Julian Nagelsmann wechselt 2019 zu RB Leipzig: Zerreißprobe für alle Beteiligten

Jochen Rabe
21. Juni 201823:32
Julian Nagelsmann hat seine Zukunft geklärt.getty
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Julian Nagelsmann hat seine Ausstiegsklausel gezogen und wird die TSG Hoffenheim nach der kommenden Saison verlassen und zu RB Leipzig wechseln. Für den 30-Jährigen ist der Wechsel der logische Zwischenschritt in seiner Karriereplanung. Ein Engagement bei einem Konkurrenten so lange im Voraus bekannt zu geben, ist allerdings auch ein Novum und für alle Seiten mit Risiken verbunden.

Plötzlich nahm das Thema eine unglaubliche Dynamik auf. Um 17.15 Uhr ging die TSG Hoffenheim mit der Meldung an die Öffentlichkeit: Julian Nagelsmann geht nach der kommenden Saison.

"Es war mir wichtig, früh für klare Verhältnisse zu sorgen", sagte der 30-Jährige in dem Statement. Der Shooting-Star der Trainerszene wird seinen Vertrag bei der TSG also nicht bis 2021 erfüllen. Stattdessen zieht er seine Ausstiegsklausel, mit der er im Sommer 2019 aus seinem Arbeitsverhältnis herauskommt.

Die Spekulationen darüber hatte es schon lange gegeben. Als Nagelsmann die Verantwortlichen bei der TSG am Mittwochabend darüber informierte, die Klausel ziehen zu wollen, waren diese sicherlich nicht gänzlich überrascht. Erst im April hatte Dietmar Hopp über die Situation gesagt: "Ich gehe davon aus, dass er bis zum 30. Juni 2019 bei uns ist - am liebsten länger. Ich mache mir keine Illusionen. Wenn er weiterhin so erfolgreich ist, können wir ihn nicht länger halten."

Dass Nagelsmann gehen würde, war jedem klar. In Sinsheim, in ganz Deutschland. Genau das war nun offiziell.

Julian Nagelsmann wird im Sommer 2019 Trainer bei RB Leipzig

Richtig Dynamik brachten die Meldungen in die Personalie, die mit Hoffenheims Pressemitteilung Hand in Hand gingen. Nach und nach waren sich alle Medien einig: Nagelsmann wird im Sommer 2019 neuer Trainer von RB Leipzig.

Eine Stunde und ein paar Zerquetschte später bestätigte Leipzig das, was sich in den Momenten zuvor ohnehin schon zum offenen Geheimnis entwickelt hatte. Nagelsmann kommt zur Saison 2019/2020 und erhält einen Vierjahresvertrag bis 2023.

Nagelsmann-Wechsel ist ein Knall in der Bundesliga

Es ist ein Knall auf dem deutschen Trainermarkt. Und ein Novum. Dass ein begehrter Trainer zu einem Konkurrenten wechselt, ist nichts Neues. Fans von Eintracht Frankfurt können ein Lied davon singen und müssen dafür nicht einmal auf dem verstaubten Dachboden nach dem Gesangsbuch suchen.

Dass ein solcher Wechsel allerdings bereits über ein Jahr vor In-Kraft-Treten des Vertrags bekannt ist, hat noch einmal eine andere Dimension als die Personalie Kovac, die im April durchsickerte.

"Ich bin es der TSG und all ihren Mitarbeitern ebenso schuldig wie der Mannschaft und den, nicht mit ständigen Mutmaßungen um meine Person und Zukunft zu belasten", begründete Nagelsmann seinen Vorstoß, die Situation zu klären. Und auch direkt öffentlich zu kommunizieren. "Nun wissen alle, woran sie sind, und wir können uns professionell auf die anstehenden, schweren Aufgaben konzentrieren. Jeder weiß, dass ich bis zur letzten Stunde meines Engagements für die TSG brenne und alles dafür tun werde, unsere ehrgeizigen Ziele zu erreichen."

Klarheit für Hoffenheim in der Theorie besser

In der Theorie ist die angesprochene Klarheit selbstredend besser als die ewigen Spekulationen. Bereits im vergangenen Herbst hatten eben solche augenscheinlich einen negativen Effekt. Gepaart mit den üblichen Beschwerden einer ersten Europapokalsaison, schienen Nagelsmanns öffentlicher Flirt mit dem FC Bayern, Schlagzeilen über seinen Rote-Jacken-Auftritt in München und Mutmaßungen über ein Engagement als Nachfolger des scheidenden Jupp Heynckes den Trainer-Youngster und die Mannschaft aus der Bahn zu werfen.

