Wie gut ist die Bundesliga? Der deutsche Fußball führt eine teilweise hitzige Debatte über seine Qualität. Im Interview erklärt Frank Wormuth seine Sicht der Dinge und geht speziell auf die Hinrunde der Bundesliga ein. Der Leiter der Fußball-Lehrer-Ausbildung des DFB spricht über den Trend der Dreierkette, die fehlende Qualität in vielen Spielen und die Kritik von Mehmet Scholl.
SPOX: Herr Wormuth, die Dreier- beziehungsweise Fünferkette hat sich in der Bundesliga mittlerweile etabliert. Bis auf Bayern, Leipzig und Gladbach hat jeder Bundesligist in dieser Saison schon mit einer dieser Formationen gespielt. Wie erklären Sie sich diese Entwicklung?
Frank Wormuth: Die Dreierkette, die in der Defensive meist zu einer Fünferkette wird, ist ein Hilfsmittel für stabilere Abwehrarbeit. Frei nach Huub Stevens ist das Ziel, dass die "Null steht". Die Mitte ist eben "zu". Zudem kann man mit einem 3-5-2 mit zwei klaren Mittelstürmern spielen. Dies scheint zurzeit für die Trainer ein Vorteil gegenüber den bisherigen Formationen zu sein. Die Geschichte des Fußballs zeigt, dass alles wieder kommt, nur eben in unterschiedlichen Gewändern. Jetzt haben wir die Dreierkettenphase wieder, nur flacher als zur "Franz-Beckenbauer-Zeit".
SPOX: Welche Vorteile hat eine Dreierkette, sowohl im Ballbesitz als auch gegen den Ball?
Wormuth: Sie hat ihre Vorteile ganz klar in der Defensive, da eine Position mehr im Zentrum vorhanden ist. Das gilt sowohl in der Defensivarbeit als auch in Ballbesitz. Die sogenannte Restverteidigung hat eine Position mehr, um den Gegenangriff zu verhindern.
SPOX: Und wo liegen die Nachteile?
Wormuth: Ganz einfach: Eine Position mehr in der letzten Abwehrreihe bedeutet, dass diese in der Offensive fehlt. Die Viererkette steht im Offensivspiel in der Realität meist mit zwei Innenverteidigern als letzte Reihe, da beide Außenverteidiger hoch stehen. Nach Adam Riese ermöglicht die Viererkette acht Spieler in der Offensive, die Dreierkette nur sieben, weil die drei Verteidiger fast immer auf einer Linie hinten stehen.
SPOX: Wie viel Platz nehmen die verschiedenen Grundformationen in der Trainerausbildung beim DFB ein?
Wormuth: Wir besprechen in der Fußball-Lehrerausbildung alle möglichen Formationen und lassen ständig die Erfahrungen der angehenden Fußball-Lehrer einfließen. Praxis und Theorie treffen dann immer spannend aufeinander. Stellen Sie sich vor, dass aufgrund des oben beschriebenen Nachteils ein Trainer hergeht und auch die äußeren Verteidiger der Dreierkette hoch stehen lässt.
gettySPOX: Dann wäre die Dreierkette nur noch eine Einerkette und man hätte plötzlich einen Mann mehr in der Offensive als mit der Viererkette.
Wormuth: Genau. Oder es steht nur immer der Verteidiger der Dreierkette hoch, auf dessen Seite der Ball gerade läuft. Dann sind es wieder acht Positionen in der Offensive. Sie sehen: Es geht in der Ausbildung immer nur um Grundsätze. Ein Trainer entscheidet in der Realität ständig aufgrund seiner Spielertypen, welche Spielidee er gegen welchen Gegner spielen lässt. Und deshalb betone ich auch an dieser Stelle, dass nicht die Taktik entscheidend ist, sondern die Qualität der Spieler, die die Taktik auf den Platz bringen.
