BVB-Abwehrprobleme: Wie Borussia Dortmund eine alte US-Weisheit dehnt

Der BVB hat in dieser Saison keine sattelfeste Abwehr.
© getty

Unter dem Druck des Gewinnen-Müssens hat Borussia Dortmund seine Leichtigkeit der Hinrunde mit einer defensiven Instabilität ersetzt, die in den letzten Wochen mehr als einen Trend darstellt. Wie lässt sich diese Anfälligkeit in der BVB-Defensive begründen?

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In der Regel würde der Chef nach dem letzten Heimspiel der Saison sprechen, hieß es vor der Pressekonferenz von Borussia Dortmund am vergangenen Samstag gegen Fortuna Düsseldorf. Geschäftsführer Hans-Joachim Watzke hatte sich aufs Podium begeben, doch von einer Regel kann zumindest in den letzten beiden Spielzeiten keine Rede sein - da nämlich fehlte Watzke zum entsprechenden Zeitpunkt.

Watzke sah sich offenbar gezwungen, vor dem Meisterschaftsshowdown am kommenden Wochenende die Saison des BVB noch einmal einzuordnen. Die sei nämlich, und da hatte er freilich Recht, eine sehr gute - ganz egal, ob am Ende der Titel stehen würde oder nicht.

Man kam allerdings nicht umhin, Watzkes dann doch überraschenden Auftritt auch als proaktiven Gegenangriff zu werten, um in Dortmunds letzter Woche der Saison keine vermeintlich unnötigen Diskussionen aufkommen zu lassen. "Die Mannschaft hat heute brutalen Druck gehabt. Aber der Druck, der wandert jetzt weiter nach Süden - das ist auch klar", sagte Watzke und schon war vielmehr der echte Grund für seine Teilnahme an der PK klar.

BVB-Abwehrprobleme: Ganz gewiss keine Phantom-Diskussion

Der BVB könne jetzt nur noch gewinnen, fuhr der BVB-Boss fort: "Es gibt keinen Druck mehr. Das ist eine Phantom-Diskussion." Angesichts der Tatsache, dass die Borussia am Samstag in Gladbach zwingend gewinnen muss, um die Meisterchance aufrecht zu erhalten, erscheint Watzkes These etwas steil. Nicht auszumalen nämlich, sollte der FC Bayern sein Heimspiel gegen Frankfurt tatsächlich verlieren und der BVB am Niederrhein nur deshalb nicht die Schale holen, weil sich ein Trend der letzten Wochen, ja beinahe Monate, fortsetzt.

Denn dass der BVB unter dem Druck des Gewinnen-Müssens seine in der Hinrunde noch erstaunlich konstante Leichtigkeit zu großen Teilen verloren und sie mit einer teils bedenklichen defensiven Instabilität ersetzt hat, ist ein Fakt und ganz gewiss keine Phantom-Diskussion.

Untermauert werden Dortmunds Abwehrprobleme, die besonders in den Partien gegen Hoffenheim (3:3), Augsburg (1:2), Bayern (0:5), Mainz (2:1), Schalke (2:4), in Teilen Bremen (2:2) und zuletzt Düsseldorf (3:2) offensichtlich geworden sind, von nackten Zahlen.

BVB dehnt alte Weisheit aus dem US-Sport

Insgesamt vier Bundesliga-Mannschaften weisen aktuell eine geringere Anzahl an Gegentoren auf als Meisteranwärter Dortmund. Zieht man lediglich die Rückrundentabelle heran, sind sogar neun Teams defensiv stabiler. 44 Mal klingelte es bereits im Kasten der Schwarzgelben - in der Geschichte der Liga holten nur drei Vereine mit einer solchen oder schlechteren Bilanz die Meisterschaft (zuletzt Kaiserslautern 1990/91 mit 45 Gegentreffern). Der BVB hat die alte Weisheit aus dem US-Sport "Offense wins games, defense wins championships" also insofern gedehnt, dass er eben trotzdem noch die minimale Möglichkeit auf die neunte Schale seiner Historie besitzt.

Wie lässt sich diese Anfälligkeit in der Defensive begründen? In erster Linie vor allem an der geringen Eingespieltheit der Dortmunder Viererkette. Trainer Lucien Favre musste im Laufe der Saison beinahe permanent das Personal wechseln, weil Spieler länger verletzt oder gesperrt waren, manche kurzfristig ausfielen.