Erst im Frühjahr, als der Hype um Nagelsmann - womöglich auch im Zuge des Hoffenheimer Formtiefs - abgeebbt war, lief es plötzlich wieder. Die TSG kletterte noch auf Platz drei und erreichte erstmals die Champions League.

Aus dieser Erfahrung heraus ist der Wunsch nach öffentlicher Klarheit freilich nachvollziehbar. Die Risiken für Hoffenheim liegen dennoch auf der Hand. Schließlich werden sie bei jeder ähnlich gearteten Situation hoch und runter diskutiert. Stichwort Lame Duck.

Nagelsmann-Wechsel: Risiken für Hoffenheim

Es stellen sich die üblichen Fragen: Was passiert, wenn die TSG in ein Leistungsloch fällt und drei, vier Spiele in Folge verliert? Wie reagiert in diesem Fall die Mannschaft? Wie die Öffentlichkeit? Wie die Fans? Was bedeutet der feststehende Abgang für Nagelsmanns Autorität? Die Liste ließe sich weiterführen.

Das Beispiel Eintracht Frankfurt zeigte erst kürzlich, wie sehr sich die Stimmung in so einer Situation gegen einen Trainer drehen kann, selbst wenn dieser hauptverantwortlich für die erfolgreiche Entwicklung der jüngeren Vergangenheit steht. Natürlich sind die Situationen nicht eins zu eins vergleichbar.

Schließlich ging es bei Kovac - aufs Wesentliche heruntergebrochen - um Kommunikation, um Vorwürfe der Täuschung. Hätte Kovac dem Narrativ nicht durch den Pokalsieg doch noch ein Happy End verpasst, wären die Bilder von einem verunsicherten Kovac vor einer pfeifenden und fluchenden Fankurve über allem anderen im Gedächtnis geblieben.

Die besondere Situation bei der TSG Hoffenheim

Nagelsmanns großer Trumpf könnte die besondere Situation bei der TSG sein. Einerseits ist der Mediendruck in Hoffenheim lange nicht so massiv wie bei einem Traditionsverein. Läuft es bei einem Klub wie der Eintracht, dem HSV, dem 1. FC Köln oder Schalke nicht, sind die Schlagzeilen deutlich bissiger und vor allem auch überregional ein größeres Thema. Qua Interesse der Leser durch höhere Mitgliedszahlen.

Darüber hinaus hat die Fanbasis der TSG nicht die gleiche Wucht wie etwa die der Eintracht. Zumal Nagelsmann spätestens mit Platz drei unantastbar ist.

Unantastbar ist er bei der Vereinsführung sowieso. Das liegt nicht zuletzt an dem Umstand, dass sich der Klub auf eben diese Situation bereits vorbereiten konnte. Das hat er mit Sicherheit auch getan.

Mit Nagelsmann dessen letzte Saison ohne Störgeräusche durchzuziehen, ist zweifelsohne möglich. Doch es wird aufgrund der üblichen Lame-Duck-Risiken eine Zerreißprobe für den Klub und für den 30-Jährigen selbst.

RB Leipzig als logischer Karriereschritt für Julian Nagelsmann

Dass Nagelsmann sich dafür entschieden hat, im kommenden Jahr zu RB Leipzig zu wechseln, lässt auf einen klaren Karriereplan schließen. Zwar hatte er in der Vergangenheit durchscheinen lassen, sich eines Tages sehr wohl bei einem der größten Klubs der Welt wie dem FC Bayern oder Real Madrid zu sehen. Auch der BVB galt als mögliches Ziel. Leipzig wirkt auf dem Weg dorthin allerdings wie ein logischer Zwischenschritt.

Der Verein steht für ähnliche Werte wie die TSG. Er setzt auf eine professionelle Infrastruktur, beste Trainings- und Akademiebedingungen, steht für jungen, modernen, schnellen Fußball.

RB Leipzig hat mehr Mittel als Hoffenheim

Nur ist eben alles ein bisschen größer und vor allem ist eines größer: das Budget. Klar hat Hoffenheim mit Dietmar Hopp auch einen Mäzen im Rücken. Dennoch ist Hoffenheims finanzieller Spielraum deutlich kleiner als der von RB.

Infolgedessen ist auch der Zwang, eigentlich jede Saison einen Neuaufbau moderieren zu müssen, bei Leipzig nicht so vorhanden.

