Im Sommer beschäftigte sich Thiago Alcantara noch ernsthaft mit einem Abschied vom FC Bayern München. Eine Rückkehr nach Spanien stand im Raum, scheiterte letztlich aber nicht ausschließlich am Veto von Niko Kovac. Jetzt ist der Mittelfeldspieler plötzlich unverzichtbar im Team des Rekordmeisters - und zahlt das in ihn gesetzte Vertrauen mit mehr als nur klugen Pässen zurück.
Von einer weißbierreichen Meisterfeier des FC Bayern konnte am 20. Mai 2018 keine Rede sein. Wenige Tage nach dem knappen Aus im Champions-League-Halbfinale gegen Real Madrid und der bitteren Pleite im DFB-Pokalfinale gegen Eintracht Frankfurt war vor allem den Granden des Rekordmeisters nicht zu einem festlichen Umtrunk zumute.
"Wir brauchen Spieler, die in wichtigen Spielen überragend sind, nicht gegen Paderborn", wetterte Uli Hoeneß bei seiner Ansprache auf dem Rathausbalkon. "Der eine oder andere", so der Präsident der Münchner weiter, müsse in Zukunft "mehr leisten".
Angesprochen durfte sich in diesem Moment insbesondere Thiago Alcantara fühlen. Der spanische Schöngeist war auch in der Prime Time seiner fünften Saison an der Isar seinem Ruf als genialer Spielmacher schuldig geblieben.
Thiago dachte über Wechsel nach
Bezeichnend: Sein Auftritt gegen Frankfurt, als Jupp Heynckes ihn nach 65 Minuten für Corentin Tolisso vom Feld nahm. Thiago regte sich über seine Auswechslung auf, mit null Torschüssen und null Torschussvorlagen lieferte er seinem Trainer aber auch keine schlagkräftigen Argumente, die gegen einen neuen Impuls sprachen.
Er war zu diesem Zeitpunkt ein verzichtbarer Spieler. Und so keimten wieder die beinahe alljährliche Diskussion auf, Thiago mutiere gerade in den großen Spielen zu einem Geist. Er selbst schwieg zu dem Thema. Wie so oft. Der 27-Jährige ist eben keiner, der sein Herz auf der Zunge trägt.
Gleichwohl reifte in ihm nach dieser frustrierenden Spielzeit die Überlegung, nach einem halben Jahrzehnt in Deutschland einen Neustart zu wagen. In seiner Heimat. Um auch näher an seiner Familie zu sein.
Rückkehr zum FC Barcelona platzte
Thiago war nach Informationen von SPOX und Goal ein ernstes Thema beim FC Barcelona, der nach dem Abschied von Routinier Andres Iniesta einen neuen Ballvirtuosen suchte.
Eine Rückkehr zu seinem Jugendklub scheiterte jedoch aus zwei Gründen: Zum einen wollten die Katalanen nicht mehr als 50 Millionen Euro für ihn bezahlen, zum anderen sprach sich Heynckes' Nachfolger Niko Kovac vehement gegen einen Transfer aus.
Die Folge: Barca beschleunigte die ursprünglich erst für 2019 geplante Verpflichtung des Brasilianers Arthur von Gremio Porto Alegre. Mit den Worten "Thiago ist ein wichtiger Spieler bei uns" beendete Bayerns Vorstandschef Karl-Heinz Rummenigge schließlich die Wechselspekulationen. Ganz zur Freude von Kovac, der prompt versicherte, Thiago werde in seinen Plänen eine zentrale Rolle einnehmen. Der neue Coach sollte sein Wort halten.
Bayerns Dauerbrenner im Mittelfeld
Von 15 Pflichtspielen in dieser Saison hat Thiago 13 bestritten. Eines davon - gegen Benfica Lissabon - verpasste er wegen einer Zehenverletzung. In der Bundesliga sammelten bis dato nur Torhüter Manuel Neuer und Rechtsverteidiger Joshua Kimmich mehr Einsatzminuten (beide 810) als er (735). Eine erstaunliche Statistik, wenn man bedenkt, wie viel Konkurrenz sich auf seiner Position tummelt.
Im kovac'schen Dreier-Mittelfeld ist Thiago die einzige Konstante - entweder auf der Sechs oder aber auf der Acht. Javi Martinez, James Rodriguez, Leon Goretzka, Renato Sanches und Thomas Müller streiten sich um die beiden Plätze an seiner Seite. Berechtigterweise.
Gerade die alles andere als fußballerischen Leckerbissen gegen den VfL Wolfsburg (3:1) und Mainz 05 (2:1) haben gezeigt, wie gut Thiagos Ballsicherheit dem Spiel der Münchner tut. "Er ist ein toller Fußballer", schwärmte Kovac zuletzt von ihm.
Kovac schwärmt von Thiago
Im modernen Fußball seien solche Typen wichtig, die den Ball auch verarbeiten, "wenn ihnen andere Spieler am Rücken hängen". Der technisch versierte Rechtsfuß suche immer die vorwärtsgewandte Lösung, "nur so kannst du Dominanz ausüben", sagte Kovac.
Was Thiago aktuell noch wertvoller macht: Er weiß auch in Disziplinen zu punkten, die eigentlich so gar nicht zu seiner Spielweise passen. Genauer formuliert: Er ist sich nicht zu schade, die "Drecksarbeit" zu leisten.
Im Schnitt gewinnt er in dieser Saison 65,81 Prozent seiner Zweikämpfe - und damit zum Teil deutlich mehr als seine Mittelfeld-Konkurrenten. Gegen Mainz führte Thiago von allen Bayern-Spielern sogar die meisten Zweikämpfe (127) und spulte auch noch die meisten Kilometer (12,08, knapp vor Kimmich) ab.
Die Belohnung für seinen kämpferisch starken Auftritt: ein Tor und eine Vorlage. Jetzt muss er diese Form nur noch in den großen Spielen abrufen. Dann dürfte auch Uli Hoeneß vollends mit ihm zufrieden sein.
Bundesliga 2018/19: Bayerns Mittelfeld im Daten-Check
Spieler | Gespielte Minuten | Tore | Vorlagen | Kreierte Großchancen | Passquote in des Gegners Hälfte | Zweikampfquote |
Thiago | 735 | 1 | 1 | 1 | 86,85 % | 65,81 % |
Müller | 607 | 2 | 2 | 3 | 71,93 % | 59,32 % |
Martinez | 368 | 0 | 0 | 0 | 81,31 % | 64,15 % |
Goretzka | 417 | 2 | 1 | 0 | 73,91 % | 51,02 % |
Sanches | 232 | 0 | 0 | 0 | 86,49 % | 45,45 % |
James | 401 | 3 | 0 | 0 | 83,17 % | 50 % |