Und wie sieht Ihr Alltag aus?
Dr. Holst: Bei den jüngeren Mannschaften gibt es fünf oder sechs Mannschaftseinheiten pro Saison. Da läuft weniger auf individueller Ebene, es sei denn, es handelt sich um einen Problemfall.
Dr. Hesselmann: Im unteren Bereich setzen wir die Grundlagen, denn die Jungs sind ja hier, um zu kicken, um Spaß zu haben. Wenn wir mit einem U9-Spieler über den Umgang mit Druck sprechen müssten, würde hier grundsätzlich etwas falsch laufen - zum Glück ist das nicht so. Das klassische Bild vom individuellen Coaching, das man immer sieht, startet ab der U13 oder U14, weil die Jungs mit elf, zwölf erst anfangen, über sich selbst zu reflektieren.
Was sind denn typische Themen, die zur Sprache kommen?
Dr. Hesselmann: Ganz banale Dinge wie das eigene Wohlbefinden. Heimweh, Liebeskummer, und so weiter. Wenn du dich nicht wohlfühlst, bist du mit den Gedanken nicht auf dem Platz, trainierst nicht im optimalen Bereich und wir verlieren Entwicklungspotenzial. Ich bin davon überzeugt, dass der eine oder andere Spieler auch ohne uns auf den richtigen Weg kommen würde. Aber er braucht vielleicht ein Jährchen länger.
Macht es einen Unterschied, ob der Jahrgang von einem Mann oder einer Frau betreut wird? Gerade wenn die Mutter sehr weit weg ist und Sie die Ansprechpartnerin sind, Frau Dr. Holst ...
Dr. Holst: Die Ersatzmutti. (lacht) Diese Frage kommt immer und sie ist ziemlich schwierig zu beantworten - ich war schließlich noch nie ein Mann. Gefühlt würde ich sagen: nein. Mit manchen Spielern baut man schneller eine Beziehung auf. Das ist einfach so, egal ob Mann oder Frau.
Dr. Hesselmann: Jeder Sportpsychologe hat ohnehin seine eigenen Denkweisen und Ansätze, wie er mit den Spielern arbeitet. Wir haben kein Skript, das wir mit den Spielern Frage für Frage durchgehen, von daher ist es schwer zu sagen, ob es an der Person liegt oder am Geschlecht. Aber wir nehmen eigentlich kaum Unterschiede wahr.
Wie baut man eine gute Beziehung zu den jüngeren Kindern auf? Gibt es die klassischen Teambuilding-Aktivitäten von wegen: Jetzt fahren wir mal drei Tage in den Wald?
Dr. Holst: (lacht) Drei Tage in den Wald. Das sollten wir vielleicht mal machen.
"Wir sind keine großen Fans von Teambuilding"
Dr. Hesselmann: Wir sind grundsätzlich keine großen Fans von Teambuilding. Ich gehe mit den Spielern in den Wald oder den Kletterwald und danach hat das Team sich lieb? Das kann ja nicht funktionieren. Aber wir streuen am Anfang der Saison schon häufig Aktivitäten abseits des Fußballs ein, um die Jungs kennenzulernen und ein bisschen Auflockerung reinzubringen.
Dr. Holst: Gerade die jüngeren Spieler sollen uns auch ein bisschen mit Spaß assoziieren.
Dr. Hesselmann: Ansonsten sind wir jeden Tag hier: beim Training, an den Kabinen, ab und zu im Internat. So gehören wir irgendwo mit dazu. Wie der Physio: Nicht jeder Spieler sieht den Physio jeden Tag, trotzdem weiß er: Der gehört zur Mannschaft.
Dr. Holst: Wir sind auch am Wochenende hier, schauen uns die Spiele an und versuchen, mit den Jungs auch über alltägliche Sachen zu quatschen und Beziehungen aufzubauen. So wachsen sie mit uns auf und das Vertrauen ist da, wenn sie etwas älter werden und die ersten Probleme oder Fragen auftauchen.
