Noch bevor Manuel Baum am Mittwoch zum ersten Mal als Trainer die Schalker Geschäftsstelle betrat, hatten sich die meisten Schalker Fans ihre Meinung über ihn schon gebildet.
Er, der in seinen zweieinhalb Jahren beim FC Augsburg einen Punkteschnitt von 1,12 Punkten pro Spiel zu verzeichnen hatte und obendrein sogar noch von eigenen Führungsspielern öffentlich an den Pranger gestellt wurde, soll jetzt diesen hochemotionalen und nach zwei Pleiten und 1:11 Toren zum Saisonstart am Boden zerstörten FC Schalke 04 aus der Krise führen? Niemals.
Unter einem personifizierten Hoffnungsschimmer hatte sich die arg in Mitleidenschaft gezogene königsblaue Fan-Seele etwas ganz anderes vorgestellt. Einen Hoffnungsschimmer namens Ralf Rangnick beispielsweise.
Der war jedoch weder finanzierbar, noch konnten und wollten die Schalker Verantwortlichen Rangnick das geben, was er stets für sich bei seinen Klubs einforderte: die totale Entscheidungsgewalt. Also fiel die Wahl am Ende auf Baum. Ausgerechnet der, der in seiner Rolle als Sky-Experte vor der Saison die Königsblauen in der Abschlusstabelle auf den 15. Rang getippt hatte.
Nur noch ein weiteres Sahnehäubchen auf der Vorurteils-Torte, die bereits mit der Überschrift "Baum fällt" und anderen Wortspielen im Falle einer Entlassung des neuen Trainers versehen wurde. Dabei gilt Baum in der Branche als absoluter Fachmann, gerade im taktischen Bereich.
Manuel Baum? Wormuth: "Inhaltlich ein Top-Trainer"
Einer, der es wissen muss, ist Frank Wormuth, der 2014 als Ausbildungsleiter beim DFB Baum auf dem Weg zu seiner Fußballlehrer-Lizenz begleitete. "Inhaltlich ist er ein Top-Trainer", betont Wormuth, der im Juli 2018 seinen Posten beim DFB nach über zehn Jahren gegen die Trainerbank beim niederländischen Erstligisten Heracles Almelo eintauschte.
Baum verfolge seiner Ansicht nach aufgrund seiner Vorgeschichte als Realschullehrer in München grundsätzlich "einen sehr pädagogischen Ansatz" bei seiner Trainerarbeit. "Seine Trainingseinheiten sind durchdacht und haben einen logischen Aufbau. Wenn man da einmal im Training gefehlt hat, ist es so als ob man wie in der Schule nachsitzen müsste, um den Stoff wieder aufzuholen."
An Baums Expertise hegt Wormuth keinen Zweifel. Auch nicht daran, dass die Aufgabe auf Schalke, wo maximale Tristesse nach dem Saisonstart herrscht, Baum keine Vorbereitung mit der Mannschaft hatte und auch auf den Kader keinen Einfluss nehmen konnte, zu groß für den 41-Jährigen sei.
"Das ist gar kein Problem. Pädagogen, wie er und alle anderen Fußballtrainer es auch sind, sind dazu fähig, das Potenzial eines Spielers zu entwickeln", erklärt Wormuth, der außerdem mit dem Vorurteil aufräumt, dass man das auf Bundesliga-Niveau nicht mehr könne. Fußballlehrer, die wie Baum "auch Lehrer in der freien Wildbahn waren, haben einen etwas anderen Ansatz nach dem Motto: Ich hole alles aus einem Spieler raus".
Schalke 04 unter Baum: "Wird er sehr gut hinbekommen"
Dass Baum, der noch in seiner Funktion als U20-Nationaltrainer mit Wormuth wegen des damaligen Heracles-Spielers Lennart Czyborra Kontakt hielt, jedoch nicht immer mit den Spielern auf einer Wellenlänge liegt, zeigten die Beispiele Martin Hinteregger und Jeffrey Gouweleeuw beim FCA.
Er könne "nichts Positives" über Baum sagen, hatte Hinteregger beispielsweise öffentlich in einem TV-Interview erklärt, war anschließend suspendiert worden und avancierte in Frankfurt zu einem der besten Bundesliga-Verteidiger.
Auch Abwehrchef Gouweleeuw galt als Kritiker Baums, besonders nachdem er im Anschluss an eine 0:4-Pleite (Baums letztes FCA-Spiel) die taktische Marschroute von Baum hinterfragte: "Wir hatten von Anfang an keine Ahnung, was wir machen".
