Anfang Februar schien das Saisonfazit der TSG bereits geschrieben. 1:1 hatte man sich am 21. Spieltag von Hertha BSC getrennt, das insgesamt fünfte Spiel in Folge ohne Sieg. Von Rang fünf war man auf neun abgerutscht, ins Niemandsland der Tabelle. So las sich auch die Bilanz: Je sieben Siege, Remis und Niederlagen, ein Torverhältnis von -1.
Der TSG schien einfach der Dampf ausgegangen zu sein. Dreifachbelastung in der Hinrunde, dazu hatte man vor der Saison mit Sebastian Rudy und Niklas Süle quasi das Rückgrat des Teams an Bayern München verloren. In der Winterpause zog dann auch noch Sandro Wagner nach. Nicht zu kompensieren.
Und auch Trainer Julian Nagelsmann schien plötzlich etwas dünnhäutig unterwegs zu sein, schließlich gab es plötzlich Kritik in seine Richtung: Warum hatte er auch offensiv über den Job bei den Bayern sprechen müssen? Jetzt fragte sich Fußball-Deutschland, ob nicht auch der BVB etwas zu früh kommen würde. "Es gab schon Momente, in denen ich gesagt habe: Wenn es schlimmer wird, dann mache ich es nicht länger", machte Nagelsmann seinem Ärger im Kicker Luft.
Hoffenheim und Nagelsmann schon acht Spiele ohne Niederlage
Gute zweieinhalb Monate später ist die TSG plötzlich das heißeste Team der Liga, die Bayern mal ausgeklammert, spielen sie doch bekanntlich in ihrer eigenen. "Vielleicht schaffen wir es, unsere Saison zu versilbern", hatte Nagelsmann geunkt, als noch vier Punkte auf Platz sechs fehlten. Jetzt winkt sogar Gold: Nach dem 5:2 in Leipzig haben die Kraichgauer drei Zähler Vorsprung auf den siebten Rang, zur Champions League fehlen zwei Punkte.
Ein Turnaround, mit dem niemand gerechnet hätte, auch die Verantwortlichen in Hoffenheim nicht. Seit acht Spielen ist das Team ungeschlagen, gegen die Bullen gab es den höchsten Auswärtserfolg seit drei Jahren. "Ein kurioses Spiel" hatte Nagelsmann gesehen, und einen Sieg der "vielleicht ein bisschen zu hoch" ausgefallen war. Nicht so hoch wie im Hinspiel übrigens, da hatte man Leipzig nämlich vor eigenem Publikum 4:0 weggefiedelt.
Jetzt stehen noch drei Spiele an: Am Freitag geht es daheim gegen Hannover 96, danach zum VfB Stuttgart - und am letzten Spieltag reist Borussia Dortmund an. Vielleicht zum Endspiel um Platz vier und das Ticket für die Königsklasse?
Hoffenheims Restprogramm | ||
Spieltag | Gegner | Hinspiel |
32 | Hannover 96 (H) | 0:2 |
33 | VfB Stuttgart (A) | 1:0 |
34 | Borussia Dortmund (H) | 1:2 |
Wie ist die zweite Luft der Hoffenheimer im Saisonendspurt zu erklären? Gerade wenn man sich vor Augen hält, wie den Leipzigern - die zugegebenermaßen europäisch überwinterten - zuletzt die Luft ausging? Oder auch Eintracht Frankfurt. Die TSG dagegen wirkte gegen RB gierig und spielte trotz hoher Führung in der Schlussphase weiter nach vorn. 20 Tore erzielte das Team in den letzten sechs Ligaspielen, mit insgesamt 60 Treffern hat man die Marke der letzten Saison (64) beinahe eingestellt.
Hoffenheim: Mehr Training, mehr Variabilität - mehr Punkte
Nagelsmann führte die Leistungssteigerung der letzten Wochen auf die Defensive zurück, die sich viel konstanter präsentierte. Und vor allem keine Punkte mehr in den letzten Minuten herschenkte. Enorme 15 Zähler waren es, die man in der Hinrunde noch aus der Hand gab - ähnliche Schwächen gab es zuletzt nur noch selten.
