"Roman Bürki! Roman Bürki! Roman Bürki" Die Dortmunder Südtribüne wusste sehr genau, bei wem sie sich für die drei Punkte an diesem Samstagabend gegen Mainz 05 bedanken durfte. Drei am Ende schwer erkämpfte und mitunter auch erduselte Punkte.
Drei Punkte, die eben jener gefeierte Keeper in der Schlussphase mit einer grandiosen Dreifachparade inklusive Rettungstat auf der Torlinie festgehalten hatte. Dass es überhaupt den Matchwinner Bürki gebraucht hatte, sei "natürlich nicht unser Plan" gewesen, wie Marco Reus nach einer zweiten Halbzeit anmerkte, die nicht nur für ihn "einfach schlecht" und "unerklärlich" war.
Eine zweite Halbzeit, in der der FSV Mainz 05 aus dem Tabellenniemandsland, der die fünf vorangegangenen Auswärtsspiele allesamt verloren hatte, Borussia Dortmund, den Meisterschaftsaspiranten und die Heimmacht der Bundesliga schlechthin (12 Siege, 2 Remis) phasenweise im eigenen Sechzehner einschnürte.
Und das bei einem 0:2-Rückstand. Nach einer ersten Halbzeit, in der der BVB das Geschehen nach Belieben dominiert und eigentlich die richtige Antwort auf das 0:5 beim FC Bayern München am vergangenen Wochenende gegeben hatte. Einer ersten Halbzeit, nach der Mainz "eigentlich tot war", wie Reus befand. Die Wiederauferstehung der Rheinhessen am Samstag wirft erneut Fragen zur Meistertauglichkeit des BVB auf.
BVB knackt Laufrekord gegen Mainz: Von Müdigkeit keine Spur
Denn während die "toten Mainzer" plötzlich ab Minute 65 quicklebendig über das Grün marschierten und den Hausherren im umformierten 4-4-2-System mit Raute das Leben schwer machten, hingen die zuvor 45 Minuten lang sich bester Gesundheit erfreuenden Borussen gefühlt am Tropf.
"Heute waren wir nach 65 Minuten ein wenig müde", übte sich Axel Witsel in Erklärungsversuchen für den von Reus noch als "unerklärlich" eingestuften schwarz-gelben Leistungseinsbruch. "Im Laufe der Woche", so Witsel, habe man "sehr hart gearbeitet". Die Spieler seien "nicht gewohnt, wie verrückt zu trainieren". Das liege an den englischen Wochen, die seit Februar kein Thema mehr für den BVB sind. Das solle jedoch "natürlich keine Ausrede" sein. Witsel tat gut daran, dies noch einmal explizit zu erwähnen.
Denn faktisch ist der BVB körperlich eigentlich in bester Verfassung. 126,5 Kilometer lief das Team von Lucien Favre im Schnitt und stellte damit einen neuen Vereinsrekord seit Beginn der Datenerfassung 2011 auf. Von Müdigkeit also keine Spur. Woran aber lag es dann, wenn nicht an einer Überbelastung durch die vielen englischen Wochen und harten Trainingstage?
BVB-Zittersieg kein Einzelfall: Leben am Limit
Lucien Favre näherte sich der Unerklärlichkeit des BVB-Daseins in dieser Saison von zwei Seiten an. "Wir sind immer am Limit", sagte Favre und merkte richtigerweise an, dass das am Samstagabend gegen Mainz kein Einzelfall gewesen sei und die Dortmunder viele Spiele nur knapp für sich entschieden hatten.
Andererseits war es aus Favres Sicht jene Systemumstellung, die Mainz-Trainer Sandro Schwarz vorgenommen hatte, die den Dortmundern so arg zugesetzt hat. "Da hatten wir Probleme, das zu verteidigen, weil unsere Außenverteidiger zu häufig in Eins-gegen-Zwei-Situationen geraten sind", begründete Favre seine Sicht der Dinge. Eine taktische Analyse, die jedoch weitere Fragen nach sich zieht.
