Alles außer Derby

Von Christian Schmidt
Eintracht Braunschweig und der VfL Wolfsburg kämpfen um die Teilnahme an der Bundesliga
© getty

50 Jahre nach dem Gewinn der deutschen Meisterschaft trifft Eintracht Braunschweig in der Relegation auf den VfL Wolfsburg (Do, 20:30 Uhr im LIVETICKER). Obwohl nur rund 30 Kilometer zwischen den beiden Städten liegen, ist das Relegations-Duell gegen den VfL vor allem aus Sicht der Braunschweiger Fans kein "echtes" Derby. Nichtsdestotrotz birgt das Aufeinandertreffen der beiden Niedersachsen-Klubs allerlei Brisanz.

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Nach einem Konter der Braunschweiger Mannschaft eilt Domi Kumbela alleine auf Diego Benaglio zu und macht mit dem 2:0 den Auswärtssieg der Eintracht beim VfL Wolfsburg perfekt. Was sich im Vorfeld der Relegation aus Wölfe-Sicht wie ein Albtraum anhört, gab es so bereits mal: am 8. Spieltag 2013/14.

Für den Aufsteiger aus Braunschweig bedeutete der Erfolg damals den ersten Saisonsieg und den ersten Bundesligasieg nach 10.353 Tagen. Entsprechend groß war der Jubel bei Trainer Thorsten Lieberknecht, der erst kürzlich sein neunjähriges Dienstjubiläum feierte. Auf der Gegenseite sorgte der Sieg der Löwen beim Trainerteam des VfL für lange Gesichter. Als Co-Trainer von Dieter Hecking erlebte auch Andries Jonker die Niederlage aus der ersten Reihe mit.

Nun trifft der Niederländer wieder auf die Braunschweiger Eintracht, im Gegensatz zu damals geht es für den VfL diesmal jedoch um das sportliche Überleben in der Bundesliga. "Da sind Emotionen dabei. Das habe ich damals schon gespürt", sagte Jonker als die endgültige Paarung feststand. Trotz der geografischen Lage pflegen jedoch vor allem die Braunschweiger Fans keine solch emotionale Rivalität zu Wolfsburg wie es bei anderen Duellen benachbarter Vereine normalerweise die Regel ist.

"Echtes Derby" gegen Hannover 96

Aus Sicht der Braunschweiger findet das wahre Niedersachsen-Derby gegen das ebenfalls unweit entfernte Hannover 96 statt. Auch Braunschweigs Präsident betonte diesen Sachverhalt im Vorfeld der Partie gegen den VfL 2013: "Aus Braunschweiger Fan-Sicht ist die Bezeichnung 'Derby' geschützt, nämlich für das Spiel Braunschweig gegen Hannover." Während Hannover 96 und Eintracht Braunschweig bereits in den 60er Jahren um einen Startplatz für die neu gegründete Bundesliga konkurrierten (1963/64) und sich im direkten Aufeinandertreffen um den Klassenerhalt in der 1. Liga (1972/73) duellierten, darbte der VfL Wolfsburg damals noch in den Niederungen des deutschen Fußballs.

Zwei schicksalhafte Begegnungen der beiden Vereine lassen sich jedoch in den 80er- und 90er-Jahren finden. 1987/88 machte Braunschweig in der Aufstiegsrunde zur zweiten Liga mit einem 2:1-Sieg in Wolfsburg den Aufstieg ins Unterhaus perfekt, im Endspurt der Saison 1992/93 überholten die Wölfe im Abstiegskampf der zweiten Liga mit einem 1:0-Sieg in Braunschweig den Nachbarn. Die Eintracht fiel dadurch auf einen direkten Abstiegsplatz zurück und musste am Saisonende den Gang zurück in die Oberliga Nord antreten.

Durch den Braunschweiger Abstieg sollten sich die Wege beider Vereine für eine lange Zeit trennen. Während die Eintracht zwischenzeitlich in der 3. Liga um den Klassenerhalt bangen musste und dort gegen die U23 der Wölfe antrat, startete Wolfsburg zur deutschen Meisterschaft 2009 durch. Die Saison 2013/14 war die erste Spielzeit seit 21 Jahren, in der sich beide Mannschaften wieder begegneten.

Wirtschaftlich stark verflochten

Parallel zu der ungleichen sportlichen Entwicklung der beiden Städte sorgte der ansässige VW-Konzern derweil für eine zunehmende wirtschaftliche Verflechtung. Als Hauptarbeitgeber der Region beschäftigt der Automobilhersteller auch zahlreiche Einwohner Braunschweigs, die täglich die Kurzdistanz zwischen den beiden Städten zurücklegen. Dazu lassen sich auch die VfL-Profis Robin Knoche und Jannes Horn zählen, die beide im Wolfsburger Nachwuchsleistungszentrum ausgebildet wurden, aber nach wie vor in ihrer Geburtsstadt Braunschweig zu Hause sind.

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Zudem erfahren beide Klubs finanzielle Unterstützung durch den Automobilhersteller. Während der VfL als 100-prozentige Volkswagen-Tochter firmiert, ist bei der Braunschweiger Eintracht die VW-Tochter Seat Hauptsponsor. Im Vergleich zu der finanziellen Förderung, die der VfL Wolfsburg mit hohen zweistelligen Millionenbeträgen erfährt, fällt die Unterstützung in Braunschweig jedoch relativ bescheiden aus.

Qualität gegen "unfassbare Liebe"

Angesichts eines geschätzten VfL-Saisonetats von 100 Millionen Euro im Vergleich zu den 20 Millionen Euro der Eintracht ist die Favoritenrolle vor dem Spiel eindeutig verteilt. Beim VfL nehmen sie diese Rollenverteilung auch ohne Umschweife an und vertrauen auf die höhere individuelle Qualität des Kaders. "Eine Mannschaft mit dem spielerischen Potenzial, das wir haben, sollte durchaus im Vorteil sein", sagte VfL-Geschäftsführer Hotze. Torjäger Mario Gomez schlug in die gleiche Kerbe und betonte: "Wir müssen nicht drum herum reden: Wir sind die bessere Mannschaft. In zwei Spielen müssen wir uns durchsetzen. Das werden wir auch."

Bei der Braunschweiger Eintracht setzen die Verantwortlichen dagegen auf den großen Zusammenhalt des Kaders und die emotionale Verbundenheit der Region mit dem Verein. "Wir werden die Relegation mit einem riesigen blau-gelben Herzen bestreiten", betonte Trainer Lieberknecht und Stürmer Domi Kumbela fügte an: "Der VfL hat viel Geld und große Stars, wir haben unsere Mittel." Lieberknecht zeigte sich zudem beeindruckt von der Choreografie der Fans im letzten Heimspiel: "Ich liebe diesen Verein und die Liebe war heute auch im Stadion von allen zu spüren. Es ist unfassbar, wie man einen Verein so lieben kann."

Die Anhänger der Eintracht gedachten im Spiel gegen Karlsruhe dem Gewinn der deutschen Meisterschaft 1967. 50 Jahre nach dem wohl größten Triumph der Vereinsgeschichte könnten die Feierlichkeiten zu diesem Jubiläum mit einem Erfolg in der Relegation sogar noch getoppt werden. Der VfL Wolfsburg will hingegen 20 Jahre nach dem Aufstieg ins Oberhaus einfach nur verhindern, dass das Kapitel Bundesliga ein vorläufiges Ende findet.

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