Gefangen im System

Von Jonas Rütten
Vom Regen in die Traufe: Nach dem Trainer-Wechsel auf Schalke sollte für Max Meyer unter Domenico Tedesco eigentlich alles besser werden
© getty

Unter Domenico Tedesco spielt Max Meyer in dieser Saison bisher kaum eine Rolle. Er ist ein Gefangener in Tedescos System, denn dort fällt Meyers Rolle als klassischer Zehner weg. Während der Nationalspieler im WM-Jahr die Ruhrpott-Devise "Entscheidend is aufm Platz" bemüht und einfach nur spielen will, versucht der Trainer verzweifelt, eine Rolle für Meyer zu finden. Gelingt das nicht, ist der nächste ablösefreie Abgang eines hochgelobten Eigengewächses unausweichlich. Am Abend trifft Schalke zum Auftakt des 7. Bundesligaspieltags auf Bayer Leverkusen (20 Uhr im LIVETICKER).

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"Ich plane mit Max und freue mich sehr auf ihn. Er hat bei der Europameisterschaft gute Leistungen gezeigt. Ein super Spieler", hatte Domenico Tedesco knapp eine Woche nach seinem Amtsantritt im Juli noch von seinem Spieler Max Meyer geschwärmt. Für Meyer, der nur aufgrund des Trainerwechsels im Sommer auf Schalke blieb, waren das nach einer verkorksten Saison unter dem ungeliebten Trainer Markus Weinzierl dringend benötigte verbale Streicheleinheiten.

Mehr als zwei Monate später stehen anstelle der Anfangseuphorie allerdings mehr Fragen als Antworten zu Tedescos Plänen mit Meyer im Raum. Denn nach sechs Spieltagen kommt Meyer lediglich auf magere 141 Bundesliga-Minuten. Erst in zwei Bundesliga-Partien setzte Tedesco von Beginn an auf den offensiven Mittelfeldspieler, drängte ihn dann aber in Positionen, die Meyers Qualitäten nicht unbedingt entsprechen. Ein Umstand, der für Meyer offensichtlich bereits Anfang September absehbar war.

"Stand jetzt werde ich nächstes Jahr ablösefrei wechseln", kommentierte Meyer im kicker vor knapp einem Monat seinen Entschluss, den auslaufenden Vertrag auf Schalke nicht mehr zu verlängern. Angesichts seiner momentanen Probleme kann man dem 22-Jährigen nicht unbedingt vorwerfen, mit seinem kolportierten Weggang aus Gelsenkirchen eine falsche Entscheidung zu treffen.

In seinem voraussichtlich letzten Jahr auf Schalke will Meyer dennoch "der Mannschaft helfen, eine erfolgreiche Saison zu spielen und dabei auch selbst wieder in den Blickpunkt kommen." Um das zu erreichen, sei es ihm eigentlich egal, wo er spiele. Tedesco hingegen - so hat es jedenfalls den Anschein - versucht verzweifelt, eine passende Rolle für Meyer in seinem "zehnerlosen" System zu finden.

Meyers Integration ist Tedescos Herkulesaufgabe

Wie groß die Ratlosigkeit von Tedesco bezüglich der Personalie Meyer ist, spiegelt sich einerseits in den Aussagen des Trainers, aber andererseits auch in seiner Positions-Rochade mit Meyer wider. Tedescos Herkulesaufgabe liegt darin, Meyers Qualitäten zur Geltung zu bringen, ohne jedoch das große Ganze einem einzigen Spieler unterzuordnen.

Der Trainer selbst weiß: Die Zehnerposition ist für Meyer "wie gemalt, weil er vom Zentrum aus mehrere Möglichkeiten hat, Pässe in die Tiefe zu spielen." Auch Meyers Fähigkeiten im Tempo-Dribbling und im Eins-gegen-eins hob der Trainer hervor, denn das mache Meyer für Schalke wichtig.

Allerdings war da bereits klar, dass es Meyers Wohlfühl-Position in Tedescos flachem 3-4-3-System mit zwei Spielern auf der Außenbahn, einer Dreier-Abwehrkette, zwei Sechsern und einem Stürmer in der Regel nicht geben wird.

Meyer beschwor in der Konsequenz seine Flexibilität in der Offensive und wollte sich öffentlich vom Stigma der Eindimensionalität lossagen: "Ich kann nicht nur auf der Zehner-Position spielen." In der Vorbereitung auf die Saison probierte Tedesco Meyer daher zunehmend auf Linksaußen, wo der Nationalspieler nach eigener Aussage den Konkurrenzkampf annehmen wollte.

Tedescos Konzepte für Meyer gehen nicht auf

Der Plan des neuen Schalker Übungsleiters: Meyer solle als verkappter Linksaußen agieren, "der mit gewissen Bewegungen in die Halbräume kommt." Angesichts der technischen Fähigkeiten Meyers ein nachvollziehbarer Gedanke.

Tedesco hatte also nicht Unrecht, als er behauptete, dass er mit Meyer plane. Allerdings erfordert Tedescos Idee vom schnellen Vertikalspiel mit Umschaltmomenten Tempo auf den Außen. Daher erhalten Yevhen Konoplyanka und Amine Harit momentan den Vorzug vor Meyer.

Das ganze Ausmaß des Meyer-Dilemmas auf Schalke offenbarte sich beim Heimsieg über den VfB Stuttgart am dritten Spieltag. Tedesco brachte Meyer von Beginn an als eine Art Hybrid aus Sturmspitze und Zehner. Der Lösungsversuch Tedescos scheiterte brachial, denn das Spiel lief völlig an Meyer vorbei.

