Kevin Volland von Bayer Leverkusen im Interview: "Dann nehme ich jedes Bierzelt in Bayern mit"

Dennis Melzer
18. Oktober 201916:54
Kevin Volland mit seinem Teamkollegen Kai Havertz.getty
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Kevin Volland von Bayer Leverkusen spricht im Interview mit SPOX und Goal vor dem Auswärtsspiel der Werkself bei Eintracht Frankfurt (ab 20.15 Uhr live auf DAZN und im LIVETICKER) über sein Leben im Internat von 1860 München, falsche Freunde und warum er einst zu den Löwen und nicht zum großen FC Bayern wechselte.

Volland erklärt auch, welche wichtigen Tugenden in der Jugendarbeit kaum noch vermittelt werden und wie er den Eishockeyschläger gegen die Fußballschuhe eintauschte. Zudem hält er einen Rat für seinen umworbenen Teamkollegen Kai Havertz bereit und äußert sich zu Anfeindungen im Netz.

Herr Volland, Ihr Vater Andreas war Eishockey-Profi, gewann 1994 sogar die deutsche Meisterschaft mit Hedos München. Können Sie sich noch an seine aktive Zeit erinnern?

Kevin Volland: Als mein Vater seine erfolgreichste Phase in München hatte, war ich erst zwei Jahre alt und habe fast nichts davon mitbekommen. Glücklicherweise hatte mein Opa die Spiele auf Videokassetten aufgenommen. So konnte ich mir die WM und viele Vereinsspiele wenigstens anschauen, als ich ein kleiner Bub war. Zum Ende seiner Karriere hat er in der zweiten Liga und in der Oberliga gespielt. Daran kann ich mich noch erinnern, weil wir mit der Familie häufig ins Stadion gefahren sind.

War Ihr Vater auch aus sportlicher Sicht ein Vorbild für Sie?

Volland: Auf jeden Fall, meine Geschwister und ich waren und sind immer noch sehr stolz auf unseren Vater. Wenn wir seine Spiele angeschaut haben, sind wir danach sofort in den Keller gelaufen und haben dort Streethockey gespielt. Mein Bruder und ich haben seine Aktionen oft nachgestellt. Auch draußen im Hof. Dann musste einer ins Tor und der andere ist mit dem Eishockeyschläger zum Penaltyschießen angetreten.

Sie haben zunächst Eishockey im Verein gespielt. Warum tauschten Sie den Schläger gegen Fußballschuhe?

Volland: Eishockey ist besonders im jungen Alter mit sehr viel Aufwand verbunden. Meine Mutter musste meinem Bruder und mir immer beim Umziehen helfen, die Fahrt zum Training dauerte eine halbe Stunde. Mit dem Fußball ist und war es einfacher. Du gehst einfach raus in den Garten oder auf den Bolzplatz und schon kann es losgehen. Als ich sieben Jahre alt war, hat mir Fußball außerdem mehr Spaß gemacht. Deshalb habe ich mich für den Fußball entschieden.

Eine Entscheidung, die Ihren Vater schmerzte?

Volland: Nein, das war gar kein Thema für ihn. Eltern spüren, wozu man mehr Lust hat. Meinen Eltern war es wichtig, dass meine Geschwister und ich viel Zeit an der frischen Luft mit unseren Freunden verbringen. Sie hätten mich niemals dazu gedrängt, Eishockey zu spielen.

Ihr Bruder Robin ist zwei Jahre jünger als Sie. Haben Sie sich beim Fußballspielen im Garten oder auf dem Bolzplatz gegenseitig gepusht?

Volland: Robin war als Kind etwas ruhiger und hatte nicht so viele Hummeln im Hintern wie ich (lacht). Er hat zwar mit mir gekickt, aber ich hatte einfach viel mehr Energie und wollte immer weitermachen. Als Kinder haben wir von morgens bis abends Fußball gespielt. Robin ist dann meistens nachmittags heimgegangen, weil er platt war. Ich habe ihn dann immer wieder überredet, dass wir im Hobbykeller abends um acht Uhr noch Eins-gegen-Eins auf Hockeytore spielen. Wir haben uns häufig duelliert. Hätte es ihn nicht gegeben, wäre ich wahrscheinlich kein Fußballprofi geworden.

Wann haben Sie festgestellt, dass Sie besser Fußball spielen können als andere Jungs in Ihrem Alter?

