Eintracht Frankfurt hat sich seit der Amtsübernahme von Trainer Niko Kovac kontinuierlich weiterentwickelt. Mit einem Heimsieg gegen Borussia Mönchengladbach (20.30 Uhr im LIVETICKER) könnte die SGE sogar vorübergehend auf Platz zwei springen. Doch worin liegen die Gründe für den Frankfurter Aufschwung? Welche Probleme sind trotz der positiven Entwicklung vorhanden? Und stürzt die Eintracht nicht sowieso wie immer in der Rückrunde ab?
Die Ausgangssituation
"Ich denke, dass es in diesem Jahr schwieriger ist, oben dran zu bleiben." Niko Kovac wäre nicht Niko Kovac, wenn er sich nicht in Demut üben würde.
Auch angesichts der Tabellensituation. Und die ist vielversprechend. Nach 19 Spielen steht Eintracht Frankfurt in der Bundesliga auf Platz sieben. Punktgleich mit Borussia Dortmund. Nur einen Zähler hinter Bayer Leverkusen auf dem zweiten Rang. Bei einem Heimsieg am Freitagabend gegen Borussia Mönchengladbach winkt sogar vorübergehend die Position des ersten Bayern-Verfolgers.
Trotzdem: Kovac tritt auf die Bremse. "Die Tabelle interessiert uns nicht. Wir wollen punkten, bestenfalls auch gut spielen und uns so von unten absetzen. Alles andere kommt von selbst", erklärte er auf der Abschluss-PK vor dem Duell mit Gladbach.
Euphorie hält er nicht für angebracht. Zu frisch sind die Erinnerungen an verheerende Rückrunden in der jüngeren Vergangenheit.
Erst im Vorjahr war die Ausgangslage zum gleichen Saisonzeitpunkt noch günstiger. Nach 19 Spielen hatte die Eintracht Anfang 2017 sogar 35 Punkte auf dem Konto und stand auf Platz drei. Es roch nach Champions League.
Und dann? Dann folgte ein bitterer Leistungseinbruch. Die SGE sammelte nur noch sieben weitere Pünktchen in den ausstehenden 15 Spielen, belegte in der Rückrundentabelle Platz 18 und rutschte insgesamt noch auf elf ab.
Ebenfalls noch präsent ist das Frühjahr 2011. Damals stand die Eintracht nach der Hinrunde wie in dieser Spielzeit bei 26 Punkten. Ein historischer Absturz in der Rückrunde (nur acht Punkte) mündete schließlich in den direkten Abstieg.
Eintracht Frankfurt: Die Bilanz der letzten sechs Bundesliga-Jahre
Saison | Hinrunde: Punkte (Platzierung) | Rückrunde: Punkte (Platzierung) | Gesamt: Punkte (Endplatzierung) |
2010/2011 | 26 (7.) | 8 (18.) | 34 (17.) |
2012/2013 | 30 (4.) | 21 (12.) | 51 (6.) |
2013/2014 | 15 (15.) | 21 (12.) | 36 (13.) |
2014/2015 | 23 (9.) | 20 (11.) | 43 (9.) |
2015/2016 | 17 (14.) | 19 (15.) | 36 (16.) |
2016/2017 | 29 (6.) | 13 (18.) | 42 (11.) |
Kein Wunder, dass der Respekt vor den bevorstehenden Aufgaben einen verfrühten Zustand der Euphorie in Frankfurt verhindert. Den warnenden Beispielen zum Trotz deutet allerdings einiges darauf hin, dass die Hessen einen Schritt weiter sind als noch im vergangenen Jahr.
Die Zusammenstellung des Kaders
"Die Mannschaft hat sich weiterentwickelt", analysierte Gladbach-Trainer Dieter Hecking vor dem Duell: "Die konkurrieren zu Recht um die europäischen Plätze. Ich sehe die Eintracht auf Augenhöhe mit der Borussia und anderen Vereinen. Die Mannschaft hat die nötige Qualität. Sie wurde hervorragend zusammengestellt."
Tatsächlich wirkt der Multi-Kulti-Kader der SGE (22 Legionäre, mit Abstand die meisten aller Bundesligisten) homogen. Jeder Spieler scheint menschlich in die Truppe zu passen. Ein bisschen dreckig, ein paar Ecken und Kanten, aber pure Leidenschaft, so ungefähr scheint das Anforderungsprofil bei der Sichtung auszusehen. Dreckige Leidenschaft sozusagen.
Der Rasenfunk zum 19. Spieltag mit Eintracht-Schwerpunkt und SPOX-Redakteur Jochen Rabe:
Die Mischung aus Führungsspielern (z.B. Boateng, Abraham, Hradecky, Hasebe), Arbeitern (z.B. Rebic, Chandler, Wolf) und individuell-spielerischer Klasse (z.B. Mascarell, Gacinovic, Haller) stimmt.