SPOX: Diesen Mut, die Dreierkette offensiv zu nutzen wie beispielsweise Pep Guardiola während seiner Zeit beim FC Bayern, bringen die Bundesligisten aktuell aber nicht auf. Nutzen die Bundesligisten die Dreierkette zu sehr, um den gegnerischen Fußball zu verhindern?
Wormuth: Ich glaube nicht, dass es hier um Verhinderung geht, sondern mehr um die Sicherheit, zu Null zu spielen. Und die von Ihnen angesprochene offensive Ausrichtung der Bayern unter Guardiola war zum großen Teil auch in der technisch-taktischen Qualität der Spieler begründet. Da die Gegner meist tief standen und auf Konter setzten, war die Dreierkette, zumal sie auch sehr hoch in der gegnerischen Hälfte stand, eine sinnvolle Variante, Konter zu vermeiden. Diese eine Position, die aufgrund der Dreierkette in der Offensive fehlte, konnten die Bayern durch ihre Spielerqualitäten locker kompensieren. Zudem hatten die Herren um Philipp Lahm in Gegners Hälfte dadurch auch ein wenig mehr Platz für ihre Ballzirkulation.
gettySPOX: Die eigene Spielentwicklung tritt in der Bundesliga zurzeit oft in den Hintergrund, die Spiele wirken sehr hektisch, die Passquoten und auch die Passqualität sind überschaubar...
Wormuth: Die gefühlte Hektik resultiert aus der Schnelligkeit der Passfolgen beziehungsweise der Passfehler, weil die Mannschaften nach Ballverlust sehr schnell in die Defensive umschalten können. Zum einen durch schnelles Fallen vors eigene Tor und zum anderen durch das Gegenpressing. In beiden Fällen geht es um Zeit und dadurch auch um Raum. Wenn der Gegner schnell fällt und die Räume zumacht, muss die ballführende Mannschaft schnelle Passfolgen haben und dadurch auch ein größeres Risiko des eigenen Ballverlustes eingehen. Im Fall des Gegenpressings hat man keine Zeit, in Ruhe zu spielen, sondern der Druck auf den Ballführenden führt oft zu schnelleren Ballverlusten. Zusammenfassend kann man sagen: Die Spielgeschwindigkeit erfordert von den Spielern schnellere Passfolgen mit einer erhöhten Wahrscheinlichkeit des Ballverlustes. Und wenn beide Seiten so spielen, sieht es eben hektisch aus.
SPOX: Der Fokus auf die Null und das defensive Denken ist einer der größten Unterschiede in der Herangehensweise. Sind Sie überrascht, wie wenig Kollegen in Deutschland sich an Guardiolas Ideen orientiert haben?
Wormuth: Unsere Nationalmannschaft spielt ja auch seit Jahren diesen Ballbesitzfußball, wenn auch nicht so extrem. Und ich erinnere mich, dass sich der eine oder andere Trainer in der Bundesliga ebenfalls daran versucht hat. Aber durch dieses extreme "Unter-Druck-setzen" des Ballführenden, das sich nicht nur in der Bundesliga etabliert hat, haben die Spieler kaum noch Ruhe am Ball. Dies führt eben zu schnellen Flugbällen in die gegnerische Hälfte, in der dann das Gegenpressing für die Rückeroberung des Balles genutzt wird. Leverkusen unter Roger Schmidt und Leipzig unter Alexander Zorniger hatten ja ständig diese Spielidee. Für Guardiolas Schule braucht man elf sehr spielstarke Spieler, die diese Fähigkeit auch unter Druck abrufen können. Das haben eben nicht alle Vereine in der Bundesliga.
SPOX: Wie sehen Sie die Qualität des deutschen Fußballs auf Klubebene im Moment?