Volland: Da müsste man meine ehemaligen Kollegen fragen. Als ich bei den Bambinis und später in der E-Jugend gespielt habe, hatte ich das Gefühl, dass ich mich gut gegen meine Gegenspieler durchsetzen konnte. Ich bin von hinten nach vorne durchgedribbelt, habe quergelegt oder selbst Tore geschossen. Es soll nicht überheblich klingen, aber das Talent war definitiv vorhanden.

Kevin Volland und Stefan Aigner 2011 bei einem Spiel für den TSV 1860 München.getty

Als 15-Jähriger sind Sie zu 1860 München gewechselt. Wie sind die Löwen auf Sie aufmerksam geworden?

Volland: Meine vorherigen Stationen waren damals der FC Memmingen und die TSG Thannhausen. Mit diesen Klubs habe ich meistens gegen den Abstieg aus der höchsten Jugendliga gespielt. Ich wurde dennoch in die Bayern-Auswahl berufen und spielte im Zuge dessen mit den Jungs von 1860, dem FC Bayern und Augsburg zusammen. Vermutlich wurde Sechzig in dieser Zeit auf mich aufmerksam.

Sie lebten bei 1860 im Internat. Wie schwer fiel Ihnen der Schritt, die Heimat zu verlassen?

Volland: In meinem Elternhaus lief alles sehr familiär ab. Zudem hatte ich in der Heimat viele gute Kumpels und einen tollen Freundeskreis. Deshalb bedeutete das Internatsleben schon eine extreme Umstellung für mich. Immerhin war ich im nahegelegenen München untergekommen und somit nicht allzu weit weg von Zuhause.

Wie kann man sich einen "normalen" Tagesablauf im Internat vorstellen?

Volland: Man wird sehr früh selbstständig und verspürt erstmals Leistungsdruck. Nicht nur im Sport, sondern auch in der Schule. Wenn man in der Schule Unsinn anstellte, durfte man am Abend nicht trainieren. Meine Freunde und ich trafen uns um sieben Uhr morgens zum Frühstück und fuhren 45 Minuten mit der S-Bahn nach Taufkirchen in die Sportschule. Der Unterricht ging bis halb fünf, im Anschluss sind wir wieder heimgefahren. Um sieben Uhr stand das Training an, später aßen wir gemeinsam zu Abend. Danach mussten wir uns den Schulaufgaben widmen.

Klingt nach einem harten Alltag.

Volland: Es war definitiv hart. Aber rückblickend war es eine sehr gute Lektion.

Welche Tugenden bekamen Sie im Internat vermittelt?

Volland: Bei 1860 standen Disziplin, hartes Arbeiten und Mannschaftsdienlichkeit im Vordergrund. Das können Lars und Sven Bender oder Julian Baumgartlinger sicherlich bestätigen. Ich glaube, darauf wird heutzutage weniger Wert gelegt.

Inwiefern?

Volland: Es gibt A-Jugend-Spieler, denen ständig gesagt wird, wie viel Talent sie haben. Wenn man bei den Profis mittrainieren darf, muss man aber Gas geben. Außerdem sollte man schauen, wie man den Teamkameraden helfen kann - sei es beim Tragen der Trainingstore oder des Ballnetzes. Es geht um Demut. Die Jungs sollten es nicht als selbstverständlich erachten und davon ausgehen, sofort zig Bundesligaspiele machen zu dürfen. Das ist nämlich nicht die Wahrheit.

Auch der FC Bayern lud Sie damals zum Probetraining ein. Warum entschieden Sie sich dennoch für den Stadtrivalen?

Volland: Ich habe bei 1860 die größeren Chancen gesehen, Profi zu werden. Die Löwen legten damals großen Wert auf Jugendarbeit und waren hinsichtlich der ersten Mannschaft auf gute Eigengewächse angewiesen. Bei den Bayern war das anders. Sie hatten schon zu dieser Zeit einen herausragenden Kader und die Mittel, Weltklassespieler zu verpflichten.

Im Anschluss an Ihre Internatszeit lebten Sie mit Ihrem Teamkollegen Markus Ziereis in einer Münchner WG. Wie kam es zu dieser Entscheidung?

Volland: Markus Ziereis ist mein allerbester Kumpel. Wir verstehen uns blind. Das ist meiner Meinung nach ganz wichtig, wenn man zusammen in eine WG zieht. Nach drei Jahren im Internat wollten wir nicht mehr nachfragen müssen, ob wir ins Kino oder mit Freunden Essen gehen dürfen. Der Schritt war richtig, und wir hatten eine sehr coole Zeit.

Wie viel Bier floss im Hause Volland/Ziereis?

