Amine Harit vom FC Schalke 04 im Interview: "Ich dachte, ich wäre stärker und könnte die Gedanken verdrängen"

Amine Harit wechselte 2017 zum FC Schalke 04.
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Schließlich sind Sie 2017 nach einer Saison mit 34 Pflichtspielen, einem Tor und einer Vorlage zu Schalke 04 gewechselt. Waren Sie von den vielen Angeboten, die Sie damals bekamen, überrascht?

Harit: Ja und nein. Ich hatte es erwartet, da ich keine schlechte Saison gespielt habe. Meine Statistiken waren nicht herausragend, aber ich habe gute Spiele abgeliefert. Dazu war ich jung und heutzutage wird eben sehr viel Wert auf junge Spieler gelegt. Aber klar, ein Jahr zuvor habe ich noch für Nantes in der Reservemannschaft gespielt, plötzlich lagen mir gute Angebote von tollen Klubs vor. Das ging wirklich alles extrem schnell. Es hat mich überrascht, aber auch stolz gemacht.

Nantes-Präsident Waldemar Kita wollte Sie nicht verkaufen und hat rund um Ihren Wechsel gesagt, dass Sie einen Zirkus veranstalten und quasi streiken würden, um den Verein zu verlassen. Wieviel Wahrheit steckt dahinter?

Harit: Manches ist wahr. (lacht) Ich war bei der U20-WM in Südkorea und hatte deshalb später als alle anderen Urlaub. Eigentlich hätte ich einen Monat lang Pause gehabt. Zu diesem Zeitpunkt war ich mit Schalke bereits einig, aber die Vereine mussten noch verhandeln. Nantes hat aber zu viel Geld verlangt. Als ich erfuhr, dass die Verhandlungen stocken, hätte ich schon wieder zum Verein zurückkehren müssen. Das habe ich dann aber nicht gemacht, weil es dann nur zwei Wochen Urlaub gewesen wären.

Also doch eine Art Streik?

Harit: Nicht gänzlich falsch, aber auch nicht komplett richtig. (lacht) Ich will nicht lügen: Ich wollte unbedingt wechseln und dem Präsidenten zeigen, dass ich es ernst meine. Mir war aber nicht daran gelegen, im Unfrieden zu gehen, denn ich schätze ihn genauso wie seinen Sohn Franck. Letztlich lief alles gut, denn er hat das Angebot akzeptiert und der Transfer sah nur Gewinner.

Amine Harit über sein Formtief: "War im Kopf nicht frei"

Die Gespräche für Schalke führte Christian Heidel, der in Deutschland als gewiefter Verhandlungspartner gilt. Inwiefern war Heidel überzeugender als andere Gesprächspartner?

Harit: Ich habe damals mit mehreren Vereinen und Sportdirektoren gesprochen. Christian ist vor Saisonende nach Nantes gekommen, wir hatten dort eine sehr gute Unterhaltung. Er war anders als die anderen, denn er hat mir nicht das Blaue vom Himmel versprochen. Er hat nicht gesagt, dass ich zu einem Klub käme, der um den Titel mitspielen wird. Er sagte, Schalke sei ein Klub mit einer unglaublichen Beliebtheit in Deutschland, einem herausragenden Stadion und grandiosen Fans - und er sagte, dass ich dort spielen werde. Genau das habe ich gesucht. Ich wollte nicht zu einem zu großen Verein gehen, bei dem ich jedes Wochenende von der Bank aus zuschaue. Christian hat mir vermittelt, dass ich auf Schalke wichtig sein werde.

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Auf Schalke lief es unter Domenico Tedesco im ersten Jahr hervorragend, am Saisonende sind Sie zum Rookie des Jahres gewählt worden. Doch nur eine Saison später lief plötzlich alles schief, Schalke spielte gegen den Abstieg und Tedesco sowie Heidel mussten gehen. Was hatte sich in dieser zweiten Saison derart verändert?

