Vor der Rückkehr der Bundesliga sind Illusionen über eine faire Rest-Saison blauäugig. Und ein Abbruch bleibt jederzeit möglich. Doch auch sonst ist Wettbewerbsverzerrung unvermeidbar. Die Fußball-Kolumne.
Das lange Warten ist zu Ende, die Bundesliga setzt als erste Liga in Europa nach mehr als zwei Monaten Zwangspause ihren Betrieb fort. Doch von Vorfreude ist fast nichts zu spüren, stattdessen überwiegen die Sorgen und die Unsicherheit.
Das Konzept der DFL stehe auf tönernen Füßen, hat Max Eberl diese Woche zugegeben. Dabei gehört Gladbachs Sportchef keineswegs zu den zahlreichen Kritikern des Neustarts. Doch Eberl weiß genauso wie alle anderen Beteiligten, dass es ein kaum zu erklärender Widerspruch ist, während der Corona-Pandemie, in der Kontaktvermeidung oberstes Gebot ist, den Kontaktsport Fußball wiederaufzunehmen. Immerhin war Liga-Boss Christian Seifert so ehrlich, die Rückkehr auf den Platz im Gegensatz zu manchem Vereinsverantwortlichen nicht mit irgendwelchen Vergleichen zum Bolzplatz-Gekicke nostalgisch zu verklären. Sondern einzig mit der Notlage, dass ansonsten das Überleben fast aller 36 Vereine in Frage steht.
Daher hat der deutsche Fußball in den vergangenen Wochen alle Hebel in Bewegung gesetzt, um trotz der weitverbreiteten Skepsis von der Politik grünes Licht für den Restart zu bekommen. Doch auch mit dem hochgelobten Hygiene-Konzept bleibt die Gefahr der Ansteckung hoch - zumal Spieler und Betreuer nach dem ersten Spiel an diesem Wochenende zu ihren Familien und Freunden zurückkehren und sich dort jederzeit infizieren können.
Neustart in der 2. Liga: Großer Nachteil für Dynamo Dresden
Welche konkreten Konsequenzen das haben kann, zeigt sich aktuell bei Dynamo Dresden. Wegen zweier Fälle musste die gesamte Mannschaft für zwei Wochen in häusliche Quarantäne, sodass die ersten beiden Begegnungen und vermutlich auch das dritte Spiel verschoben werden müssen. Doch auch danach bleibt ein Wettbewerbsnachteil für den Zweitligaletzten, schließlich fehlen gegenüber den Konkurrenten mindestens zwei Wochen Mannschaftstraining.
Den seitdem kursierenden Vorwürfen, die Dresdner würden die Situation nutzen wollen, um einen Saisonabbruch zu provozieren, hat der Verein vehement widersprochen. Denkbar bleibt aber, dass sich die Sachsen für ein Aussetzen der Abstiegsregelung und eine Aufstockung der Liga einsetzen werden. Was wiederum die Gegner auf den Plan bringt, die fürchten, ohne Abstiegsgefahr würden Teams aus der unteren Tabellenregion die Saison ohne größeres Engagement runterspielen und somit für Wettbewerbsverzerrung sorgen.
Auch aus diesem Grund ist die Bundesliga komplett zerrissen bei der Frage, ob und wie die Tabelle bei einem vorzeitigen Saisonabbruch gewertet würde und nach welchen Kriterien. Die DFL jedenfalls hat die spielfreie Zeit zwar zu einem viel gelobten Konzept für den Neustart genutzt, aber bis heute keine Exit-Strategie für den Worst Case entworfen.
Bundesliga-Neustart: Viele Abstiegskandidaten könnten mit Abbruch gut leben
Dass sich vor allem die Kellerkinder gegen eine Wertung der Tabelle zum Zeitpunkt eines Abbruchs wehren, ist verständlich. Der Bundesliga-17. Werder Bremen spielt beispielsweise bis zum 30. Spieltag nur gegen Teams aus der oberen Tabellenhälfte und hat erst danach vermeintlich leichtere Gegner. Und wenn ein Saisonende gar innerhalb der nächsten drei Wochen unvermeidbar wäre, müssten die Dresdner sogar tatenlos den Abstieg hinnehmen.
In der Premier League oder der 3. Liga plädieren die Teams am Tabellenende neben den berechtigten sportlichen und wirtschaftlichen Gründen auch mit den gesundheitlichen und gesellschaftlichen Argumenten gegen einen Wiederanpfiff. "Mit der Abstiegsgefahr steigen die Corona-Bedenken", schrieb die Süddeutsche Zeitung dazu.
Doch egal, wie man sich positioniert: Die Gefahr eines sofortigen Saisonendes kann aus medizinischer Sicht jederzeit real werden. Und für diesen Fall muss eine Lösung her, so wie sie andere Länder (z.B. Frankreich, Niederlande) oder andere Sportarten (Eishockey, Handball) gefunden haben. Selbst wenn es keine Absteiger und keinen Meister geben würde, blieben die finanziell extrem bedeutenden Fragen nach der Teilnahme an Champions League und Europa League zu klären.
Fußball in der Corona-Pandemie: Eine faire Lösung gibt es nicht
Eins kann man sich aber schon jetzt komplett abschminken: Dass es eine für alle faire und akzeptable Lösung geben kann. Schließlich wird selbst die Rest-Saison, auch wenn sie zu Ende gespielt wird, keineswegs gerecht ablaufen. Eine Wettbewerbsverzerrung ist schon jetzt unvermeidbar.
Die Vorbereitung war zu kurz, ernsthafte Testspiele konnten nicht stattfinden, die Geisterspielkulisse macht jeglichen Heimvorteil hinfällig, gerade für die sportlich schwächeren Mannschaften. Und wie wirkt sich die psychische Belastung, eventuell sogar Angst vor Ansteckung, auf Zweikämpfe und Einsatz der Spieler aus? Nehmen Trainer aufgrund der für alle hörbaren Anweisungen weniger Einfluss aufs Spiel?
Wäre Bayern ohne Lewandowski nicht Meister geworden?
Oder noch konkreter gefragt: Wäre Bayern ohne den zum Zeitpunkt der Unterbrechung, jetzt aber wiedergenesenen Robert Lewandowski nicht Meister geworden? Wie hätte sich der Trainerwechsel in Augsburg zu Heiko Herrlich ausgewirkt, ohne zehn Wochen Pause und sein jetziges Fehlen im ersten Spiel aufgrund seines Verstoßes gegen die Quarantäne-Regelungen? Und wäre Salomon Kalou aufgrund seiner Erfahrung vielleicht doch noch zum Hertha-Retter geworden, wenn man ihn nicht aufgrund seines Skandalvideos hätte suspendieren müssen?
Fragen über Fragen, die zeigen, dass diese Saison schon jetzt ruiniert und eine sportliche Farce ist. Wenn sie zu Ende gespielt wird, wäre sie im Idealfall am wenigsten ungerecht, mehr aber auch nicht. So beginnt am Samstag im deutschen Fußball ein Laborversuch, der am Ende vielleicht sogar wichtige medizinische und wirtschaftliche Erkenntnisse bringen wird. Spaß und Gerechtigkeit aber sicher nicht.