Gehen Sie auf einen Spieler proaktiv zu, wenn er etwa im Training niedergeschlagen wirkt?
Dr. Hesselmann: Wenn wir den Spieler sehr gut kennen. Wenn man sie drei, vier Jahre kennt, sieht man das ja, wenn sie zwei Wochen lang herumlaufen wie ein Schluck Wasser in der Kurve. Aber es gibt auch andere Wege: Spieler verziehen sich zum Beispiel oft zum Physio und hängen bei ihm rum, wenn sie verletzt sind oder schlechte Laune haben. Dann kann der Physio sagen: Du hast mir jetzt dies und jenes erzählt, sprich doch mal mit deinem Sportpsychologen. Wir können auch den Trainer ansprechen. Wenn er den gleichen Eindruck hat, kann er den Spieler ermutigen, zu uns zu kommen.
Aber es gibt schon eine Schweigepflicht, oder? Man geht nicht zum Spieler und sagt: Pass auf, der Trainer hat mir dieses und jenes erzählt - jetzt pack mal aus.
Dr. Holst: Die gibt es und wir nehmen sie sehr ernst. Alles läuft über Vertrauen. Was die Spieler uns erzählen, bleibt bei uns und wird nur in Absprache mit dem Spieler mit dem Trainer besprochen. Das ist uns sehr wichtig, denn sonst kommt der Spieler einmal und nie wieder.
"Einige Eltern wollen uns vielleicht als Erziehungsersatz"
Wie sieht der Kontakt zu den Eltern aus?
Dr. Holst: Im jüngeren Bereich läuft es natürlich erst einmal über die Eltern. Von ihnen holen wir uns die Erlaubnis ein, mit den Kids zu arbeiten. Ansonsten ist der Kontakt de facto relativ gering. Es gibt Elternabende bei den einzelnen Mannschaften. Dort sind wir dabei und stellen uns vor. Außerdem haben wir eine Elternsprechstunde eingerichtet, die aber selten genutzt wird. Manchmal wenden sich Eltern über die Trainer an uns, wenn ein Junge unkonzentriert ist oder Probleme hat. Aber das ist nur ein kleiner Teil unserer alltäglichen Arbeit.
Dr. Hesselmann: Es ist schwierig einzuschätzen, wie es mit der Akzeptanz aussieht. Wir haben Eltern, die sehr froh sind über die Angebote für ihre Jungs. Wir haben aber auch Spieler, die sagen: Ich will lieber nicht, dass meine Eltern wissen, dass ich hier bin.
Dr. Holst: Es ist wie bei den Spielern: Die Eltern, die uns nicht akzeptieren wollen oder unser Angebot nicht wahrnehmen, die sieht man auch nicht. Anfeindungen oder so gibt es aber keine. Mit solchen Eltern kommen wir einfach nicht in Kontakt.
Würde es Ihre Aufgabe vereinfachen, wenn Sie zu den Eltern einen noch engeren Kontakt hätten?
Dr. Holst: Ich weiß nicht. Vielleicht würde es unseren Job auch schwieriger machen. Manchmal sind wir ganz froh, wenn wir unabhängig von den Eltern mit den Jungs arbeiten können, um ihnen ein Umfeld zu bieten, das ein bisschen stressfreier ist. Es gibt gerade im Leistungssport häufig Eltern, von denen Druck auf die Spieler ausgeht.
Dr. Hesselmann: Man muss aufpassen, dass man sich nicht von den einzelnen Gruppen instrumentalisieren lässt. Einige Eltern wollen uns vielleicht als Erziehungsersatz vor den Karren spannen oder uns dazu bringen, an ihrer Stelle mit dem Trainer zu sprechen.
Dr. Holst: Man darf es aber auch nicht zu negativ sehen. Ich finde Elternarbeit sehr wichtig, weil sie die wichtigsten Bezugspersonen für die Kids sind.