Harit: Der Unfall in Marokko bedeutete nicht nur eine private Katastrophe, sondern ich bekam dadurch natürlich auch Probleme außerhalb des Fußballs, was nicht einfach für mich war. Ich kam nach der WM 2018 zurück und der Druck, der auf mir lastete, war groß. Wir spielten in der Champions League und hatten viele Partien zu absolvieren. Mir ging es aber überhaupt nicht gut und ich war im Kopf nicht frei. Es war eine Anhäufung vieler Dinge. Das zeigte sich dann auf dem Feld. Ich habe einfach nicht gut gespielt und bin in ein Loch gefallen. Doch so schrecklich dieses Ereignis auch war, habe ich in dieser Zeit viele Dinge gelernt - vor allem über mich selbst.

Welche Dinge waren das konkret?

Harit: Geduld und dass ich jetzt weiß, was gut und weniger gut für mich ist. Ich habe plötzlich nicht mehr gespielt. Dann kamen Gerüchte auf, Schalke möchte mich nicht behalten, sondern am besten bereits im Winter verkaufen. Das war hart, aber ich habe mir dadurch eine psychische Stärke zugelegt, durch die ich bereit bin, jeglicher Situation die Stirn zu bieten.

Waren Sie in der damaligen Phase auch das einfachste Ziel?

Harit: Natürlich, denn ich hatte den Unfall hinter mir, auf Schalke lief es nicht und ich habe einige Fehler gemacht.

Harit: Autounfall "das traurigste Ereignis meines Lebens"

Ein Jahr zuvor gab es jedoch noch von allen Seiten Komplimente. Wie blicken Sie denn auf dieses mediale Auf und Ab, nervt das?

Harit: Ich habe versucht, das nicht so stark an mich herankommen zu lassen, aber es trifft meine Familie und wenn es meine Familie trifft, berührt und verletzt es auch mich. Plötzlich hat gefühlt jeder ein schlechtes Bild von dir. Es ist dann schwer, das wieder umzukehren.

Der bereits angesprochene Autounfall mit Todesfolge ereignete sich nach der WM im Sommer 2018 in Marrakesch. Glauben Sie, dass Sie das mittlerweile verarbeitet haben - oder ist das gar nicht möglich?

Harit: Ich bin der Meinung, dass ich es - soweit überhaupt möglich - verarbeitet habe. Dennoch behalte ich es wohl immer in meinem Kopf, weil es das traurigste Ereignis meines Lebens war und auch bleiben wird.

Wie sah in dieser Zeit der Kontakt zu Heidel und Tedesco aus?

Harit: Wir haben nicht viel miteinander darüber gesprochen. Ich denke, es war schwer für sie und sie hatten Angst, mich ständig daran zu erinnern. Ich habe letztlich aber doch ohnehin ständig darüber nachgedacht und gegrübelt.

Nach der Rückkehr ins Training waren Sie um Normalität versucht, was Ihnen aber laut eigener Aussage nicht gelang.

Harit: So funktioniert einfach der Mensch nicht. Man hofft, man könne das irgendwie hinter sich lassen und sich wieder auf andere Dinge oder seinen Beruf konzentrieren, aber das stimmt nicht. Ich dachte, ich wäre stärker und könnte die Gedanken daran verdrängen, um mich gleich wieder auf den Fußball zu fokussieren. Das war aber nicht der Fall, denn wenn du etwas in deinem Kopf hast, was dich enorm beeinträchtigt - und mich hat das fast ein ganzes Jahr lang beeinträchtigt -, dann geht das einfach nicht.

Gab es einen bestimmten Moment, an dem Sie gemerkt haben, dass es Ihnen so langsam damit besser geht?

Harit: Das nicht, aber irgendwann sagt man sich, dass man mit seinem eigenen Leben weitermachen muss. Man vergisst es ja ohnehin nicht und denkt trotzdem weiter sehr häufig daran. Ich stand kurz davor, Vater zu werden und wollte meiner Tochter ein gutes Beispiel sein.

Ihre Eltern haben die Familie des Getöteten besucht, Sie haben mit der Mutter telefoniert. Dort wurde Ihnen gesagt, dass man Ihnen keine Vorwürfe machen würde. Wie entscheidend war dieses Gespräch für die persönliche Aufarbeitung?

Harit: Wir haben ausgiebig miteinander gesprochen. Es hat mir wirklich gutgetan und extrem bei der Verarbeitung geholfen.