Bei Hoffenheim verlor er im letzten Jahr Sebastian Rudy, Niklas Süle und Sandro Wagner. In der neuen Saison muss er Mark Uth und Serge Gnabry ersetzen. Wichtige Stützen fallen regelmäßig weg. Leipzig musste bis dato lediglich den Abgang von Naby Keita hinnehmen. Emil Forsberg wird vermutlich noch folgen. Dennoch ist RB nicht so sehr Durchlauferhitzer für Fußballerkarrieren wie die TSG.

Nagelsmann kann sich bei Leipzig in professionellen Strukturen auf höherem Niveau weiterentwickeln und damit wertvolle Erfahrungen sammeln, um vielleicht eines Tages - dann mit ein paar Lenzen mehr auf dem Buckel - doch noch ganz nach oben zu schielen. Oder sogar Leipzig zu "ganz oben" zu machen.

Julian Nagelsmann für RB Leipzig der prädestinierte Kandidat

Aus Leipziger Sicht ist Julian Nagelsmann der prädestinierte Kandidat. Er steht als Trainer für eben den dynamischen Offensivfußball, den sich auch RB auf die Fahne geschrieben hat. Darüber hinaus hat er jedoch in der Vergangenheit auch bewiesen, dass er seine Mannschaft je nach Anforderungen eines Gegners taktisch variabel einstellen kann. Ralph Hasenhüttl musste sich in der vergangenen Saison immer wieder anhören, dass ihm genau diese Variabilität und ein Plan B eben fehle.

Außerdem kann Nagelsmann junge Spieler entwickeln. Er hat Erfahrung als Trainer im Juniorenbereich und bei Hoffenheim unter anderem mit Dennis Geiger oder Stefan Posch bewiesen, dass er Spieler aus diesem auch in den Profibereich führen kann. In dieser Disziplin hat Leipzig ebenso Nachholbedarf.

Zwar gewinnen die Sachsen im Jugendbereich reihenweise Meisterschaften, die Durchlässigkeit zu den Profis war in den Jahren des Durchmarschs allerdings überhaupt nicht gegeben.

Als Persönlichkeit passt Nagelsmann in den Verein: jung, dynamisch, ambitioniert, aber auch nicht verlegen, klare Kante zu zeigen und auf Konfrontationskurs zu gehen.

Nächstes Kapitel der Rivalität Rangnick / Hopp

Laut der Mitteilung der Leipziger galt Nagelsmann von den ersten Sondierungsgesprächen mit Sportdirektor Ralf Rangnick und Geschäftsführer Oliver Mintzlaff als die Wunschlösung für die übernächste Saison. Logisch, aus Vereinssicht macht die Lösung ja auch Sinn und ist ein echter Coup.

Eine Fußnote des Ganzen ist, dass Rangnick Dietmar Hopp noch einmal richtig einen mitgibt. Zwischen Rangnick und seinem ehemaligen Intimus gibt es mittlerweile eine tiefe Rivalität. Diese dürfte sich durch den Nagelsmann-Transfer zumindest nicht entspannen.

Rangnick wird's egal sein, schließlich hat er seine Wunschlösung gefunden. Aber es ist eben eine Lösung für die übernächste Saison. Das bedeutet auch: Die nächste ist für Leipzig eine maximale Übergangssaison. Es geht nur darum, die Figuren irgendwie für 2019 in Position zu bringen. Eine emotional schwierige Ausgangssituation. Für den Kader, für die Fans, für den noch nicht bekannten Interimstrainer.

RB Leipzigs Spagat zwischen langfristiger Planung und kurzfristigem Erfolg

Der Spagat zwischen langfristiger Planung und Fokus auf kurzfristigen Erfolg ist ohnehin immer eine große Herausforderung. Für Leipzig ist diese in der Folgesaison jedoch maximal.

Denn aller Vorfreude auf Nagelsmann zum Trotz: Leipzig will den Trainer-Messias auch nicht ohne internationales Geschäft empfangen. Und dieser wird das auch nicht wollen ...

RB Leipzig: Alle Trainer seit 2009

ZeitraumTrainer
01.07.2016 - 30.06.2018Ralph Hasenhüttl
01.07.2015 - 30.06.2016Ralf Rangnick
11.02.2015 - 30.06.2015Achim Beierlorzer
01.07.2012 - 10.02.2015Alexander Zorniger
01.07.2011 - 30.06.2012Peter Pacult
01.07.2010 - 30.06.2011Tomas Oral
01.07.2009 - 30.06.2010Tino Vogel