Wormuth: Ich habe das Gefühl, dass das Gros unserer Vereine in der Bundesliga ziemlich ergebnisorientiert agiert. Die Teams wollen wenig Risiko in der Spieleröffnung eingehen und ihr eigentliches Spiel erst in des Gegners Hälfte beginnen. Deshalb sehen wir sehr oft den Flugball von hinten raus und daraus resultiert auch der Anschein mangelnder Qualität.
SPOX: Woher kommt diese weit verbreitete Spielanlage?
Wormuth: Die ist dem Druck von außen geschuldet, weil die Trainer nach ein paar Niederlagen in Serie sofort auf der "Abschussliste" stehen. Das tut dem Fußballspiel natürlich nicht gut. Ich weiß von einigen meiner Ex-Schüler, dass sie sehr gerne auch anders spielen lassen würden, aber am Ende zählt in unserem Land eben nur das nackte Ergebnis. Zudem fördert auch die Spielweise des "Jagens" des ballführenden Spielers ein ständiges Hin und Her sowie weniger geplante Spielzüge, die ein Beweis für hohe Qualität im Spiel wären.
SPOX: Die Niveauarmut war nicht nur in der Liga zu erkennen, gerade international erlebt die Bundesliga ein schlechtes Jahr. Allein an den finanziellen Mitteln kann es vor allem bei den Europa-League-Teams nicht gelegen haben. Auffällig war schon eher, dass Teams wie Freiburg, Hoffenheim, Hertha und Köln mit der Rolle des Favoriten nicht umgehen konnten und zu wenige spielerische Lösungen hatten. Woran machen Sie das schwache Abschneiden der Bundesligisten im Europapokal fest?
Wormuth: Den Favoritendruck sehe ich nicht unbedingt als Ursache. Aber der Ansicht, dass unsere Vertreter im internationalen Fußball wenige spielerische Lösungen hatten, kann ich schon eher folgen. Aber woher sollten Sie diese auch haben, wenn in der Bundesliga zurzeit meist wie oben beschrieben gespielt wird? Vielleicht ist aber auch der Bundesliga-Alltag wichtiger gewesen als das internationale Geschäft. Freiburg und Köln spielen zum Beispiel um den Klassenerhalt.
SPOX: Das schwache Abschneiden in Europa hat viele Kritiker auf den Plan gerufen. Mehmet Scholl hat auf sehr polemische Art eine Diskussion über die Ausbildung im Nachwuchsbereich angestoßen und auch die Trainerausbildung kritisiert. Steckt nicht zumindest in der Nachwuchsthematik ein wahrer Kern? Hat der DFB in den letzten Jahren zu viele gleichförmige Spieler ausgebildet?
Wormuth: Erstens: Wir, und damit meine ich den DFB und seine Ausbilder samt U-Trainer, reden seit Jahren davon, dass wir Trainer wieder mehr auf das Eins-gegen-eins unserer Spieler in allen Ligen achten sollten - sowohl in der Offensive als auch in der Defensive. Dies haben wir schon mehrmals auf dem internationalen Trainerkongress des BDFL nach Welt- und Europameisterschaften in der Analyse mitgeteilt. Das formuliert der BDFL auch ständig in seinen Fortbildungen. Sie können dies sogar im Internet nachlesen. Zweitens: Der DFB kann keine Spieler gleichförmig ausbilden. Wie soll das gehen? Wir haben die Spieler doch nicht täglich in unseren Händen. Ein Stützpunkttraining findet nur montags statt und das auch nicht im ganzen Jahr. Zudem sind die NLZ-Spieler nicht in den Stützpunkten dabei. Und in den Nationalmannschaften hat man kaum Zeit zum Trainieren.
gettySPOX: Der DFB bildet nicht selbst aus, nimmt aber durch die Ausbildung der Trainer auch Einfluss auf die Arbeit in den Nachwuchsleistungszentren. Warum tut sich der deutsche Fußball so schwer, die Spieler im Eins-gegen-eins besser auszubilden?
