Darüber hinaus erinnert sich Schieber an seine Emotionen beim Wunder von Malaga und bei Kevin Großkreutz' Dönerwurf und erklärt, warum er mit der Situation beim BVB heutzutage besser zurechtkommen würde als damals.
SPOX: Herr Schieber, Sie haben sich kürzlich in Ihrer Heimat eine Kirche gekauft. Was steckt dahinter?
Julian Schieber: Das klingt untypisch und für manche etwas wahnsinnig. Aber es ist eigentlich keine große Sache. Ich habe ja nicht den Kölner Dom gekauft. (lacht) In der Nähe von Backnang stand eine kleine evangelische Kirche zum Verkauf. Momentan habe ich kein richtiges Zuhause für meine Familie, wenn wir zu Besuch sind, weil meine Schwester in meinem Haus lebt. Ich habe ein Grundstück in Backnang, auf dem ich irgendwann bauen werde. Jetzt war ich auf der Suche nach einer Übergangslösung und bin auf die Kirche aufmerksam geworden.
SPOX: Zunächst möchten Sie die Kirche als Wohnraum nutzen. Was sind Ihre Pläne auf Sicht?
Schieber: Es wäre möglich, dort beispielsweise Personal Training anzubieten. Alternativ könnte ich die Räumlichkeiten für Yogakurse, Kinderturnen oder Kochkurse vermieten. Ich muss schauen, wie es sich entwickelt. Ich glaube die Nachfrage wäre in jedem Fall da.
SPOX: Neben diesen Überlegungen sind Sie Teilhaber an einem Cafe in Backnang namens Fancy. Wann haben Sie beschlossen, dass Sie parallel zur Karriere am Leben danach arbeiten möchten?
Schieber: Das Cafe läuft, mein Kumpel ist Geschäftsführer und hat das im Griff. Ich berate gerne, kann mich da aber nicht noch mehr verwirklichen. Wenn ich morgen meine Karriere beenden müsste, stünde ich aber erst einmal ohne neue Aufgabe da. Ich bin noch auf der Suche nach einem möglichen und passenden Betätigungsfeld für mich nach der Karriere. Aktuell spiele ich aber noch Fußball, habe Vertrag, bin richtig heiß und will es mir und allen anderen beweisen. Ich bin ja auch erst 29 und habe noch etwas Zeit.
SPOX: Wenn Sie ein Zwischenfazit Ihrer Karriere ziehen, würden Sie diese als verkorkst bezeichnen?
Schieber: Nein, überhaupt nicht. Ich denke eher: Scheiße, wie schnell geht die Zeit vorbei? Jetzt bin ich selbst einer der Alten, die kein Tor im Training mehr tragen müssen. (lacht) Aber ich hatte bis hierhin eine gute Karriere und habe bei vier großartigen Bundesligavereinen gespielt. Natürlich ordne ich heute einiges anders ein und merke, dass Erfahrung sehr wichtig ist.
SPOX: Inwiefern?
Schieber: Als ich in Dortmund nicht so zum Zug kam, hatte ich nicht nur einen der besten Stürmer der Welt als Konkurrenten, sondern auch zu wenig Selbstvertrauen. Wenn du erst einmal in einer Schublade steckst, ist es schwieriger, eine Chance zu nutzen. Hätte ich damals schon die Erfahrung gehabt, den ich heute habe, hätte ich um Welten besser gespielt. Man reift ja auch als Mensch. Als junger Spieler dachte ich, das Gerede von Erfahrung ist Blödsinn. Aber es macht wahnsinnig viel aus. Du kannst Situationen einfach viel besser einordnen, wenn du sie schon mal durchlebt hast.
Julian Schieber: Stationen und die Bundesligaspiele/-tore
Jahr | Verein | Spiele | Tore |
2008 - 2010 | VfB Stuttgart | 31 | 3 |
2010 - 2011 | 1. FC Nürnberg | 29 | 7 |
2011 - 2012 | VfB Stuttgart | 18 | 3 |
2012 - 2014 | Borussia Dortmund | 35 | 3 |
seit 2014 | Hertha BSC | 40 | 10 |
SPOX: Ihre ersten Schritte haben Sie in Stuttgart gemacht. Sie sind in die A-Jugend des VfB gewechselt, als Sie noch mitten in einer Ausbildung zum Garten- und Landschaftsbauer steckten.
