SPOX/GOAL: Nach fast zwölf Jahren in Deutschland: Welche vermeintlich deutschen Eigenschaften haben Sie mittlerweile angenommen?
Traore: Der Klassiker: Pünktlichkeit. Es ist längst so, dass es mich selbst aufregt, wenn jemand nicht pünktlich ist. Ich könnte sagen, dass ich mich natürlich auch als Deutscher fühle, denn mein gesamtes Erwachsenenleben habe ich in Deutschland verbracht. Da ist es doch völlig egal, ob ich auf dem Papier Deutscher bin oder nicht. Ich lebe schon lange hier, fühle mich wohl und identifiziere mich mit vielen deutschen Werten. Ich bin ein bisschen deutsch, so fühle ich mich und so sehe ich das.
SPOX/GOAL: Haben Sie in Deutschland schon einmal einen Fall von Rassismus gegen sich erlebt?
Traore: Einmal bei einem Spiel, das war relativ am Anfang. Ansonsten nie wieder und auch im Alltag nicht. Es gibt aber natürlich eindeutig ein Problem mit Rassismus. Und das nicht nur in Deutschland, sondern so gut wie in jedem Land.
Traore über die Debatte um Mesut Özil
SPOX/GOAL: Wie haben Sie die Debatte um Mesut Özil und dessen Rücktritt aus der Nationalelf wahrgenommen?
Traore: Ich glaube nicht, dass sich Özil absichtlich zur Politik von Erdogan bekennen wollte. Vor allem der Zeitpunkt war unglücklich, wenn man bedenkt, was politisch gerade in Deutschland geschieht. Für mich ist Fußball Fußball und Politik ist Politik. Wenn beides vermischt wird, passiert genau so etwas. Klar ist: Diese Geschichte hat der Nationalelf massiv geschadet. Deutschland hat eine politische WM gespielt und keine fußballerische - das kann nicht gutgehen. Wenn es ein Problem zwischen zwei Parteien gibt, verliert immer derjenige, der nicht redet. Wenn er erst danach redet, ist es zu spät.
SPOX/GOAL: Damit einher geht unerfreulicherweise ein leichter politischer Umschwung in Deutschland. Rechtspopulisten scheinen auf dem Vormarsch zu sein. Wie gehen Sie damit um?
Traore: Angst macht es mir nicht. Für mich steht und fällt dieses Thema mit Integration und Identifikation. Die Deutschen müssen dabei helfen, Ausländer oder Flüchtlinge zu integrieren. Das geht aber nur, wenn sich die andere Seite, und sei es nur ein bisschen, mit Deutschland und seinen Werten identifiziert. Man darf auch nicht den Fehler machen, von ein paar Flüchtlingen, die zum Beispiel kriminell auffallen, auf alle anderen zu schließen. Man sollte ja auch nicht sagen, dass das, was in Chemnitz passiert ist, alle Deutschen charakterisiert.
Traore über Guinea und seine Zukunft
SPOX/GOAL: Sie sind Nationalspieler von Guinea - einem armen Land, das einen erheblichen Kontrast zu Ihrem Leben in Deutschland und Europa darstellt. Wie blicken Sie auf diesen immensen Unterschied?
Traore: Guinea ist kein armes, sondern ein sehr armes Land. Dort geht es wirklich jeden Tag ums Überleben und weniger ums Leben. Die Menschen fragen sich dort täglich, wie und ob sie heute etwas zu essen bekommen. Viele essen nur einmal am Tag. In Deutschland habe ich in Restaurants auch schon einen halbvollen Teller zurückgehen lassen. Das habe ich in Guinea noch nie gemacht. Es ist eine unvorstellbar andere Welt.
SPOX/GOAL: Wie gehen Sie damit um, wenn Sie dort zu Besuch sind?
Traore: Ich muss mich immer verstecken. Ich kann nicht auf die Straße gehen, mich kennt jeder. Ich brauche deshalb Bodyguards, weil es einfach zu gefährlich ist. Wenn ich mit dem Auto durch die Gegend fahre, habe ich immer Bargeld bei mir, um es den Leuten zu schenken, damit sie sich etwas zu essen kaufen können. Ich spende permanent, das erreicht dann meist mehrere hundert Menschen täglich. Zudem habe ich vor vielen Jahren eine Stiftung gegründet, die sich zum Beispiel für die Bekämpfung von Ebola einsetzt oder Kindern den Schulbesuch ermöglicht.
SPOX/GOAL: Sie sind jetzt 30 Jahre alt und wurden zuletzt immer wieder von Verletzungen zurückgeworfen. Wie sehen Ihre Pläne für die Zukunft aus?
Traore: Wenn ich eines Tages aufstehe und merke, dass ich keine Lust mehr auf den Fußball habe, dann höre ich umgehend auf. Sollte das morgen passieren, dann ist die Sache morgen durch und fertig. Ich habe keine Ahnung, was ich machen werde, wenn ich meine Karriere beende. Vielleicht bleibe ich im Fußball, vielleicht aber auch nicht.
SPOX/GOAL: Seit 2014 spielen Sie in Gladbach, bei keinem Ihrer bisherigen Vereine waren Sie länger. Was ist der Grund dafür?
Traore: Ich war bei jedem meiner Vereine grundsätzlich zufrieden, hatte aber nirgends das Gefühl, dort besonders lange bleiben zu wollen. In Gladbach gefiel mir, wie bis heute die Neuzugänge rasend schnell aufgenommen werden. Da denkst du nach vier Wochen gar nicht mehr daran, neu zu sein. Der Hauptgrund, weshalb ich mich hier auf Anhieb so wohlgefühlt habe, ist aber Max Eberl. Er ist weniger distanziert als andere Sportdirektoren, die ich kennengelernt habe und denen es nicht immer gefallen hat, dass ich meine Meinung sage. Max ist dagegen ein sehr offener Mensch, mit dem ich wirklich über alles reden kann. Hinzu kommt die Mentalität der Region. Die gefällt mir hier besser als es beispielsweise in Stuttgart der Fall war.
SPOX/GOAL: Haben Sie im Hinterkopf, zum Ende Ihrer Karriere noch einmal Ihr Glück außerhalb Europas versuchen zu wollen?
Traore: Nein. Ich habe keine Träume. Die Realität des Lebens ist zu hart, um zu träumen. Ich beschäftige mich permanent und viel mit der Realität meines Lebens, so dass ich keine Pläne machen kann, was in zwei Jahren sein könnte. Für mich zählt nur die Gegenwart. Ich habe Ziele, aber keine Träume.
SPOX/GOAL: Gibt es dann ein Ziel, auf das Sie rund um ein mögliches Karriereende hinarbeiten?
Traore: Wenn ich aufgehört habe, soll nur noch der Mensch übrig bleiben, weil sich dann auch mein Leben verändern wird. Es gibt einen großen Unterschied zwischen dem Fußballer Traore und dem Menschen Traore. Privat bin ich ein vollkommen anderer Mensch, da möchte ich auch heute schon nicht der Fußballspieler sein. Ich bereue auch nichts in meinem Leben. Ich bin nicht auf Menschen neidisch und möchte nicht mit jemandem tauschen. Meine Karriere ist meine Karriere. Ich habe seit zwei Jahren viel mit Verletzungen zu kämpfen, aber so sollte es eben sein.