Die Stärken der Spieler passen zu den Anforderungen an die Positionen und zur Spielidee von Kovac. Und der Trainer schafft es, seinem Team diese Anforderungen zu vermitteln: "Es macht Spaß, bei der Eintracht zu spielen. Es ist schön zu sehen, wenn alle Spieler den Anleitungen des Trainers folgen und die Vorstellungen umsetzen", schwärmte Angreifer Sebastien Haller nach dem 3:1-Sieg beim VfL Wolfsburg. "Wir wissen genau, was wir auf dem Platz zu tun haben und versuchen es immer so gut es geht umzusetzen", stimmte Rechtsaußen Marius Wolf in das Loblied mit ein.
Das Duo steht stellvertretend für die gelungene Transferpolitik der Eintracht. Wolf hatte sich bei Hannover 96 nicht durchgesetzt und war infolgedessen dort ohne Perspektive. Auch in seinem ersten Halbjahr am Main überzeugte er nicht. Doch Bruno Hübner, der Wolf entdeckte, bestand darauf, ihm eine weitere Chance zu geben. Und Wolf explodierte in dieser Saison, war bereits an acht Toren direkt beteiligt und legt in jedem Spiel die längste Laufstrecke zurück.
Haller kam im Sommer für sieben Millionen Euro vom FC Utrecht. Angesichts der Leistungsfähigkeit des robusten und abschlussstarken Angreifers in Zeiten von unrealistischen Ablösesummen ein Schnäppchen. Der Franzose war sogar schon an elf Toren direkt beteiligt - darunter Traumtore wie sein Seitfallzieher gegen den VfB Stuttgart.
Mit Jetro Willems (für fünf Millionen von der PSV Eindhoven) schaffte es die Eintracht darüber hinaus, den Abgang von Bastian Oczipka zum FC Schalke 04 zu kompensieren. Carlos Salcedo (zur Leihe von Guadalajara) und Simon Falette (für 2,7 Millionen Euro vom FC Metz) fingen den Verlust von Jesus Vallejo ab, der zu Real Madrid zurückkehrte.
Darüber hinaus stellte sich Kevin-Prince Boatengs ablösefreie Verpflichtung von UD Las Palmas - anfangs häufig kritisch betrachtet - bislang als Volltreffer heraus. Der 30-Jährige passt mit seiner Robustheit perfekt ins Team, identifiziert sich mit dem Verein und ist auf dem Platz Führungsspieler.
Eintracht Frankfurts Zugänge in der Saison 2017/2018 (Summen laut Transfermarkt.de)
Spieler | Alter | Nationalität | Vorheriger Verein | Ablösesumme |
Sebastien Haller | 23 | Frankreich | FC Utrecht | 7 Millionen Euro |
Jetro Willems | 23 | Niederlande | PSV Eindhoven | 5 Millionen Euro |
Simon Falette | 25 | Französisch-Guyana | FC Metz | 2,7 Millionen Euro |
Daichi Kamada | 20 | Japan | Sagan Tosu | 1,6 Millionen Euro |
Danny da Costa | 23 | Deutschland | Bayer Leverkusen | 1 Million Euro |
Carlos Salcedo | 23 | Mexiko | Deportivo Guadalajara | 450.000 Euro Leihgebühr |
Gelson Fernandes | 30 | Schweiz | Stade Rennes | 350.000 Euro |
Marijan Cavar | 19 | Bosnien-Herzegowina | Zrinjski Mostar | 200.000 Euro |
Luka Jovic | 19 | Serbien | Benfica | 200.000 Euro Leihgebühr |
Ante Rebic | 23 | Kroatien | AC Florenz | Leihe |
Jan Zimmermann | 30 | Deutschland | TSV 1860 München | ablösefrei |
Jonathan de Guzman | 29 | Niederlande | SSC Neapel | ablösefrei |
Kevin-Prince Boateng | 30 | Ghana | UD Las Palmas | ablösefrei |
Die Transfers zeigen: Sportvorstand Fredi Bobic hat bei seiner Ankunft vor anderthalb Jahren ein dickes und vor allem ein breit gefächertes Kontaktbuch mitgebracht. Die Eintracht scoutet stark und verpflichtet Spieler aus Nationen und von Vereinen, die andere Klubs nicht auf dem Radar haben. Und eine Vielzahl der Neuzugänge funktioniert.
Zudem ist Bobic ein Teamplayer, der bewusst nicht Alleinherrscher sein will und auf das Know-how seiner Scouts oder von Sportdirektor Bruno Hübner vertraut.
