194 Tage nach dem letzten Spiel vor vollem Haus plant RB Leipzig die lang ersehnte Rückkehr der Fans. Zum ersten Heimspiel der neuen Saison in der Bundesliga am 20. September gegen den FSV Mainz 05 wurden von der örtlichen Gesundheitsbehörde 8500 Besucher zugelassen. Das macht rund 20 Prozent des gesamten Fassungsvermögens aus.
"Es ist eine großartige Nachricht - vor allem für unsere Fans, aber auch für das Team", sagte RB-Trainer Julian Nagelsmann: "Das letzte Spiel mit Zuschauern liegt fast sechs Monate zurück und wir haben immer wieder betont, wie sehr uns die Fans und die Atmosphäre fehlen." Der Erfolgscoach sprach darüber hinaus von einem "tollen Signal an die Menschen, dass es eine positive Entwicklung für Spiele mit Fans gibt."
RB-Geschäftsführer Oliver Mintzlaff fügte hinzu: "Wir sind sehr glücklich, dass wir mit dieser Entscheidung einen Schritt hin zu mehr Normalität gehen können. Unser Dank gilt der DFL, der sächsischen Landesregierung, den Gesundheitsbehörden und der Stadt Leipzig für die gemeinsame Abstimmung des Hygienekonzeptes."
Das Konzept sei von RB Leipzig mit der DFL "fortlaufend beraten und nach intensiven Gesprächen nun beschlossen" worden, hieß es. Ausschlaggebend für die Umsetzung bleibt jederzeit das regionale Infektionsgeschehen, das permanent in enger Abstimmung mit dem Gesundheitsamt der Stadt Leipzig neu bewertet werden müsse.
RB war im März diesen Jahres beim Champions-League-Spiel gegen Tottenham Hotspur (3:0) auch Gastgeber des letzten Spiels im deutschen Profi-Fußball vor Zuschauern. Damals strömten am 10. März 42.146 Zuschauer zum Viertelfinal-Rückspiel gegen Tottenham Hotspur in die Red Bull Arena und trugen dazu bei, dass RB nach dem 1:0 im Hinspiel zum ersten Mal in der Geschichte des Klubs ins Viertelfinale der Königsklasse eingezogen war.
Zuschauer trotz Corona: Diese Bedingungen muss Leipzig erfüllen
Der Klub betonte, dass zum 1. September für Sachsen eine neue Corona-Schutzverordnung in Kraft getreten sei, auf dessen Grundlage die Fan-Rückkehr beschlossen worden sei. "Mit einem klugen Hygienekonzept zeigt RB Leipzig, was alles möglich ist", sagte Sachsens Ministerpräsident Michael Kretschmer: "Die sächsische Staatsregierung unterstützt dieses Vorhaben. Wirtschaftliches und gesellschaftliches Leben in Zeiten von Corona verlangt nach kreativen Lösungen." Und: "Durch Eigenverantwortung ist in Sachsen viel mehr möglich geworden, als in anderen Bundesländern. Wie wollen unseren sächsischen Weg fortsetzen."
Das Konzept umfasst zwei zentrale Maßnahmen. Es besteht zum einen eine Verpflichtung zum Tragen eines Mund-Nasen-Schutzes beim Betreten des Stadions. Zum anderen soll das Anreiseaufkommen so minimal wie möglich gehalten werden. Deshalb werden die Eintrittskarten auch nur an Inhaber einer Dauerkarte sowie an Bewohner mit einem Wohnort in Sachsen verlost.
"Grundvoraussetzung ist die geringe Infektionsrate, die wir in Sachsen glücklicherweise haben", sagte Mintzlaff. Die Genehmigung ist abhängig vom aktuellen Infektionsgeschehen. Die Sieben-Tage-Inzidenz (Fälle pro 100.000 Einwohner in einer Woche) liegt in Leipzig derzeit bei 3,2. Wenn der Wert im Wohnort des Besuchers am Montag vor dem Spiel unter 20 bleibt, wird er zur Verlosung der Tickets zugelassen.
Kritik an Zuschauern bei RB Leipzig: Wettbewerbsverzerrung in der Bundesliga?
SPD-Gesundheitsexperte Karl Lauterbach sieht den Vorstoß allerdings kritisch. "Wenn Leipzig vor 8400 Zuschauern spielt, ist das unsportlich und epidemiologisch falsch", twitterte Lauterbach: "Unsportlich, weil andere Vereine ohne Genehmigung im Nachteil sind. Und am Beginn der zweiten Welle sendet es das völlig falsche Signal, die Gefahr der Pandemie sei gebannt."
Der Wolfsburger Sport-Geschäftsführer Jörg Schmadtke warnt vor Wettbewerbsverzerrungen. "Es ist schon ein Unterschied, ob ein Verein 10.000 oder 15.000 Zuschauer im Stadion hat und andere Klubs 500. Dann ist eine Wettbewerbsgleichheit nicht mehr so gegeben", sagte Schmadtke dem Sportbuzzer. Daher sei es wichtig, "darüber mit der DFL im Verbund" zu sprechen: "Wir reden immer davon, dass der Wettbewerb geschützt werden muss."