Volland: Es gehört dazu, mal ein Bierchen zu trinken. Das haben wir auch gemacht, wenn wir zum Beispiel dann und wann unsere FIFA-Abende an der Konsole ausgerichtet haben. Das ist ein Stückchen Lebensqualität. Allerdings nicht zwei Tage vor einem Spiel. So viel Selbstdisziplin hatten wir dann doch.

Wer hat bei FIFA gewonnen?

Volland: Früher war ich besser als Zier, aber mittlerweile zieht er mir die Hosen aus (lacht).

Wie viel Zeit bleibt einem Profifußballer, um Freundschaften zu pflegen?

Volland: Gute Freunde und eine intakte Familie sind das Wichtigste überhaupt. Meine Kumpels sind alle vom selben Schlag. Wir versuchen, uns so häufig wie möglich zu treffen. Seit viele von uns liiert sind, ist unsere Gruppe noch größer geworden. Wir fahren auch regelmäßig gemeinsam in den Urlaub.

Haben Sie auch Erfahrungen mit "falschen Freunden" gemacht?

Volland: Bei einigen Menschen habe ich mich schon gefragt: "Mag derjenige mich tatsächlich oder gefällt ihm die Tatsache, dass ich als Fußballer in der Öffentlichkeit stehe?" Nach einer gewissen Zeit konnte ich gut einschätzen, wer zu welcher Gruppe gehört.

Können Sie diesbezüglich ein konkretes Beispiel nennen?

Volland: Von manch einem hört man viele Jahre lang nichts und plötzlich schreibt derjenige über WhatsApp, fragt nach einem Trikot oder möchte Karten haben. Wenn man in einem Leistungstief steckt, ist wieder Funkstille. Dann schießt man ein Tor und derjenige meldet sich wieder. Ich glaube, dass viele Fußballprofis ähnliche Erfahrungen gemacht haben.

Nach der erfolgreichen Qualifikation für die Champions League gab es ein amüsantes Instagram-Video, das Sie und Kai Havertz bei einer Performance von "Can you feel the love tonight" zeigt. Wie kam es dazu?

Volland: Wir waren mit der gesamten Mannschaft in Barcelona, das war die geilste Mannschaftsfahrt meiner Karriere. Das werden die anderen Jungs bestätigen. Ich glaube, in dem Video von Kai und mir sieht man, dass wir eine tolle Einheit sind. Es waren zwar nur vier Zuschauer in dieser Karaoke-Bar, aber wir haben uns gefühlt, als würden wir vor 10.000 Menschen singen. Solche Abende gehören nach einem aufreibenden Jahr einfach dazu.

Wünschen Sie sich häufiger solche Abende?

Volland: Das kommt nach der Karriere. Dann nehme ich erst einmal jedes Bierzelt in ganz Bayern mit (lacht).

Kevin Volland mit seinem Teamkollegen Kai Havertz.getty

Apropos Kai Havertz - wie haben Sie ihn wahrgenommen, als er zum ersten Mal beim Training auftauchte?

Volland: Man hat sofort gesehen, dass Kai ein begnadeter Fußballer ist. Er war zwar groß, aber noch nicht so athletisch wie jetzt. Ich kann mich noch an einen Zweikampf mit ihm erinnern. Ich sagte mir: "Ach, den A-Jugendspieler koche ich mit meinem Körper locker ab." Ich musste jedoch feststellen, dass Kai robuster war, als ich dachte. Und er hat sich immer wissbegierig gezeigt, will ständig dazulernen.

Wie tritt er mittlerweile in der Kabine auf?

Volland: Er ist in der Kabine ein sehr lustiger Kerl, mit dem man herumblödeln kann. So muss das in dem Alter auch sein. Dafür übernimmt er auf dem Platz schon sehr viel Verantwortung.

Havertz zählt zu den umworbensten Talenten Europas, beinahe täglich gibt es neue Gerüchte hinsichtlich seiner Zukunft. Was würden Sie ihm in dieser Phase raten?

Volland: Er sollte sich mit seinen Eltern zusammensetzen und eine Entscheidung treffen, hinter der er zu 100 Prozent steht. Er darf auf keinen Fall Magenschmerzen dabei haben, das verheißt nie etwas Gutes. Mein simpler Rat an ihn wäre: Mach' das, worauf du wirklich Bock hast.

Im vergangenen Winter kam mit Peter Bosz ein neuer Trainer nach Leverkusen. Was ist er für ein Typ?