Dies erschwerte es dem Coach, funktionierende Automatismen und eine gewisse Verlässlichkeit zu etablieren. Zur Verdeutlichung: Dan-Axel Zagadou stand in der Liga nur in 17 von 33 möglichen Partien auf dem Platz, Lukasz Piszczek in 19, Achraf Hakimi in 21, Manuel Akanj in 24 - ideal ist anders.

Standardsituationen - Dortmunds größte Schwäche

Die größte Schwäche des BVB ist jedoch das teils slapstickartige Verteidigen von Standardsituationen. Die Klatsche beim FC Bayern stellte diesbezüglich einen erschreckenden Tiefpunkt dar, als gerade in der ersten Halbzeit ausnahmslos jeder ruhende Ball der Münchner brandgefährlich wurde.

Doch auch die Drei-Tore-Aufholjagd von Hoffenheim, der aufgrund der Schlussphase schmeichelhafte Heimsieg gegen Mainz sowie die finalen Minuten im Duell mit Düsseldorf, als die in Unterzahl (!) agierende Fortuna nach einem Freistoß in der letzten Sekunde (!!) am langen Pfosten drei (!!!) freistehende Mann fand, lieferten ausreichend Anschauungsmaterial.

Dortmund hat in dieser Hinsicht die Bilanz eines Absteigers: 17 Gegentore nach Standards werden nur von Hannover (20), Freiburg und Leverkusen (je 19) überboten. Anteilig kassierte keine Mannschaft so viele Gegentore nach ruhenden Bällen wie der BVB, nämlich 39 Prozent.

Die lasche Verteidigungshaltung ist auch in der Mannschaft Thema, wie Keeper Roman Bürki unlängst ungewohnt deutlich in der Sport Bild kundtat: "Wir Spieler haben immer wieder Argumente gebracht, um vielleicht etwas zu ändern. Da haben wir auch den Trainer miteinbezogen. Aber irgendwann gehen uns die Argumente aus. Vielleicht sind wir einfach nicht gut genug."

Kein Team patzt individuell häufiger als der BVB

Ein Grund für die Unterlegenheit in der Luft ist, dass der Borussia die Abwehrkanten abgehen, wenn man dafür die Körpergröße zugrunde legt. Einzig Zagadou misst über 1,90 Meter und siehe da, der 1,96-Meter-Franzose zeigte in dieser Saison statistisch die konstant besten Abwehrleistungen beim BVB: Mit 67 Prozent gewonnener Duelle ist er Dortmunds bester Zweikämpfer, auch bei den klärenden Aktionen pro 90 Minuten liegt er teamintern auf Rang eins.

Auch er war allerdings nicht vor Aussetzern gefeit, die zu Toren des Gegners führten - Robert Lewandowskis 2:0 in München lässt grüßen. Das ist die dritte Defensivbaustelle der Borussia, denn keinem Team in der Liga unterliefen mehr individuelle Fehler vor Gegentoren. Bitter vor allem, dass acht der insgesamt neun Patzer in der Rückrunde geschahen, vier davon durch die Torhüter (dreimal Bürki, einmal Marwin Hitz).

Addiert man diese zu den zwölf Standard-Gegentoren, die sich der BVB allein in der zweiten Saisonhälfte fing, hat man bereits einen Großteil der Erklärung zusammen, weshalb die Westfalen einen im Vergleich zur Hinserie 53-prozentigen Anstieg an Gegentreffern zu verzeichnen haben.

"Das ist in der Rückrunde zu unseren Ungunsten gelaufen", lautete die gewohnt nüchterne Analyse von Sportdirektor Michael Zorc im kicker. "Am Ende sieht man das auch in der Punkteausbeute." Anders als Watzkes Einlassungen ist dem uneingeschränkt beizupflichten.

Meiste individuelle Fehler vor Gegentoren 2018/19: BVB führt

PlatzTeamAnzahl
1Borussia Dortmund9
2Borussia Mönchengladbach7
2VfB Stuttgart7
4TSG 1899 Hoffenheim6
41. FC Nürnberg6
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