Der Trainer Niko Kovac
Und Bobic vertraut auf seinen Trainer. Niko Kovac ist ein wichtiger Schlüssel für den Frankfurter Erfolg. Seit seiner Übernahme im März 2016 hat er die Mannschaft sukzessive weiterentwickelt.
Aufgrund seiner überzeugenden Arbeit in Frankfurt tauchte Kovac zuletzt angeblich auf dem Zettel des FC Bayern auf, der für die kommende Saison einen neuen Cheftrainer sucht, falls Jupp Heynckes wie mehrfach angekündigt nicht weitermachen sollte. Für Boateng eine logische Überlegung der Münchner: "Ich denke, dass er da als Trainertyp perfekt hinpassen würde. Er hat selbst bei Bayern gespielt, hat immer noch gute Beziehungen dorthin. Aber er hat in Frankfurt noch einen Vertrag. Er wird bei der Eintracht jeden Tag größer und es wird nicht so leicht, ihn hier wegzulotsen", sagte er gegenüber Sport1.
Kovac selbst dementierte am Montag im kicker, dass es bereits Gespräche gebe: "Zu den Bayern gibt es überhaupt keinen Kontakt. Das garantiere ich zu 100 Prozent. Stand heute bin ich nächstes Jahr Trainer bei Eintracht Frankfurt, weil ich bis 2019 unter Vertrag stehe. Ich bin gerne hier und glücklich. Mir ist die sportliche Perspektive wichtig, und ich finde, wir machen es ganz gut, es bewegt sich etwas."
Doch was genau macht den Kroaten so attraktiv, das sogar die Bayern sich mit ihm beschäftigen? Kovac ist ein Trainer der neuen Generation, der moderne Trainingsmethoden und taktische Konzepte einsetzt, den Fußball in seinem Sprech jedoch nicht komplizierter macht, als er ist. Der Kroate setzt auf eine akribische Gegneranalyse und richtet seine Mannschaft entsprechend aus. In der Hinrunde stellte er etwa gegen den 1. FC Köln auf ein 4-2-3-1, weil sich der Effzeh in dieser Phase gegen Systeme mit Viererkette besonders schwer tat. Mit Erfolg: Die SGE gewann 1:0.
Auch in den Partien gegen die Aufsteiger Stuttgart und Hannover schickte Kovac sein Team mit einem Viererketten-System auf den Platz und wurde durch Siege belohnt.
Die taktische Ausrichtung
In der bevorzugten Ausrichtung mit Dreierkette - meist agiert die Eintracht in einem 3-4-1-2 oder einem 3-4-3 - hat Kovac sein Team im Laufe der Saison weiterentwickelt. Fortschritte machte das Team im Defensivspiel darin, in Ballrichtung zu verschieben, die Räume für den Gegner zu schließen und auf der ballfernen Seite zurückzufallen, um die letzte Linie zu einer Viererkette aufzufüllen.
Durch die Rückkehr des lange verletzten Omar Mascarell zur Rückrunde bekam die Eintracht einen weiteren Baustein, der dem situativen Mittelfeldpressing der Kovac-Truppe entgegenkommt.
Der Spanier hat das nötige Spielverständnis und die Ballsicherheit, um den Spielaufbau aus der zentralen Position heraus anzutreiben. In den ersten beiden Rückrunden-Partien gewann er 61,5 und 75 Prozent seiner Zweikämpfe und leitete jeweils Tore bzw. gute Chancen durch präzise lange Bälle ein.
Gemeinsam mit Mascarell bildeten zuletzt gegen Wolfsburg Boateng, Gacinovic, Rebic und Haller ein Pressing-Fünfeck, das die Räume geschickt verdichtete und den Gegner so stark im Spielaufbau störte.
Die robusten Angreifer Haller und Rebic schoben auf die VfL-Verteidiger, etwas breiter dahinter positionierten sich Boateng und Gacinovic. Die schnellen Außen Wolf und Chandler schoben über die Außen nach und waren nach Ballgewinn anspielbar, sodass die Eintracht das Tempo anziehen konnte. Auf diese Weise fielen die ersten beiden Treffer gegen Wolfsburg.
In der Zweikampfstärke, dem taktisch disziplinierten Verhalten gegen den Ball und dem daran anschließenden schnellen Umschalten liegen die größten Stärken der Frankfurter. Das erkannte auch Wölfe-Trainer Martin Schmidt nach der Niederlage an: "Das ist in Sachen Körperlichkeit die Top-Mannschaft der Liga, auch bei den zweiten Bällen haben sie absolute Top-Werte."