Und das hat dann vielleicht doch mit dem fehlenden Europa-Auftritt unter der Woche zu tun - dem Team geht am Ende nicht mehr die Luft aus. Gleichzeitig jedoch hat Taktikfuchs Nagelsmann mehr Zeit, um sein Team perfekt auf die Gegner einzustellen. "Eine Weiterentwicklung durch Training ist bei dieser Belastung nicht möglich. Wir haben ein Problem damit, alle drei Tage so emotional aufzutreten, dass es für einen Sieg reicht", hatte er in der Hinrunde noch lamentiert.
Und so passt mittlerweile die Abstimmung in der Abwehrreihe immer besser, Nagelsmann kann problemlos von Dreier- auf Viererkette umstellen lassen, je nach Spielsituation. Die Ordnung passt, auch im Umschaltspiel, was es den Außen Nico Schulz und Pavel Kaderabek erlaubt, noch mehr Drang nach vorn zu zeigen. Kaderabek etwa startete gegen Leipzig beim 3:0 aus dem Mittelfeld, lief durch und netzte per Direktabnahme ein - sein erstes Ligator überhaupt. "Jetzt muss ich etwas in die Mannschaftskasse bezahlen", verriet er nach dem Spiel.
Hoffenheims Leistungsträger: Schulz, Gnabry und Uth in Bestform
Offensiv wird Sandro Wagner nicht mehr vermisst, die Angriffsbemühungen der TSG sind noch variabler geworden. Mal wird Uth im Zentrum von Gnabry und Kramaric flankiert, mal setzt Nagelsmann auf zwei zentrale Spitzen. Und auch ohne Wagner bietet der Kader genügend Flexibilität, um den Druck nach vorn aufrecht zu erhalten, wenn gewechselt werden muss. Adam Szalai steht bereit, die Rupps, Demirbays und Amiris zieht es ebenfalls in den Strafraum.
Ob es am entzerrten Spielplan liegt, am erhöhten Trainingspensum oder an Faktoren, die so einfach nicht zu erklären sind: Nagelsmann hat es geschafft, dass in der entscheidenden Phase gleich mehrere Leistungsträger absolute Bestform haben. Schulz etwa, der die linke Seite mit einem Laufpensum und einem Offensivdrang bearbeitet, die eigentlich auch Bundestrainer Joachim Löw nicht verborgen geblieben sein sollte. "Vielleicht wird Serge ja noch die Überraschung im WM-Kader", mutmaßt nicht nur Rosen.
Im Sturm spielt Gnabry eine sensationelle Rückrunde. Der ausgeliehene Dribbler, der nach der Saison zu den Bayern zurückkehren wird, blieb in seinen letzten 13 Einsätzen ganze zweimal ohne Scorerpunkt - auch er darf sich berechtigte Hoffnungen auf den WM-Zug machen. Nebenmann Kramaric traf im Februar und März in sieben Spielen siebenmal, und Uth legte nach sieben Scorerpunkten in vier Spielen gegen Leipzig noch einmal nach. "Egal wer spielt, wir sind alle gut drauf", bilanzierte er danach. Leipzig hat den entsprechenden Sponsor, die Flügel trugen am Samstag die Gäste.
Statistisch gesehen muss sich die Hoffenheimer Sturmreihe in den letzten Wochen also kaum vor den Bayern verstecken. Dabei wird gegen offen stehende Gegner wie RB auch mal auf Konter umgestellt, selbst wenn Nagelsmann eigentlich Fan von Ballbesitzfußball ist. Brutal effektiv wurden die Fehler des Gegner ausgenutzt, von sieben Bällen aufs Tor waren fünf drin.
Leverkusen (51 Punkte) und vielleicht auch der BVB (54) könnten für Hoffenheim (49) in den nächsten Wochen noch erreichbar sein. Sollte Nagelsmann das Team tatsächlich noch einmal in die Top 4 führen, wäre im Gegensatz zur Vorsaison die Champions League garantiert. Und der eine oder andere große Klub würde erneut ganz genau hinschauen, in den beschaulichen Kraichgau.