Nach lediglich 21 Ballaktionen wechselte Tedesco Meyer zur Pause beim Stand von 1:1 aus. Weniger Akzente als Meyer trug nur der spät eingewechselte McKennie zum Schalker Spiel bei. Nach dem gescheiterten Experiment verzichtete Tedesco gegen Bremen und die Bayern auf Meyer, ehe er gegen Hoffenheim den nächsten Versuch wagte, eine Rolle für den Offensivspieler zu finden.

Meyer auf der Sechs verbessert, aber falsch aufgehoben

Obwohl auch die Sechserposition nicht unbedingt Meyers Wohlfühl-Oase ist, kurierte der 22-Jährige gegen die TSG 1899 Hoffenheim in Abwesenheit der angeschlagenen Bentaleb und Goretzka in Ansätzen das, woran das Schalker Spiel schon unter Tedescos Vorgänger Markus Weinzierl zu kranken pflegte: die Ballzirkulation.

Mit Meyer spielte Königsblau besser im Kollektiv zusammen und übertraf mit einer Passquote von 87,4 Prozent den eigenen Durchschnittswert von 79,2 Prozent erheblich. Auch verlegte sich das Schalker Spiel vermehrt auf kurze Pässe. Meyer selbst verzeichnete eine überdurchschnittliche Quote von 92,3 Prozent - deutlich besser als Hoffenheims Matchwinner Dennis Geiger.

Allerdings schränkten Meyers Defensiv-Aufgaben auf der Sechs seine Entfaltung in der Offensive ein, die ebenfalls ein chronisches Manko im Schalker Spiel ist. Lediglich zwei der bisherigen königsblauen Bundesliga-Treffer fielen aus dem Spiel heraus.

Auch sonst scheint das defensive Mittelfeld nicht des Rätsels Lösung für das meyer'sche Positions-Problem von Tedesco zu sein. Zwar kann Meyer dem Schalker Passspiel Stabilität verleihen, doch die Gefahr ist angesichts seiner unterdurchschnittlichen Zweikampfquote von 39,1 Prozent und seinen körperlichen Nachteilen zu groß, dass entscheidende Duelle im Zentrum verloren gehen.

So sah Meyer beispielsweise vor dem Hoffenheimer Führungstreffer nicht gut aus, als er Geiger in der Rückwärtsbewegung aus den Augen verlor. Zudem hat Tedesco in Benjamin Stambouli und Youngster Weston McKennie zwei Alternativen, die die Sechser-Rolle potenziell besser ausfüllen können, sollte Bentaleb nicht die von Tedesco geforderte taktische Disziplin an den Tag legen.

Ist Tedescos Flexibilität der Schlüssel für Meyer?

Meyer selbst habe die ungewohnte Rolle im defensiven Mittelfeld Spaß gemacht: "Ich sollte mir die Bälle von hinten holen, das kam mir entgegen." Dennoch ist die Sechserposition in Zukunft wohl nicht der Schlüssel zu Meyers Rückkehr in die Schalker Start-Elf.

Dieser Schlüssel liegt vielmehr in Tedescos Bereitschaft, sein System flexibel zu gestalten und von Zeit zu Zeit umzubauen. Sowohl gegen den FC Bayern, als auch gegen Hoffenheim stellte Tedesco diese Bereitschaft schon unter Beweis. Gegen Bayern beorderte er überraschend Leon Goretzka auf die offensive Flügelposition. In Sinsheim spielte S04 zum ersten Mal in dieser Saison mit einer Viererkette.

Das bestätigt zunächst einmal die Aussagen Tedescos, denen zufolge er eine flexible Mannschaft bauen will, die zwischen unterschiedlichen Formationen variieren kann. Zusätzlich ist das für Meyer aber auch das letzte Fünkchen Hoffnung, könnte Tedesco bei einer weiteren Systemumstellung doch wieder auf ihn als klassischen Zehner setzen.

Keine Alarmglocken auf Schalke

Die Frage wird nur sein, wann und ob es überhaupt so weit kommt. Der FC Schalke 04 präsentierte sich bis dato als eher ungefährlich, wenn es darum geht, Torchancen zu kreieren. Insofern könnte der U21-Nationalspieler mit seinen Fähigkeiten im Passspiel und seinem Gefühl für die Tiefe des Raumes auch für das von Tedesco angedachte Vertikalspiel ein Gewinn sein.

Dafür müsste Tedesco allerdings einen Sechser und mit ihm ein Stück weit das opfern, was Königsblau bis dato in der Tabelle auf Tuchfühlung zu den Europapokal-Plätzen hält: die defensive Stabilität. Die bisherige Ausbeute von neun Punkten aus sechs Spielen deutet zwar an, dass Tedescos System noch längst nicht ausgereift ist. Ein Alarmsignal, nach dem sich unbedingt etwas ändern müsse, ist das aber nicht.

Insofern muss sich Meyer im System "Tedesco" wohl auch am Freitagabend gegen Bayer Leverkusen (20 Uhr im LIVETICKER) angesichts der Rückkehr von Goretzka und Bentaleb maximal mit der Rolle als Edel-Joker begnügen. Zudem könnte die Vertragsverlängerung von McKennie ein Indiz dafür sein, dass man auf Schalke bereits damit begonnen hat, ohne Meyer zu planen.

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