Wenn Favre doch schon während des Spiels bemerkte, wo das Problem gelegen hatte, warum konnte er dann nicht darauf reagieren? Favre reagierte zwar, aber falsch. Er wechselte in einer Phase, in der der BVB einen Ruhepol im Spiel dringend gebraucht hätte, zwei zusätzliche Innenverteidiger (Zagadou ab 78. und Toprak ab 89.) ein. Das tat er schon im Heimspiel gegen Hoffenheim, als der BVB sogar noch eine 3:0-Führung herschenkte.
BVB im Meisterschaftskampf: Eine Frage der Mentalität
Dass es dieses Mal anders kam und Dortmund die Führung "mit Hängen und Würgen" über die Zeit rettete, lag einzig und allein an Bürki, der einen neuen Saisonrekord an Paraden in einem Spiel aufstellte (9). Dass es aber wieder zu einem "Hoffenheim reloaded" hätte kommen können, ist mit Blick auf die Meisterschaft sehr bedenklich.
Er wollte den Begriff der Mentalität, der noch in der Hinrunde sinnbildlich für den Dortmunder Höhenflug in eben jenen von Favre angesprochenen engen Spielen stand, zwar nicht in den Mund nehmen, doch war es genau das, was Bürki seiner Mannschaft vorwarf. Der Matchwinner hatte Redebedarf nach dieser zweiten Halbzeit - nicht nur mit den Medienvertretern, sondern auch mit seinen Mitspielern.
"Ich muss ehrlich auch nochmal mit den Jungs reden", sagte Bürki in den Katakomben des Westfalenstadions: "Ich will wissen, wie sie das sehen und wo sie den Grund sehen, ob irgendwas nicht klar war, ob sie vielleicht kaputt waren. Es kann nicht sein, dass wir im eigenen Stadion von Mainz - bei allem Respekt - so hinten reingedrängt werden und gar nicht mehr Fußball spielen."
Bürki warf seinen Vorderleuten Zweikampfverweigerung vor und kritisierte besonders das Verhalten bei eigenen Gegenstößen in der Schlussphase: "Das darf einfach nicht sein, dass wir bei einem Angriff mit vier Leuten nach vorne laufen, aber dann nicht zurückkommen."
Reus erklärt das "Unerklärliche": "Eine Frage des Kopfes"
So werde es gegen jeden Gegner schwierig, merkte Bürki an - auch gegen einen, für den es im Gegensatz zum BVB eigentlich um nichts mehr geht. Der Klassenerhalt der Mainzer ist bei zwölf Punkten Vorsprung auf den Relegationsplatz nur noch reine Formalität und dennoch zeigten die Rheinhessen viel mehr Biss, Einsatz und Willen in der Schlussphase.
Das war auch Reus aufgefallen. Und jener Reus, für den die zweite Halbzeit noch so "unerklärlich" gewesen war, erklärte dann doch noch das "Unerklärliche". "Natürlich ist es irgendwann auch eine Frage des Kopfes, das spielt einfach eine Rolle", stellte der BVB-Kapitän klar. Damit müsse man leben, dagegen ankämpfen, "mit Lockerheit und Spaß".
Davon war in den vergangenen Wochen jedoch nicht viel zu sehen. Schon eine Woche vor dem Debakel in München fehlte dem BVB gegen Wolfsburg der unbändige Wille und die gesunde Aggressivität in den direkten Duellen, um sich Spitzenmannschaft und Meisteranwärter schimpfen zu können.
Das wiederholte sich in der zweiten Halbzeit gegen Mainz nun. Favre sah jedoch nicht die große Problematik: "Wir haben gewonnen, nur das Ergebnis zählt." Das stimmte zwar an diesem Abend. Fragt sich nur, wie lange noch. Ein Leben am Limit eben.
Bundesliga-Tabelle: BVB wieder vor dem FC Bayern
Platz | Team | Sp. | Tore | Diff | Pkt. |
1. | Borussia Dortmund | 29 | 68:36 | 32 | 66 |
2. | Bayern München | 28 | 74:28 | 46 | 64 |
3. | RB Leipzig | 29 | 55:22 | 33 | 58 |
4. | Eintracht Frankfurt | 28 | 56:31 | 25 | 52 |
5. | Borussia M'gladbach | 29 | 48:35 | 13 | 51 |
6. | Werder Bremen | 29 | 52:41 | 11 | 46 |
7. | Bayer Leverkusen | 29 | 51:48 | 3 | 45 |