Wormuth: Mehmet hat bezüglich der Dribbling-Verhinderung recht. Aber er weiß selbst, in welchem Dilemma die NLZ-Trainer stecken. Sie wollen Ausbildung mit Erfolg verbinden, weil es am Ende auch um die Trainer selbst geht. Hier haben wir ein Problem im System, dass wir aber nicht durch verbale Äußerungen verändern können, sondern nur strukturell von oben nach unten. Aber das ist ein sportpolitisches Thema und hier bin ich raus.
SPOX: Und die Kritik an der Trainerausbildung?
Wormuth: Dass Mehmet von "Gehirnwäsche" spricht, ist für mich komplett unverständlich, weil er dabei war und weiß, dass wir den Trainer in den Mittelpunkt der Ausbildung stellen. Das heißt, dass wir vom Wissen der Trainer leben und nur die Lücken gemeinsam füllen. Wir geben nichts vor, geschweige denn, dass wir die Trainer inhaltlich manipulieren.
SPOX: Sie haben schon erwähnt, dass die Trainer bei Misserfolgen schnell auf die Abschussliste kommen. Die Fluktuation auf dem Trainermarkt ist enorm hoch, 2017 wurden allein in der Bundesliga 17 Trainer entlassen. Sind die Klubs zu nervös und haben zu wenig Vertrauen in einen langfristigen Aufbau oder fehlt es an manchen Stellen an Kompetenz in der Führung, wie Matthias Sammer meint?
Wormuth: In Ihrer Frage steckt ja schon die Antwort. Ich widerspreche ungern einem Matthias Sammer, weil er einer der Experten in unserem Land ist, der Ahnung von der Materie hat.
SPOX: Mittlerweile werden auch (Co-)Trainer während der Saison abgeworben, wie beispielsweise Peter Hermann vom FC Bayern. Sollte es eine Wechselfrist analog zu den Spielern geben?
Wormuth: Das würde ja dazu führen, dass es keine Trainer-Beurlaubungen während der Wettkampfphasen mehr geben würde. Das wäre mal ein interessanter Test.
SPOX: Auch Ablösesummen sind für Trainer keine Seltenheit mehr. Bei einem möglichen Abschied von Julian Nagelsmann im Sommer steht eine Rekordablöse im Raum. Denken Sie, dass es gerechtfertigt ist und bald normal sein könnte, für Trainer auch zehn Millionen Euro zu zahlen?
Wormuth: Ich bin in einem freien Land mit Marktgesetzen aufgewachsen. Von daher sehe ich nichts Verwerfliches in Ablösesummen für Trainer, auch in der genannten Höhe nicht. Das ist alles eine Frage zwischen Käufer und Verkäufer. Und wenn die hohen Kosten sich auf die Ticketpreise niederschlagen würden, dann geht man eben nicht ins Stadion. Was glauben Sie, wie schnell ein Verein reagieren würde, wenn die Zuschauer fehlen, Sponsoren ob der leeren Stadien abspringen und die Einnahmen sich dadurch reduzieren? Alles eine Frage von Angebot und Nachfrage.
SPOX: Auch die Öffnungszeiten des Transferfensters für Spieler werden diskutiert. Fänden Sie es gut, wenn der Kader zum Start der Vorbereitung steht und man als Trainer weiß, mit welchen Spielern man wie arbeiten kann?
Wormuth: Da habe ich seit Jahren eine ganz klare Meinung: Sobald die Saison beginnt, muss die Wechselmöglichkeit beendet sein. Über arbeitslose Spieler würde ich mit mir diskutieren lassen.
SPOX: Mit dem FC Bayern und dem BVB suchen die zwei größten deutschen Klubs zur neuen Saison Trainer. Warum tun sie sich so schwer geeignetes deutsches Personal zu finden?
Wormuth: Wer sagt denn, dass sie suchen? Vielleicht haben sie schon gefunden? Wir haben genügend Trainer auf Weltklasse-Niveau. Diese haben nur nicht die entsprechenden Mannschaften.