Hans-Joachim Watzke von Borussia Dortmund begrüßt die Teilzulassung von Zuschauern - und hält diesen Schritt auch in Nordrhein-Westfalen bald für möglich. Für ihn sei eine Zuschauerzahl im einstelligen Tausenderbereich "kein großes Risiko", sagte der 61-Jährige am Dienstag den Zeitungen der Funke-Mediengruppe und sprach weiter von einem "mutigen, aber gleichzeitig sehr besonnenen Schritt."
Die Unterstützung der Fans verschaffe den Sachsen "natürlich einen kleinen Wettbewerbsvorteil", merkte Watzke an, diesen müsse man allerdings "in Kauf nehmen, wenn man möchte, dass sich - immer auf Basis des jeweiligen Infektionsgeschehens und eines durchdachten, verantwortungsbewussten Konzeptes - etwas bewegt."
Zu einer möglichen Wettbewerbsverzerrung sagte Mintzlaff: "Natürlich wünschen wir uns, dass es so schnell wie möglich eine gesamtheitliche und bundesweite Regelung geben wird - selbstverständlich auch hier abhängig vom jeweiligen Infektionsaufkommen." Nagelsmann meinte: "Wir hoffen natürlich, dass wir bald auch auswärts wieder vor Publikum spielen können.
Zuschauer bei RB Leipzig: So reagiert die DFL
Durch das Vorpreschen erhöht RB vor der virtuellen Versammlung der DFL am Donnerstag (ab 11 Uhr) den Entscheidungsdruck. Da der Plan laut den Leipzigern von "anderen Vereinen" unterstützt wird und auch weitere Klubs über eine Zuschauer-Rückkehr je nach den regionalen Verordnungen nachdenken, scheint ein Beschluss der 36 Profivereine über ein Ende der Geisterspiele trotz der Corona-Pandemie unausweichlich.
Bekannt sind die Vorhaben von Eintracht Frankfurt, dem VfL Wolfsburg, Hertha BSC, Union Berlin und dem VfL Osnabrück. Es sollen bereits Gespräche mit den lokalen Gesundheitsämtern laufen.
Für die DFL ist das Leipziger Modell deshalb nur ein erster Schritt. "Das Konzept von RB Leipzig hat offensichtlich überzeugt", ließ der Ligaverband wissen: "Unabhängig davon ist die DFL selbstverständlich weiterhin bereit, mit der Politik verbindliche Gespräche über abgestimmte Lösungen auf Bundesebene zu führen."
Und was ist mit dem Bund-Länder-Beschluss von vergangenem Donnerstag, der so interpretiert worden war, dass Zuschauer in den Stadien nicht vor November möglich sind? Der habe "Großveranstaltungen, bei denen eine Kontaktverfolgung und die Einhaltung von Hygieneregelungen mögliche sind keine grundsätzliche Absage erteilt", erklärte die DFL. "Vor diesem Hintergrund ist es folgerichtig, dass Clubs ihre Konzepte direkt mit den zuständigen staatlichen Stellen auf lokaler Ebene abstimmen."
Zuschauer im DFB-Pokal erlaubt - was ist mit der Bundesliga?
Der Ligaverband sieht eine Chance für die Zuschauer-Rückkehr. Obwohl eine Arbeitsgruppe auf Ebene der Chefs der Staatskanzleien ihren endgültigen Vorschlag erst Ende Oktober präsentieren soll, könnten deshalb tatsächlich vorher wieder Besucher zu den Liga-Spielen kommen.
Der Profifußball sieht sich jedenfalls gerüstet. Das Zuschauer-Protokoll sieht keine Stehplätze und keinen Alkohol bis Ende Oktober, den Verzicht auf Gästefans bis Jahresende und die Sammlung sämtlicher Kontaktdaten vor. Auch das überarbeitete Hygienekonzept rund um den Spielbetrieb, das eine Gliederung in drei Stufen der Pandemie-Aktivität vorsieht, muss nur noch von den Vereinen am Donnerstag abgesegnet werden.
Für den DFB-Pokal gab es bereits grünes Licht: Ein pauschales "Nein" gegen Zuschauer im Stadion für die erste Hauptrunde wird es vonseiten des DFB nicht geben, sagte Vizepräsident Peter Frymuth dem kicker: "Die Klubs können auf Basis unserer Hygiene- und Schutzkonzepte mit ihren Behörden im Rahmen der jeweils geltenden Verordnungen prüfen, was möglich ist."
Und möglich ist viel. Die unterschiedlichen Verordnungen reichen von maximal ein paar Hundert Besuchern bis hin zu keiner festgelegten Obergrenze. So hat der Magdeburger Oberbürgermeister Lutz Trümper grünes Licht für bis zu 7500 Zuschauer beim Spiel des Drittligisten 1. FC gegen den Zweitligisten Darmstadt 98 gegeben. Da die meisten Regelungen aber 1000 oder weniger Zuschauer vorsehen und die aufwendigen Hygiene-Richtlinien nur schwer umsetzbar sind, haben bereits acht unterklassige Klubs auf ihr Heimrecht verzichtet.