieder wachsen lassen.

"Wo viel Interesse ist, da kann nicht immer alles positiv sein, das ist halt so. Wo viel Liebe ist, ist auch viel Trauer - und in Köln ist sehr viel Liebe", ordnete Peter Stöger kürzlich ein. Ein emotionales Umfeld wie das in der Domstadt kann Fluch und Segen sein. In den letzten Jahren hat sich das Gleichgewicht zunehmend in Richtung Segen verschoben.

"Diese Stadt ist so fußballverrückt geworden wie nie zuvor", stellte Reinhold Beckmann am Sonntag bei Sport 1 fest, seines Zeichens langjähriger Kölner Einwohner.

Bereits im Herbst, als die Kölner zwischenzeitlich auf Tabellenplatz zwei standen, deutete sich das große Begeisterungspotential des Umfelds an. Im Stadion waren zeitweise sogar Meisterschalen zu sehen. "Ich glaube, 90 Prozent der Leute machen das aus einer Selbstironie heraus. Meisterschalen im Stadion sind Spaß und Folklore. Das hat mit der nonchalanten Kölner Art zu tun, sich selbst auch mal auf den Arm zu nehmen", sagte Jörg Schmadtke dazu.

Der Klub hat in den vergangenen Jahren den Spagat zwischen Bescheidenheit und Lebensfreude, etwa der Teilnahme am Karnevalsumzug oder Training mit roten Nasen, perfekt hinbekommen und damit das Publikum wieder neu aktiviert.

Mit 49.571 Zuschauern hatten die Kölner in dieser Spielzeit den höchsten Schnitt ihrer Vereinsgeschichte. Neun seiner zwölf Saisonsiege feierte das Stöger-Team vor heimischer Kulisse.

Am Samstag kulminierte die Euphorie in einem Platzsturm, gefolgt von einer riesigen Europapokal-Party: "Da herrscht der absolute Ausnahmezustand", stellte Matthias Lehmann fest.

Exakt 9000 Tage ist der letzte Auftritt im Europapokal her. Im September 1992 verloren die Geißböcke mit 0:3 gegen Celtic. Das leidenschaftliche Publikum hat seinen Teil dazu beigetragen, dass es in der kommenden Saison wieder in den europäischen Stadien singen darf.

5. Die schwächelnde Konkurrenz

"Wir machen 100 Millionen Euro Umsatz und es gibt Mitbewerber, die 100 Millionen für ihre Mannschaft ausgeben. Das ist ein Ungleichgewicht. Die internationalen Wettbewerbe sind eigentlich besetzt mit den wirtschaftlich stärksten Klubs. Danach kommen wir ins Spiel", analysierte Schmadtke im Oktober gegenüber SPOX.

Deshalb fügte er hinzu: "Wir wollen der Beste des Rests sein. Das ist unsere Zielsetzung. Wir sind letztes Jahr Neunter geworden und wollen diesen Platz bestätigen, weil das unserer Einschätzung nach ein riesiger sportlicher Erfolg wäre."

Eine realistische Einschätzung, die einmal mehr den neuen Kölner Weg der Bescheidenheit unterstreicht.

Dass der Effzeh in dieser Saison sogar vier Plätze besser abschnitt als im Vorjahr, liegt auch daran, dass die besagten "wirtschaftlich stärksten Klubs" unter ihren Erwartungen blieben.

Borussia Mönchengladbach hatte bis zuletzt am schwachen Saisonstart zu knabbern, verpasste trotz Platz sechs in der Rückrundentabelle das europäische Geschäft. Der FC Schalke 04 enttäuschte in der ersten Saison des Führungsduos Markus Weinzierl und Christian Heidel auf ganzer Linie. Der Vorjahresdritte Bayer Leverkusen rutschte aufgrund einer erschreckenden Rückrundenbilanz in den Abstiegskampf. Noch schlimmer traf es den VfL Wolfsburg, der auf dem Relegationsplatz landete und in Derbys gegen Eintracht Braunschweig um den Klassenverbleib bangen muss.

Köln dagegen zeichnete sich vor allem durch Konstanz aus. Sechs Siege in der Hinrunde, sechs Siege in der Rückrunde, im Gegensatz zu den finanzstärkeren Konkurrenten keine längeren Ergebniskrisen. Nie verlor das Team von Peter Stöger mehr als zwei Partien in Serie.

Und so kommt es, dass Platz sieben in der Hinrunden- und Platz neun in der Rückrundentabelle in der Endabrechnung Platz fünf ergeben.

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