Dass diese Stärken besonders in Auswärtsspielen zum Tragen kommen, wenn die Heimmannschaft per Definition einen größeren Druck hat, etwas für das Ergebnis zu tun, zeigt sich in den Resultaten: 21 ihrer 30 Zähler holte die Eintracht auf fremdem Platz, in der Auswärtstabelle hat nur der FC Bayern einen Punkt mehr gesammelt.
Die Probleme im Spiel nach vorne
Steht der Gegner tief, hat die SGE in dieser Saison noch Probleme, Lösungen zu finden. Entsprechend mager fällt die Heimbilanz mit nur neun Zählern bislang aus. Lediglich der 1. FC Köln und Werder Bremen sind zu Hause schwächer.
Ein Umstand, der Kovac ärgert. Denn: "Heimspiele sind für Spieler und Trainer das Schönste. Diese vielen Fans, die Emotionen", führte der Kroate am Donnerstag aus: "Aber wir können auch nicht einfach einen Schalter umlegen. Wir arbeiten daran, auch zu Hause mehr zu punkten, und sind dabei auf einem guten Weg."
Das Spiel nach vorne wolle man "Schritt für Schritt" optimieren: "Eintracht Frankfurt ist nicht nur eine Mannschaft, die kämpfen und laufen kann. Wir können auch Fußball spielen."
Ein Hoffnungsträger für den spielerischen Aufschwung ist Marco Fabian. Der Mexikaner ist fußballerisch wohl der beste Spieler im Eintracht-Kader, in der Vorsaison prägte er das Offensivspiel entscheidend, wenn er denn fit war, und war an elf Toren beteiligt.
Aufgrund von Lendenwirbel-Problemen stand Fabian in dieser Saison noch kein einziges Mal auf dem Rasen. Gegen Gladbach ist er laut seinem Trainer noch keine Option: "Er ist auf einem guten Weg, aber er braucht noch Zeit. Er muss im konditionellen Bereich noch zulegen. Das Spiel kommt noch zu früh."
Der Spielplan
Für die Ausbeute aus den Heimspielen wäre ein Spieler, der den Rhythmus des Spiels bestimmt und überraschende Aktionen auslöst, wie Fabian es drauf hat, womöglich ein Schlüssel.
Denn die Tabelle lügt nicht. Frankfurt ist 30 Punkte stark. Zumal die Eintracht bislang mit jedem Gegner mithalten konnte. Der 3:1-Sieg gegen Wolfsburg war die erste Partie mit Beteiligung der Hessen, in der ein Team mit mehr als einem Tor Unterschied gewann.
Positiv ausgedrückt ist in Spielen der Eintracht immer etwas los. Gegen Borussia Dortmund kam sie nach einem 0:2-Rückstand noch zurück und holte ein 2:2, gegen Schalke kassierte sie in der 94. Minute durch Naldo nach 2:0-Führung noch den 2:2-Ausgleich, gegen Stuttgart, Bremen und Hannover gelang der Siegtreffer in letzter Minute, gegen Hoffenheim fing sie sich in letzter Minute noch das 1:1. Spiele der SGE sind erst vorbei, wenn sie wirklich abgepfiffen sind. Frankfurt heißt immer Drama und Unterhaltungswert.
Anders ausgedrückt heißt dies jedoch auch: "Wir können jedes Spiel gewinnen, aber genauso gut jedes verlieren." So beschreibt es Kovac.
Ja, die Eintracht ist 30 Punkte stark, sie ist jedoch auch ein Grenzgänger. Ein Team, bei dem Kleinigkeiten den Ausschlag geben können. Genau deswegen liegt im Spielplan eine Gefahr, dass in der Rückrunde womöglich doch wieder ein Absturz anstehen könnte.
Einerseits ist dieser insofern dankbar, dass Frankfurt kein einziges Mal gegen zwei aktuelle Top-7-Teams hintereinander antreten muss, was gegen einen Einbruch spricht.
Auf der anderen Seite muss sich an der Heimschwäche dringend etwas ändern. Denn unter den sieben ausstehenden Auswärtsspielen sind Dortmund, Leverkusen, München und Gelsenkirchen, dazu die heimstarken Stuttgarter. Nicht unbedingt Orte, wo man einfach mal hinfährt und die Punkte einsackt.
Entsprechend wertvoll könnte der spielerische Impuls eines Marco Fabian speziell in den Heimspielen sein.
An Selbstvertrauen mangelt es den Leistungsträgern der dreckigen Erfolgstruppe nicht: "Wir sind gut genug für Europa", reklamierte etwa Haller am letzten Samstag in Wolfsburg.
Den Beweis müssen die Frankfurter in der Rückrunde jedoch erst antreten. Und in dieser wird es noch schwieriger, oben dran zu bleiben, als in den letzten Jahren ohnehin schon. Sagt zumindest Niko Kovac. Demütig, wie er eben ist.