Dieser Artikel wurde im April 2020 veröffentlicht.
Henke erzählt von falschen Vorurteilen gegenüber dem FC Bayern, seinen Job-Vermutungen bei Oliver Kahn sowie Hasan Salihamidzic und von Jürgen Klinsmanns revolutionärer Arbeit. Außerdem erinnert sich Henke an Lamm-Schlachtungen im Iran, seine Entlassung auf einem Flugplatz im Oman und vermeintlich nicht belastbare Chinesen.
Herr Henke, Sie waren erst bei Borussia Dortmund und dann beim FC Bayern München lange Jahre Co-Trainer von Ottmar Hitzfeld. Können Sie sich an Ihre erste Begegnung mit ihm erinnern?
Henke: Ja, sehr gut sogar. Ich war unter Horst Köppel schon vor Hitzfelds Ankunft Co-Trainer von Dortmund. Irgendwann im Frühling 1991 teilte mir Manager Michael Meier mit, dass Köppel den Verein zum Saisonende verlassen und Ottmar sein Nachfolger wird. Der Klub lud ihn zum letzten Saisonspiel ein, ich sollte ihn vom Düsseldorfer Flughafen abholen. Bei der Autofahrt von dort nach Dortmund hatten wir erstmals Kontakt und Zeit, uns ein bisschen auszutauschen. Unsere Ansichten über Fußball haben sich gedeckt und auch menschlich waren wir sofort auf einer Wellenlänge. Daran hat sich während unserer gemeinsamen Zeit nichts geändert.
War es Hitzfelds Wunsch, dass Sie als Co-Trainer im Amt bleiben?
Henke: Dortmund hat Ottmar bei den Verhandlungen schnell klargemacht, dass es schon einen Co-Trainer gibt und der auch im Amt bleiben soll. Da Ottmars Co-Trainer von seiner vorherigen Station Grasshoppers Zürich ohnehin in der Schweiz bleiben wollte, hatte er damit auch kein Problem.
Hier spricht Michael Henke ausführlich über seine Zeit bei Borussia Dortmund.
Michael Henkes Stationen im Profigeschäft
Verein | verschieden Funktionen |
FC Gütersloh | Trainer |
Borussia Dortmund | Co-Trainer, Trainer der zweiten Mannschaft |
FC Bayern München | Co-Trainer, Chefanalytiker |
1. FC Kaiserslautern | Trainer |
1. FC Saarbrücken | Trainer, Sportdirektor |
1. FC Köln | Co-Trainer |
FC Esteghlal | Co-Trainer, Berater |
Aston Villa | Chefscout |
FC Ingolstadt | Co-Trainer, Interimstrainer, Berater, Sportdirektor |
SH Shenhua | Co-Trainer |
Michael Henke: "Der FC Bayern kam mir arrogant vor"
Nach sieben erfolgreichen Jahren in Dortmund zogen Sie 1998 gemeinsam mit Hitzfeld zum FC Bayern weiter. Gab es Bedenken, zum großen Rivalen überzulaufen?
Henke: Der Ottmar kommt aus dem Süden und entsprechend war ihm der Wechsel auf emotionaler Ebene relativ egal. Mir als gebürtigem Westfalen fiel das schon schwerer: Dortmund ist schließlich mein Heimatverein und meine Kinder schliefen damals in BVB-Bettwäsche. Ich habe bei der Entscheidungsfindung aber versucht, nur auf beruflicher Ebene zu denken und in der Hinsicht konnte ich natürlich nicht ablehnen. Dortmund ist unter uns zwar wichtiger geworden und verfügt außerdem über das geilste Stadion Europas, aber der FC Bayern ist alleine wegen seiner Historie ein größerer Klub und wird das immer bleiben.
Wie reagierten Ihre Kinder auf den Wechsel?
Henke: Die waren damals zum Glück noch klein und beeinflussbar. Nach wenigen Wochen schliefen Sie schon in Bayern-Bettwäsche. Ich habe aber bis heute eine emotionalere Bindung zu Dortmund als zum FC Bayern.
Dortmund steht für den Herzblut-Slogan "Echte Liebe", der FC Bayern für das leicht arrogant angehauchte "mia san mia". Haben Sie in der alltäglichen Arbeit einen Unterschied zwischen den beiden Klubs festgestellt?
Henke: Aus der Distanz betrachtet kamen mir der FC Bayern und seine handelnden Personen tatsächlich arrogant vor. Dieses Vorurteil hat sich nach meinem Wechsel aber innerhalb kürzester Zeit zerschlagen. Uli Hoeneß, Franz Beckenbauer, Sepp Maier als Torwarttrainer, Gerd Müller als Co-Trainer der Amateure: Der FC Bayern war damals voll mit Fußball-Helden, die mir im persönlichen Umgang alle menschelnd und gar nicht arrogant begegnet sind. Der Umgang war wie in Dortmund.
Hoeneß war in seiner damaligen Funktion als Manager bekannt dafür, Spieler auch ohne Rücksprache mit dem Trainerteam in seinem Anwesen am Tegernsee zu empfangen. Wie fanden Sie das?
Henke: Es vermittelt immer ein komisches Bild nach außen, wenn ein Manager hinter dem Rücken des Trainers mit Spielern kommuniziert. Aber in diesem Fall war das sinnvoll, da Hoeneß stets im Sinne des großen Ganzen gehandelt hat. Mit seiner speziellen Art und Weise brachte er durch persönliche Gespräche viele Spieler zurück in die Spur. Insofern waren diese Aktionen oft sogar eine Hilfe für das Trainerteam.
Michael Henke: "Am intensivsten litt Matthäus"
Ihre erste Saison beim FC Bayern endete mit dem so tragisch verlorenen Champions-League-Finale 1999 gegen Manchester United. Wer litt am längsten darunter, wer schaute am schnellsten nach vorne?
Henke: Am intensivsten litt sicherlich Lothar Matthäus. Bei seinem damaligen Alter war klar, dass er diese Chance wohl nicht nochmal bekommen wird. Der erste, der zumindest nach Außen hin seine Fassung wiederfand, war Ottmar. Wobei ich bis jetzt nicht weiß, ob das echt oder gespielt war.
Welche Strategien haben Sie sich überlegt, um die Mannschaft aufzurichten?
Henke: Zunächst war es wichtig, dass jeder in den Urlaub gefahren ist und Abstand gewonnen hat. In der Saisonvorbereitung hat Ottmar dann die Rolle eines Sportpsychologen übernommen und den Spielern in vielen Gruppen- und Einzelgesprächen vermittelt, dass es bei der Entstehung einer großen Mannschaft dazugehört, mit so einem Negativerlebnis umzugehen. Entscheidend war, dass er die Leader der Mannschaft wie Stefan Effenberg und Oliver Kahn mit diesem Ansatz relativ schnell erreicht hat. Um glaubwürdig zu bleiben, mussten dann nur mehr die Erfolge kommen.
Und die kamen. Zwei Jahre später folgte der Champions-League-Sieg im Elfmeterschießen gegen den FC Valencia.
Henke: Ich kann mich genau erinnern, dass ich den ganzen Tag lang komplett überzeugt von unserem Sieg war. Nie davor oder danach hatte ich in meinem Leben so eine Siegesgewissheit wie an diesem Tag. Vor dem Elfmeterschießen habe ich den Spielern gesagt: "Ist eh alles völlig egal. Ich weiß ohnehin, dass wir gewinnen." Die emotionale Explosion nach dem entscheidenden Elfmeter war aber trotzdem enorm.