Volland: Er kann als Motivator auftreten, aber ebenso ganz sachlich erläutern, was er von uns erwartet. Peter Bosz gibt uns immer einen Plan mit an die Hand und zeigt uns anhand von Spielszenen gewisse Szenarien auf, die eintreten könnten. Das hilft vor allem in schwierigen Phasen ungemein.

Wird es auch mal lauter in der Kabine, wenn es nicht läuft?

Volland: Natürlich, das ist auch schon passiert. Er erwartet von uns immer das Maximum. Die Messlatte liegt hoch, weil wir schon viele gute Spiele unter ihm gezeigt haben. Deshalb ärgert es ihn, wenn es nicht so läuft, wie er sich das vorstellt. Er weiß ganz genau, dass wir es besser können. Dass er dann lauter wird, ist vollkommen nachvollziehbar.

Hat sich Bayer 04 unter Bosz taktisch weiterentwickelt?

Volland: Auf jeden Fall. In seinem System muss aber jeder seine Rolle ausfüllen. Sobald sich ein Spieler herausnimmt, wird es schwer - vor allem für die Defensivspieler. Das Verteidigen fängt bei den Angreifern an, wir müssen uns zu 100 Prozent an den Plan des Trainers halten. Wenn uns das gelingt, geht sein Plan auf - und wir machen den Schritt auf ein neues taktisches Level.

Kevin Volland mit Leverkusen-Trainer Peter Bosz.getty

Dennoch wird Bosz' Taktik häufig als zu risikobehaftet betrachtet.

Volland: Es gibt doch nichts Besseres als einen Trainer, der eine klare Vorstellung hat und diese auch durchzieht. Natürlich ist die Spielweise in gewissen Situationen risikobehaftet. Aber wenn wir das Geforderte umsetzen, erkämpfen wir die Bälle früh und haben einen kurzen Weg zum Tor. Wenn wir abschalten, ergeben sich Lücken und es wird brenzlig.

Sie wurden in der Vergangenheit teilweise aus dem eigenen Fanlager via Social Media beleidigt und als Sündenbock ausgemacht. Wie gehen Sie damit um?

Volland: Tatsächlich wurde das Thema vor allem von der Presse aufgegriffen. Ich denke, dass man bei jedem Spieler in den vergangenen zwei Jahren irgendwelche anonymen Schmähungen finden kann. Wahrscheinlich bekommt man als gestandener Spieler mehr ab als die jungen Talente, die sich noch in der Entwicklungsphase befinden. Das ist aber auch gut so.

Kevin Volland im Steckbrief

Geburtstag30. Juli 1992
GeburtsortMarktoberdorf
PositionSturm
Starker FußLinks
ProfivereineTSV 1860 München, TSG 1899 Hoffenheim, Bayer Leverkusen

Shkodran Mustafi sagte zuletzt im Interview mi dem Spiegel, dass er sich wie eine "Zielscheibe" fühlt. Wie bedenklich sind solche Tendenzen?

Volland: Wenn du ein Tor schießt, bekommst du deine Likes. Wenn du verlierst, bist du der Sündenbock. Es gibt in den Sozialen Medien nur schwarz oder weiß. Die Leute, die anonym ihre Kommentare absondern, sollten sich wirklich hinterfragen, ob das der richtige Weg ist. Mich würde interessieren, ob die Hater einem das, was sie in ihren Kommentaren schreiben, persönlich ins Gesicht sagen würden. Das glaube ich nämlich nicht.

Haben Sie schon einmal über Social-Media-Detox nachgedacht?

Volland: Nein, gar nicht. Zu 80 Prozent erreicht mich positives Feedback. Ich habe mich auch mal aus Interesse auf den Seiten anderer Spieler umgeschaut. Da findet man genauso viele Verblendete.

Wen würden Sie als Ihren bislang besten Gegenspieler bezeichnen?

Volland: Nach dem Spiel bei Juve würde ich Juan Cuadrado nennen. Er hat mir das Leben ziemlich schwer gemacht. Ich wusste im Vorfeld, dass er ein toller Offensivspieler ist, hatte aber gedacht, dass er in der Defensive seine Schwächen hätte. Dann stand er mir ständig auf den Füßen.

Und wer war Ihr bislang bester Mitspieler?

Volland: Da hatte ich schon viele. Mit Roberto Firmino habe ich mich bei Hoffenheim sehr gut verstanden. Wir haben uns gegenseitig viele Tore aufgelegt. Er war ein toller Mitspieler. Auch mit Kai Havertz und Julian Brandt hat es in der vergangenen Saison super funktioniert. Generell kann ich mich bei Leverkusen nicht über meine Mitspieler beschweren. Wir haben schon eine super Truppe.