Wie meinen Sie das?
Köllner: Es ist nicht nur so, dass die Öffentlichkeit eine andere ist, es wird auch von viel mehr Menschen viel schneller über einen geurteilt. Wenn wir zum Beispiel in Dortmund 0:7 verlieren, schauen einen die Leute am Flughafen schief an, reduzieren dich damit auf dieses Ergebnis und deine Rolle im Profifußball. Als Mensch hingegen wirst du kaum noch wahrgenommen. 'Guck mal, die Versager, 0:7 verlieren und jetzt auch noch gemütlich nach Hause fliegen' - das wird nicht nur so geäußert, sondern man fühlt sich durch die Art, wie die Menschen dann mit dir umgehen, schlichtweg erniedrigt. Man wird im Profisport einerseits sehr erhöht, andererseits sofort fallengelassen. Es gibt dazwischen kaum Grauzonen. Ich kenne keinen anderen Beruf, bei dem das so extrem ausgeprägt ist. Daher ist es logisch wie nachvollziehbar, dass sich viele Protagonisten als Konsequenz daraus in ihren eigenen Mikrokosmos zurückziehen.
Weil niemand dieses Leben nachempfinden kann?
Köllner: So ist es. Es versteht dich nahezu keiner. Selbst meine Eltern und Freunde können mein Leben kaum noch nachvollziehen. Das merke ich deutlich, wenn wir beispielsweise ein Spiel verloren haben. Dann ernte ich immer viel Mitleid, aber das brauche ich gar nicht, denn das bringt uns in dem Moment einfach nicht weiter. Auf das Thema Sieg oder Niederlage haben wir einen ganz anderen Blick, denn für uns geht es darum, Fehler abzustellen und uns stetig zu verbessern. So kommt es, dass teilweise nicht einmal unser eigenes Umfeld nachempfinden kann, wie es uns in unserem Innersten geht. Uns öffentliche Personen hingegen eint unsere Wahrnehmung. Daher ist es auch tendenziell einfacher, aus dieser Gemengelage heraus eine Gemeinschaft zu bilden.
Ein anderer Vorwurf: In der Ausbildung zum Profifußballer wird zu sehr der Aspekt vernachlässigt, auch den Menschen hinter dem Spieler auszubilden und ihn auf das Leben vorzubereiten.
Köllner: Das ist ein Widerspruch, den der Jugendleistungsfußball momentan erlebt. Man hat die Trainingshäufigkeit hochgefahren. Jugend-Bundesligateams trainieren mittlerweile nahezu täglich, es wird alles professionalisiert. Viele Vereine können sich jedoch in den Altersklassen bis zur Pubertät keine Trainer leisten, die über ausreichend Lebenserfahrung verfügen. Die meisten der dort eingesetzten Trainer sind selbst im Begriff, eine Karriere zu starten und damit beruflich pubertär. Wie sollen sie Heranwachsenden dabei behilflich sein, über den Tellerrand hinauszublicken?
Heißt das: Wenn man Persönlichkeiten entwickeln möchte, sollte man selbst eine sein?
Köllner: Ja. Das ist nicht zwingend eine Frage des Alters, sondern hat vor allem mit Lebenserfahrung zu tun. Es gibt viele Trainer, die sich bemühen, die fachlich gut sind oder über eine hohe empathische Fähigkeit verfügen. Natürlich kann auch ein 28-jähriger Trainer schon eine starke Persönlichkeit haben. Doch das ist eher die Ausnahme. Man sollte vom Regelfall ausgehen.
Wie sieht der für jemanden wie Sie aus, der zuletzt in Nürnberg das Nachwuchsleistungszentrum leitete?
Köllner: Es ist schwierig, einen Trainer zu finden, der eine U12 oder U13 übernimmt. Denn das wird in vielen Fällen eben nicht derjenige sein, der zwischen 45 und 60 Jahren alt ist, über eine solide Trainer-Ausbildung verfügt und in seinem beruflichen wie familiären Leben bereits die eine oder andere Herausforderung erfolgreich gemeistert hat und in diesen Bereichen bereits etwas erreicht hat. Wenn aber gerade diese Komponenten fehlen, dann mangelt es häufig auch an der Fähigkeit, Inhalte weitergeben zu können. Durch die immer stärker vorangetriebene Professionalisierung des Unterbaus bricht uns somit ein Klientel weg, das früher neben dem eigenen Beruf noch eine Jugendmannschaft übernommen und dort sozialkompetent auf die Spieler eingewirkt hat.
Wie sähe also Ihre Lösung dieses Problems aus?
Köllner: Es gibt keine Lösung, irgendein Opfer muss man immer bringen. Fußballerisch führen wir die Spieler heute auf ein viel höheres Niveau als noch vor 15 Jahren. Das ist ein Quantensprung, doch der bringt eben auch mit sich, dass der Mensch im Fußballer zurückstecken muss, so dass das Menschliche im Fußball ein Stück weit verloren geht. Und das werden wir wohl nicht mehr grundlegend ändern können.
Das wäre schade, andererseits kann der Fußball nicht originär dafür verantwortlich sein, die Persönlichkeit eines Heranwachsenden herauszubilden.
Köllner: Korrekt. Das ist meiner Ansicht nach ganz klar eine familiäre Sache. Man hat einen Vater, eine Mutter, eventuell Geschwister und Großeltern. Deren Einflüsse sollten einen Menschen viel stärker entwickeln als das, was man dann noch aus dem Fußballverein mitnehmen kann. Doch, und da sind wir wieder beim Anfang des Gesprächs, das Lebensumfeld der heutigen Kinder und Jugendlichen hat sich im Vergleich zu dem vor 30 Jahren gewaltig verschoben. Wie viele Familien es heute gibt, bei denen beide Elternteile einer Arbeit nachgehen oder nachgehen müssen! Gerade die Bereiche Familie und Schule stoßen mittlerweile an ihre Grenzen. Man darf daher nicht den Anspruch an den Fußball haben, dass er gleichzeitig super Spieler und charakterlich einwandfreie, integre Menschen hervorbringt.
Ein Einfluss für Sie sind unter anderem Ihre engen Freunde. Diese hatten Ihnen im Sommer nach dem Aufstieg geraten, auf dem Höhepunkt aufzuhören. Nun steckt der Club im Abstiegskampf und Kritik an Ihnen ist lauter geworden. Hatten Ihre Freunde also Recht?
Köllner: Nein. Ich definiere mich ja nicht darüber, ob die Fans 'Köllner raus!' rufen. Mir geht es im Wesentlichen um zwei Dinge: Wie mein Arbeitgeber meine Arbeit bewertet und wie die Mannschaft die Dinge annimmt. Natürlich ist es nicht schön, in der Tabelle unten und dadurch in der Kritik zu stehen. Das sind unangenehme Störfaktoren, doch zugleich normale Erscheinungen des Lebens. Die gehören einfach dazu und im Idealfall meistert man sie. Zumindest muss man damit umgehen.