"Mentalität schlägt Talent." So einfach die Antwort von Roman Weidenfellers in einem Interview mit der Funke Mediengruppe vor seinem letzten Heimspiel auch klingen mochte, so legte sie doch eines der Kernprobleme des BVB in der abgelaufenen Saison schonungslos offen: "Ich appelliere an jeden einzelnen Spieler: Talent allein reicht nicht aus. Man muss sich die Dinge jeden Tag erarbeiten."
Weidenfellers Appell blieb ungehört, das anschließende Spiel gegen den Absteigskandidaten Mainz 05 am 33. Spieltag wurde eines "zum Schämen", wie Sportdirektor Michael Zorc anschließend sagte. Während Weidenfeller von der Südtribüne überschwänglich gefeiert wurde, begleiteten die Fans den Rest der Mannschaft mit einem gellenden Pfeifkonzert in die Kabine.
Das Spiel gegen Mainz offenbarte das, was der damalige Kapitän Marcel Schmelzer bereits im März prophezeite: "Wenn man nicht an die hundert Prozent herankommt bei Mentalität, Einsatz, Siegeswille, dann wird es auch in der Bundesliga schwer." Die BVB-Verantwortlichen haben mit der forcierten Suche nach einer neuen Identität und eben jenen hundert Prozent die Zeichen der Zeit erkannt - und mit Marius Wolf einen Spieler verpflichtet, dem die schmerzlich vermissten und geforderten Tugenden auch aufgrund seines wechselhaften Karriereverlaufs ins Genom übergegangen sind.
BVB holt Marius Wolf: "Den kriegst du nicht tot"
"Marius gibt immer alles, im Training wie auch im Spiel. Er ist sich auch nicht zu schade, auf Positionen zu spielen, die nominell vielleicht nicht seine Lieblingspositionen sind", sagte Trainer Niko Kovac über Wolf, der bei Eintracht Frankfurt nicht nur durch seine fünf Tore und acht Vorlagen zu einer Schlüsselfigur im System von Kovac wurde, sondern auch durch seine Einstellung und seinen Arbeitsaufwand überzeugte.
Mit im Schnitt 11,59 Kilometer pro Spiel war Wolf in der vergangenen Saison einer der laufstärksten Bundesligaspieler. Mit seinen knapp 325 Saison-Kilometer mit Abstand der laufstärkste Spieler der Eintracht. "Marius ist mit seiner Art, wie er Fußball spielt, mit seinen Läufen, oft herausgestochen. Er ist immer unterwegs, hoch und runter, den kriegst du nicht tot", schwärmte Frankfurts Sportvorstand Fredi Bobic Anfang Januar.
Dass sich Wolf in seiner Karriere zu einem so akribischen Arbeiter entwickelte, begründet sich durch seine Zeit bei Hannover 96. Dort wurde er nach nur zwei Spielen für die Profis in die Reserve abgeschoben. Für Wolf stand fest: So etwas solle ihm nie wieder passieren: "Ich habe gedacht, irgendwann wirst du deine Chance wieder bekommen. Wenn nicht hier, dann woanders", sagte er der Frankfurter Rundschau zum Jahresbeginn.
Marius Wolf beim BVB: Ein Spieler für Lucien Favre
Die Eintracht gab Wolf diese Chance und das Leihgeschäft zwischen Hannover und der SGE wurde zum Glücksfall - sowohl für den Spieler als auch für den Verein. Gleiches erhofft sich nun auch der BVB von der Wolf-Verpflichtung, denn dieser entspricht nicht nur charakterlich der viel beschworenen neuen BVB-Identität, sondern passt auch mit seinem Spielstil und seinen Fähigkeiten zur Philosophie, die Lucien Favre seinen Mannschaften in Gladbach und Nizza stets einimpfte.
Favre steht für eine Mischung aus kontrollierter und ballbesitzorientierter Offensive und einer tiefstehenden und kompakten Defensive mit explosionsartigen Umschaltmomenten. Wolf - der sich in seinem Spiel durch Dynamik, Tempo und Zug zum Tor definiert und auch Stärken im Zweikampf besitzt (75 Prozent erfolgreiche Tackles) - dürfte es nicht schwer fallen, sich in einem 4-4-2-System unter Favre zu integrieren. Allerdings legt Favre auch immensen Wert auf die Passsicherheit im eigenen Spiel.
Dort hat Wolf mit einer Passquote von knapp 71 Prozent allerdings noch unübersehbare Schwächen. Favre gilt jedoch als Förderer ehrgeiziger und disziplinierter Nachwuchstalenten und achtet dabei akribisch auf Kleinigkeiten. "Er erklärt dir zum Beispiel, wie man sich beim Blocken einer Flanke drehen muss, oder wie man zum Pass stehen und ihn dem Mitspieler in den richtigen Fuß spielen muss", sagte Alexander Ring, der bei Borussia Mönchengladbach unter Favre spielte, einst im Interview mit SPOX: "Wenn du mitziehst, macht Favre dich jeden Tag besser."
Marius Wolf wechselt zum BVB: Transfer ohne Risiko
Anders als in Frankfurt muss sich Wolf beim BVB allerdings einer härteren Konkurrenzsituation stellen. Die offensiven Flügel sind in Dortmund eigentlich keine Baustellenpositionen und prominent besetzt. Auf Wolfs angestammter rechter Seite waren in der Vergangenheit entweder Christian Pulisic oder Andriy Yarmolenko gesetzt. Angesichts der "Alles auf Anfang"-Ausrichtung, die der BVB seit Saisonende forciert, dürfte sich Wolf aber trotz der breiten Besetzung berechtigte Hoffnungen auf viel Spielzeit machen.
Selbst wenn Wolf zu Beginn noch mit seiner Rolle beim BVB oder mit dem System unter Favre aufgrund des passorientierten Spielstils fremdeln sollte, wäre das für alle Seiten verschmerzbar. Denn anders als beispielsweise beim Wechsel von Maximilian Philipp, ist der Transfer von Wolf nicht belastet von einer hohen Ablösesumme, die sofortige Leistungen fast schon unabdingbar macht. Für Philipp bezahlte der BVB im vergangenen Jahr 20 Millionen Euro, bei Wolf zog er wohl die Ausstiegsklausel in Höhe von lediglich fünf Millionen.
Der Fünf-Jahres-Vertrag, den Wolf unterschrieb, ist ein klares Signal dafür, dass der BVB langfristig mit ihm plant. Möglicherweise hat ihn der BVB sogar als Alternative oder Wachablösung für den immer wieder verletzten Rechtsverteidiger Lukasz Piszczek geholt. Der 32 Jahre alte Pole verpasste mit einem Außenbandriss insgesamt 17 Pflichtspiele in der vergangenen Saison. Wolf hat bereits bei der Eintracht in der Rechtsverteidigung ausgeholfen und sich dadurch für höhere Aufgaben empfohlen. Seine Polyvalenz könnte ihm auch beim BVB zu Gute kommen.
Marius Wolf: Stationen und Leistungsdaten der Karriere
Verein | Spiele | Tore | Vorlagen |
Eintracht Frankfurt | 38 | 6 | 11 |
Hannover 96 II | 15 | 2 | 2 |
Hannover 96 | 2 | 0 | 0 |
1860 München | 44 | 5 | 5 |