Schieber: Das war eine kuriose Zeit. Ich wurde von meinem Ziehvater direkt von der Baustelle abgeholt und kam mit Stahlkappenschuhen und grüner Gärtnerhose voller Flexstaub zum Training. Wenn man sich dagegen anschaut, wie heute in der A-Jugend auf Mode geachtet wird. (lacht) Insofern war es krass, wie sich alles entwickelt hat.
SPOX: Wie kamen Sie zum Entschluss, alles auf die Karte Fußball zu setzen?
Schieber: Wenn du acht bis zehn Stunden am Tag auf der Baustelle arbeitest und danach zum professionellen Training gehst, macht das der Körper nicht lange mit. Das war mir genauso klar wie dem Verein. Deswegen habe ich mich dazu entschieden, auf eine Kooperationsschule des VfB zu gehen, um dort mein Fachabitur zu machen.
SPOX: Sie sind lokal sehr verwurzelt. War es die Erfüllung eines Kindheitstraums, so früh für den VfB zu spielen?
Schieber: Hat Ihnen schon einmal jemand gesagt, dass er als Kind Bayern-Fan war? So war es bei mir auch. (lacht) Ich hatte nur Bayern-Sachen. Wir haben im Urlaub am See Mehmet Scholl getroffen und ich habe mein erstes Autogramm bekommen. Das war ein riesiger Moment. Aber als ich später in der Jugend für den VfB gespielt habe, war ich begeistert. Der VfB wurde schnell zu meinem Verein.
Julian Schieber über sein Jahr beim 1. FC Nürnberg und Ilkay Gündogan
SPOX: Dennoch haben Sie 2010 den Umweg über eine Leihe gemacht.
Schieber: Es ist immer schwierig für Spieler aus der eigenen Jugend. Früher war das noch schwerer. Das ist jetzt nicht böse gemeint, aber heutzutage ist der Respekt der jungen Spieler gegenüber den Älteren kaum mehr vorhanden. Ich habe beim VfB noch mit Jens Lehmann zusammenspielen dürfen. Wenn er reinkam, bist du als 18-Jähriger von der Massagebank gehüpft und hast Platz gemacht. Du hattest als junger Spieler aus der eigenen Jugend nichts zu melden. Deswegen war die Leihe wichtig. Ich bin als kleiner Junge gegangen und als etwas größerer Junge wiedergekommen.
SPOX: Wieso ging es zum 1. FC Nürnberg?
Schieber: Ich hatte zu der Zeit auch ein Angebot der Hertha vorliegen. Allerdings war die Hertha damals in der 2. Liga und Berlin noch einmal deutlich weiter weg. Nach Nürnberg braucht man von Stuttgart aus zwei Stunden. Für mich hat das damals auf jeden Fall eine Rolle gespielt. Das Gesamtpaket in Nürnberg hat gestimmt. Dieter Hecking war ein sehr guter Trainer, der damalige Manager Martin Bader hat mir ein vielversprechendes Konzept aufgezeigt, auf junge Leihspieler zu setzen, die beim Club den nächsten Schritt gehen sollten.
SPOX: Es lief dann ja auch gut.
Schieber: Es war mit das wichtigste Jahr meiner Karriere. Ich war jugendlich und frei, ohne Verpflichtungen. Wir waren in der Mannschaft alle auf dem gleichen Level und wollten hoch hinaus. Auch der Zusammenhalt mit den älteren Spielern war super. Raphael Schäfer, Christian Eigler - das waren astreine Kollegen, aber auch Respektspersonen. Eigler hat mir viermal vors Schienbein getreten, bevor er überhaupt meinen Vornamen wusste. (lacht) Ich verstehe mich heute noch mit allen gut. Ilkay Gündogan ist bis heute einer meiner besten Freunde.
SPOX: Wie haben Sie seine Entwicklung verfolgt?
Schieber: Wir haben uns in Nürnberg kennengelernt und später in Dortmund wieder getroffen. Ich habe mitgelitten, als er so große Schwierigkeiten mit Verletzungen hatte. Er war wegen seiner Rückenverletzung ein Jahr weg vom Fenster und wusste nicht, in welche Richtung es geht. Ilkay ist ein Kopfmensch, das hat ihn richtig runtergezogen. Insofern bin ich glücklich, dass er wieder gesund ist und konstant so überragende Leistungen abrufen kann.