Der Vorwurf, der taktisch versierte Trainer überfordere seine Spieler, stand unumkehrbar im Raum. Des Weiteren war aus Augsburg zu hören, dass Baum auch aufgrund seiner sich immer wiederholenden Kabinenansprachen die Mannschaft immer weniger erreicht hatte, was letztendlich im April 2019 am Ende einer sportlichen Talfahrt mit nur drei Siegen aus elf Rückrundenspielen zu seiner Entlassung führte.
All jene negativen Ereignisse und öffentlich ausgetragenen Differenzen am sonst so ruhigen Bundesliga-Standort Augsburg führten dazu, dass Baum als Trainer trotz seiner Kompetenz gerade im emotionalen Glutofen Gelsenkirchen so kritisch beäugt wird.
Dabei sei Baum, so wie Wormuth ihn kennengelernt habe, "ein sehr kommunikationsfreudiger und sachlich orientierter Mensch. Deswegen geht Wormuth auch davon aus, dass sein ehemaliger "Azubi", seinen neuen Job beim kriselnden Revierklub "sehr gut hinbekommen wird".
S04 droht Abstiegskampf: "Einzelgespräche sind das A und O"
In der Theorie, und das bestätigte Baum selbst auf seiner ersten Pressekonferenz bei S04, weiß der 41-Jährige, an welchen Stellschrauben er zuerst drehen muss. "Lasst mich mal machen, ich weiß, was ich tue", sagte Baum am Mittwoch bei seiner Vorstellung. Auch Wormuth sagt, dass der DFB seine Trainer in der Ausbildung auf solche Situationen, wie Baum sie nun auf Schalke vorfindet, vorbereite.
"Wenn du zu einer Mannschaft kommst, deren Verein gerade den Trainer geschasst hat, erkundigt man sich erstmal. Was war denn los auf Schalke? Warum herrscht Unruhe? Was war das Problem? Und dann liegt es an der Qualität des Menschen, diese Situation zu nutzen und ein Gemeinschaftsgefühl zu entwickeln."
Dann müsse es zwangsläufig "Einzelgespräche" geben. "Es ist das A und O, in jeden einzelnen Spieler einmal reinzuhorchen und zu thematisieren, was sein Empfinden ist und welches Problem er hat."
Dabei helfen, das Ruder wieder zugunsten der Königsblauen herumzureißen soll Naldo, der auf Schalke in seinen drei Jahren von 2016 bis 2019 zur Identifikationsfigur aufgestiegen war und nach seiner Vertragsauflösung in Monaco seine aktive Karriere beendet hatte.
Keine Profikarriere, kein Respekt? "Das ist Quatsch, aber..."
Zwar wird der 38-Jährige, dem noch eine Trainerlizenz fehlt, nicht direkt Co-Trainer fungieren, allerdings soll er als Respektsperson und emotionale Triebfeder, mit der einige Spieler aus der aktuellen Mannschaft noch gemeinsam auf dem Bundesligarasen standen, die Mannschaft neu einnorden, um sie empfänglich für die Baum'schen Anweisungen zu machen.
Bereits in Augsburg hatte Baum, der selbst kein Profi gewesen ist, Jens Lehmann als Co-Trainer zu sich geholt und hatte im Interview mit SPOX und Goal von dessen positiven Einflüssen gerade auf die Abwehrarbeit geschwärmt. Seine Schlussfolgerung damals: "Ein ehemaliger Spieler im Trainerteam tut wirklich gut. Ich werde das auch künftig so handhaben." Gesagt, getan.
Angesichts der Vorgeschichte von Baum ohne eigene Profikarriere versteht Wormuth diesen Schachzug. "Vielleicht hat er das Gefühl, dass diese Profis ihn dadurch nicht ernst nehmen könnten. Wenn er aber einen von ihnen an seiner Seite hat, wissen die Spieler, dass dieser dem Trainer den Stallgeruch vermittelt", erklärt Wormuth: "Das ist zwar Quatsch, aber Fußballer denken eben manchmal so. Es hat auf jeden Fall eine Wirkung."
Schalke 04 und die Trainer: Baums Punkteschnit im Vergleich
Name | Verein | Amtsantritt | Amtsaustritt | Spiele | Punkte pro Spiel |
Manuel Baum | FC Augsburg | 28.12.2016 | 09.04.2019 | 85 | 1,12 |
David Wagner | Schalke 04 | 01.07.2019 | 27.09.2020 | 40 | 1,20 |
Domenico Tedesco | Schalke 04 | 01.07.2017 | 14.03.2019 | 75 | 1,57 |
Markus Weinzierl | Schalke 04 | 01.07.2016 | 30.06.2017 | 50 | 1,52 |
Andre Breitenreiter | Schalke 04 | 01.07.2015 | 30.06.2016 | 44 | 1,59 |